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Ostalgisch. Schriftsteller Wladimir Kaminer im Mauerpark.

© David von Becker

Prenzlauer Berg: Wladimir Kaminer: für kapitalistische Bäume

Der Alltag in Prenzlauer Berg ist eines der Lieblingsthemen von Wladimir Kaminer. Er wünscht sich unterirdische Parkhäuser für alle Autos.

Erst mal eine Kugel Schokolade. Natürlich in der kleinen Eisdiele gleich nebenan. Dann steht Wladimir Kaminer wieder auf der Gleimstraße, leckt am Eis und sagt: „Das Eis ist natürlich aus eigener Herstellung. In Prenzlauer Berg findet sozusagen das ganze Leben in eigener Herstellung statt. Die Leute stellen alle selbst etwas her, weil es keine großen Firmen als Arbeitgeber gibt.“

Kaminer muss es wissen: Er verdient seinen Lebensunterhalt damit, selbst etwas zu produzieren: lustige Bücher. Und eines seiner Lieblingsthemen ist der Alltag in Prenzlauer Berg: Mit „Russendisko“ und „Schönhauser Allee“ wurde er berühmt. Auch in seinem gerade erschienenen Werk „Liebesgrüße aus Deutschland“ erzählt er Geschichten aus „seinem“ Stadtteil: Der 44-jährige Schriftsteller mit deutschem Pass und russischem Akzent gehört hier fast schon zu den Ureinwohnern. Seit er 1990 aus Moskau nach Berlin zog, lebt er „immer im selben Quadratkilometer“: Zuerst an der Schönhauser Allee, dann an der Dunckerstraße und seit sechs Jahren an der Gleimstraße. „Hier ist es besser als überall anders. Man hat von allem etwas: Großstadt, Natur und sogar Kurse für musikalische Früherziehung.“

Kaminer steht jetzt an der Kreuzung Ystader-, Ecke Gleimstraße und zeigt auf mehrere leere Läden: „Die Apotheke ist weg, weil keiner mehr krank wird. Auch der Friseur, die kleine Kneipe und der Burger-Laden haben vor kurzem zugemacht.“ Seine Nachbarn, Web-Designer aus Bayern, sagten ständig, das seien die Folgen der Gentrifizierung. „Überall hört man jetzt davon – aber meistens von denen, die selbst die Gentrifizierer sind.“ Als die Nachbarn erfuhren, dass die alte Dame aus dem kleinen Supermarkt schräg gegenüber aufgeben will, seien sie sofort hinüber gelaufen, um zu fragen, ob sie selbst nicht einen Bioladen daraus machen könnten.

Kaminer zeigt auf eine rote Markise: „Es gibt hier nicht nur viele Bioläden, sondern auch so viele vietnamesische Restaurants wie noch nie. Die überleben, weil da nur Familienmitglieder arbeiten, und zwar ohne Gehalt.“ Er findet die Entwicklungen nicht schlimm: „Das ist multikulti. Und nur, wenn sich eine Gegend verändert, bleibt sie lebendig.“ Trotzdem kauft er lieber in den türkischen Geschäften in Wedding ein. „Da ist das Fleisch viel billiger und die Gurken mit Gänsehaut, die Russen so gern essen, auch.“

Wladimir Kaminer nimmt nichts so richtig ernst und regt sich selten auf. Höchstens die Sache mit den Bäumen ging ihm zu Herzen. Vor einiger Zeit wurden in seiner Straße viele „sozialistische Bäume“ aus DDR-Zeiten gefällt. Sie drohten „auf kapitalistische Autos zu fallen“. Kaminer versuchte mit anderen Anwohnern, die Politiker zu überreden, „kapitalistische Bäume“ zu pflanzen. „Es wurde viel geredet und nichts erreicht. Deshalb haben wir Geld gesammelt und selbst Bäume gepflanzt.“ Bäume mag er schließlich lieber als „kapitalistische Autos“, obwohl er selbst eines hat und einen Anwohnerparkausweis dazu. „Ich würde alle Autos in unterirdische Parkhäuser verbannen.“

Wie immer weiß man nicht genau, ob er das ernst meint. 2006 hatte Wladimir Kaminer angekündigt, er wolle bei der nächsten Wahl gegen Klaus Wowereit antreten. Das hat sich auch als Witz herausgestellt.

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