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Berlin: Prinzessinnen im Trockeneis-Nebel

Feuerblitze. Trockeneis-Nebel.

Feuerblitze. Trockeneis-Nebel. Oliver Mischak hat alles im Angebot. Er kann sogar Reise nach Jerusalem, Strumpfbandversteigerung und - Vereinsausflug. Vereinsausflug ist, wenn Mischak auf der Bühne steht, eine Geschichte erzählt und immer, wenn Verein vorkommt, müssen alle aufstehen und was trinken. Danach gibt es dann Musik, von Mischak persönlich aufgelegt: You are always on my mind von den Pet Shop Boys. Weil der Tag unvergesslich sein soll, möglichst sogar der schönste Tag im Leben. Der will gut vorbereitet sein. Man will auch ein bisschen angeben, mit dem, was man hat. Oliver Mischak, der Alleinunterhalter, hilft dabei.

Die Hochzeitsmesse um elf Uhr morgens. Gleich hinter dem Haupteingang kann man für 2,50 Euro Kaffee und Bier kaufen. An kleinen Bistro-Tischen sitzen Heiratswillige, deren Eltern, Geschwister und Freunde. Das helle Messe-Licht macht einen ungesundenTeint. Schnell noch eine rauchen, bevor es los geht. Für viele ist die Hochzeitsmesse nach dem Heiratsantrag der erste Schritt in Richtung Riesenfeier. Langsam wird es konkret. Schnell die Kippe ausdrücken, rein in die Halle, bevor der große Ansturm auf Brautkleider, Ringe, Schuhe, Anzüge und Torten beginnt.

Daniel Kosic schlabbern die Beine. Der 18 Jahre alte Bräutigam mit dem Sweatshirt und der goldenen Schildkröte um den Hals lächelt scheu. Er steht auf einem roten Teppich, flankiert vom künftigen Schwiegervater und der Schwiegermutter in spe. Von irgendwo am anderen Ende der Halle schallen ein paar Probe-Fanfarenstöße herüber, als Daniela Augustin mit einer lachenden, türkischen Verkäuferin aus der Umkleidekabine kommt. Daniela ist 24 und stellt sich vor einen Ganzkörperspiegel. Das Kleid hat lange Ärmel, in das Oberteil sind Glitzersteine eingenäht, über dem Hintern explodiert es weiß, die Schleppe ist fast so lang wie die von Prinzessin Diana. Daniela gehört zu Daniel. Schwiegervater wartet in sicherer Distanz. "Hm", macht er. "Schön." Schwiegermutter: "Vor dreißig Jahren haben wir beide geheiratet, ich in Weiß. Kutsche hatten wir auch. Damals war es schon teuer, aber heute ist es noch teurer. Daniela will auch etwas weißes. Iiih, cremefarbene Kleider sehen aus wie vergilbte Gardinen." - "Genau", meint der Bräutigam und nickt eifrig. Er hat seiner Freundin einen Antrag mit Kniefall gemacht. Dass er jetzt im "Balayi Magazasi" stehen muss, daran hat er wohl damals nicht gedacht.

Neben Daniela posieren noch drei andere Bräute vor dem Spiegel, Kaugummi kauend und sich gegenseitig kühl musternd. Von weiblicher Solidarität ist hier nicht viel zu spüren. Ungeschminkt, mit zusammengepressten Frisuren, Zähnen und Brüsten, zupfen sie nervös und bleich an dem weißen Stoff, der sie zur Schönsten, Tollsten, Glücklichsten machen soll. Freundinnen und Mütter begutachten das ganze, manche haben Ausrisse aus Zeitschriften mitgebracht. Die Verkäuferinnen lächeln wissend. Eine demonstriert, wie einfach die Braut mit einer meterlangen Schleppe aufs Klo gehen oder tanzen kann. "Ja, daran haben wir natürlich gedacht", sagt sie. "Hier sind versteckte Druckknöpfe, zackzack, und der Stoff ist nicht mehr im Weg."

Natalia Ohler beherrscht das glückliche Lachen einer Braut perfekt. Sie trägt ein bodenlanges Gewand mit Federn und Lochstickerei, aber nur für Geld, denn Natalia arbeitet als Messe-Hostess. Heiraten will sie bis auf weiteres nicht. "Wenn doch, dann natürlich im Prinzessinnen-Kleid", erklärt sie und streicht verträumt über ihr Korsagen-Modell, das Natalia zwingt, den aufrechten Gang einer Mette-Marit anzunehmen. Überhaupt - Prinzessinnen, egal ob real existierende oder Märchenfiguren, scheinen noch immer die Vorbilder der Durchschnittsbraut zu sein. Deshalb gibt es auf der Hochzeitsmesse an den Accessoire-Ständen reichlich Diademe, die ganz oben auf die Hochzeits-Frisur kommen. Einmal Prinzessin sein - aus diesem Wunsch schlagen auch die zahllosen Fotostudios Kapital, die die klassische Vorher-Nachher-Show anbieten. Aus Dagmar P, Mischhaut, kaufmännische Angestellte, wird mit Hilfe einer vaselineverschmierten Linse in Windeseile ein weiße Lackstrapse tragendes Hochzeitsluder. Die Foto-Stände können sich über mangelnden Zulauf nicht beklagen. "Mal was ganz anderes", ruft eine Interessentin entzückt, und ihr Begleiter kriegt Stielaugen bei Dagmar P.

Wer noch nicht weiß, wo die Hochzeit steigen soll, kann an den eigens zur Messe transportierten rustikalen Sitzmöbeln lauschig gelegener Umland-Hotels Platz nehmen. Hier ist schon alles arrangiert - der Tisch ist gedeckt, Champagnerflaschen kühlen auf Eiswürfeln. Von der Abholung im hauseigenen klimatisierten Bus bis zur Rückfahrt im hauseignenen klimatisierten Bus kann man auf Schloss Diedersdorf ein komplettes Hochzeits-Arrangement buchen. Wer nicht weiß, was es zu essen geben soll: Auch die Supermarktkette "Reichelt" und die ihr angeschlossene Bäckerei "Thürmann" beeindrucken mit einem ziemlich großen Messestand sowie mindestens zwanzig schwarz-weiß befrackten Häppchenreichern. Die Hochzeitstorten, besonders das mehrstöckige Modell "La Traviata", sind von imposanter Größe und können sofort geordert werden.

Mischak, der geschiedene Alleinunterhalter, schwärmt von einer Hochzeitsfeier, für die das Brautpaar die Turnhalle gemietet hatte: "Da konnte ich alles aufbauen - Laser, Blitze, Lampen, das ganze Programm." Im Eingangsbereich warten bei Bier und Zigarette Männer jeden Alters, die Brieftaschen stecken tief in die Innentaschen der Blousons. Eine Hochzeit kostet heutzutage mindestens zehntausend Euro, teilt die AVR Messe- und Veranstaltungs GmbH mit. Jemand vom "Sixt"-Limousinen-Service verteilt Flugblätter. Die Stunde Limousine kommt 99 Euro, Champagner und Fernsehen inklusive. Oliver Mischak fummelt an den Reglern. Dann kommt Like a virgin.

Esther Kogelboom

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