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Berlin: Preußen kämpft um sein inneres Rheinland

Berlin bleibt Berlin, auch wenn es singt und lacht: So richtig kann die Stadt mit dem Karneval nichts anfangen. Aber trotzdem werden am Sonntag wohl wieder Hunderttausende an den Straßen stehen, wenn die Narren durch die Stadt ziehen. Wie kommt’s?

Karneval ohne Jecken? – Ist nicht im Sinne des Erfinders. Aber der Erfinder ist sich sicher, dass die Zeiten jetzt sowieso und endlich vorbei sind, in denen am Rosenmontag Auto-Korsos durch Berlin rollen und niemand an der Straße stehen will, wie 1992: Der Karnevals-Zug e.V. hat vor vier Jahren den Faschingsumzug in Berlin wiederbelebt. Am Sonntag, so erwartet man, wird eine halbe Million Menschen die 112 Jecken-Gruppen von der Straße des 17. Juni zum Roten Rathaus ziehen sehen wollen.

Tatsächlich haben sich einige Vorzeichen geändert: Erstens ist der Rosenmontagsumzug in Berlin inzwischen ein Rosensonntagsumzug. Und zweitens glaubt der Erfinder – von Berufs wegen optimistisch bis heiter –, dass es in jeder Beziehung wie der zwischen Berlin und dem Karneval mal kriselt. Dass aber die beiden grundsätzlich sehr wohl harmonieren: „Die oft verbreitete Meinung, dass öffentliche Aufzüge wie im Rheinland an der speziellen Mentalität der Berliner scheitern würden, hat sich nicht bewahrheitet“, findet Narrenvorstand Hans Schubert.

Dabei haben Berlin und der Karneval wirklich schlechte Zeiten miteinander durchgemacht. Sie, die Stadt, ist ständig klamm. Und er, der Umzug, kam in den letzten paar Jahrzehnten ein paar mal auf Touren – und nur schwerfällig. Das Ergebnis war nicht eben furios. In den 50er Jahren zog noch in jedem Jahr ein Zug vom Funkturm bis Neukölln. Ab 1959 war er erst mal erledigt: keine Sponsoren, kein Geld, kein Faschingsumzug. Die Feierlaune nach der Wiedervereinigung half, den Zug vom Brandenburger Tor bis zum Roten Rathaus wieder zu beleben. Mit bescheidenem Erfolg: 1992 – siehe oben.

Doch auch wenn jetzt alles knorke ist zwischen Berlin und seinem Umzug bleibt die Frage, wie Karneval am Rosenmontag und Faschingsdienstag in der Hauptstadt geht.

Geht gar nicht, finden die einen, zugezogene Rheinländer zumeist.

Geht wie in Rio: mit möglichst vielen leicht bekleideten Frauen, hoffen andere, Männer zumeist. (Da Berlins Jeckenzeit erfahrungsgemäß etwas kälter ist als die am Zuckerhut, können wir in diesem Fall nur raten, die Klimaverschiebung mit Benzin fressenden Autos so lange zu begünstigen, bis Berlins Februar zuverlässig 30 Grad hat.)

Geht nur wie in der Vergangenheit, sagen die Kostümverleiher, mit Charleston-Outfits der 20er oder Rock-’n’-Roll-Style der 50er. „Der Berliner will sich identifizieren“, sagt Verleiherin Suza Hildebrand-Potthoff. „Berlin feiert anders. Im Rheinland hat man kein Problem, sich dick oder hässlich zu machen.“

Geht nur mit der rheinländisch-berlinischen Synthese, finden wir. Mit dem urigen Steinzeitkostüm: Überwurf, Gürtel, Beinstulpen und Fell-Imitat. Ist zwar laut Internet-Katalog nur in Standardgröße L lieferbar – aber aus der Vergangenheit. Und hässlich.

Marc Neller

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