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Richtungsweisend.

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Pro & Contra: Braucht Berlin ein Integrationsgesetz?

Berlin will Migranten in allen Bereichen besser integrieren. Doch ein dafür geplantes Gesetzesvorhaben stößt auf Kritik. Ein Pro & Contra

Von Fatina Keilani

Berlin will seine Migranten besser integrieren – nur wie? Das wird derzeit heftig diskutiert. Berichte über ein angeblich vom Senat geplantes Integrationsgesetz, mit dem Migranten zum Beispiel bei der Bewerbung um Jobs im öffentlichen Dienst bevorzugt werden sollen, bewahrheiteten sich so nicht. Dies wäre juristisch auch sicher problematisch. Dass es aber einen politischen Plan für mehr Integration gibt, ist unstreitig.

„Es geht uns darum, Benachteiligungen abzubauen, nicht darum, Bevorzugungen festzuschreiben“, betonte Anja Wollny, Sprecherin von Integrationssenatorin Carola Bluhm (Linke). Es gebe auch noch gar keinen Gesetzentwurf, nur ein internes Arbeitspapier. Ziel sei es, mit den Diskussionen über den Inhalt bis Jahresende durch zu sein.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist da ehrgeiziger, zeitlich wie inhaltlich. Was ihm vorschwebt, könnte man schleichende Beteiligung nennen. Die Bezeichnung Integrationsgesetz sei irreführend, sagt sein Sprecher Richard Meng. Genaue Inhalte seien zwar nicht bekannt, aber eins sei gewiss: „Das wird ein Artikelgesetz, das heißt, durch dieses Gesetz werden ganz viele Berliner Gesetze geändert.“ Es gehe darum, den Integrationsgedanken überall zu verankern. Ein buntes Spektrum sei denkbar: Von verstärkten Anstrengungen für Qualifikation und Bildung, die im Schulgesetz festgeschrieben werden könnten, bis hin zu einer Änderung der Bestattungsordnung, die eine Beerdigung auch ohne Sarg und vor Ablauf von 48 Stunden ermöglichen könne. Außerdem wolle man auch die letzten, sich noch weigernden Bezirke dazu bringen, Ausländerbeiräte einzurichten. Der Zeitplan sei straff: „Wowereit drängt darauf, dass das Gesetz noch dieses Jahr beschlossen wird“, sagt Meng.

Der Integrationsbeauftragte Günter Piening hält eine gesetzliche Regelung für sinnvoll, um Migranten stärker zu beteiligen. In anderen Ländern bilde der öffentliche Dienst viel stärker die Zusammensetzung der Bevölkerung ab als bei uns. Ein Problem sei aber weiterhin, dass manche Änderungen auf Bundesebene gemacht werden müssten, was jedoch die konservative Regierung verweigere. Speziell die Thematik der Geduldeten: „Von den palästinensischen Jugendlichen in der Rütli-Schule waren viele nur geduldet und durften deshalb keine Ausbildung machen“, so Piening. „Wie soll man ihnen klarmachen, dass sich Anstrengung in der Schule trotzdem lohnt ?“ Erst seit vergangenem Jahr sei es auch für sie möglich, eine Ausbildung zu machen.

„Das Ziel ist ja richtig, aber um es zu erreichen, braucht man kein Gesetz“, sagt Pienings Amtsvorgängerin Barbara John, jahrzehntelang Berlins Ausländerbeauftragte. „Man kann seine Stellenausschreibungen entsprechend formulieren, etwa dass man jemanden mit bestimmten Sprachkenntnissen sucht.“ Das sei auch viel besser für das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen deutschen Bewerbern und Migranten. Es hätten längst nicht alle Migranten spezielle Förderung nötig; Asiaten seien oft besser qualifiziert als Deutsche.

Die CDU trauert mittlerweile Barbara John nach: „Wäre sie geblieben, dann wäre Berlin heute schon weiter“, so der CDU-Politiker Kurt Wansner. Ein Integrationsgesetz brauche man nicht, meint auch er. „Man muss die Kinder an den Schulen qualifizieren, damit sie bei Bewerbungen mithalten können.“ Also Bewerbungsseminare veranstalten, Einstellungsgespräche durchspielen.

Die Grünen-Politikerin Canan Bayram hat das Thema Migranten im öffentlichen Dienst selbst erlebt, als sie noch im Bundesumweltministerium arbeitete. „Da leistet man Pionierarbeit“, sagt sie. „Aber wenn man erst einmal in die Inhalte einsteigt, tritt die Herkunft zurück.“ Es geht also darum, überhaupt erst einmal reinzukommen. Rechtsanwältin Bayram hat es geschafft. Sie weiß auch, dass viele Migranten sich selbst im Wege stehen, indem sie denken: „Die wollen mich sowieso nicht. Ich habe ohnehin keine Chance.“

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PRO

Berlin läuft seiner eigenen Entwicklung hinterher: Ein Viertel der Einwohner kommt aus Einwandererfamilien, im öffentlichen Dienst etwa machen Migranten aber nur rund zehn Prozent der Mitarbeiter aus. Auch in der Lehrerschaft, die zum Teil vor Klassen mit 80 Prozent Kindern nicht-deutscher Herkunft steht, sind Migranten weit in der Minderheit.

Ein Integrationsgesetz ist deshalb dringen nötig – und zwar keines, in dem es einfach eine Quote gäbe, die Migranten in der Einstellung bevorzugt. Das wäre weder verfassungsrechtlich möglich noch kann es politisch gewollt sein. Es müsste vielmehr darum gehen, Maßnahmen zur Befähigung und Gleichberechtigung von Menschen mit Migrationshintergrund so zu verankern, dass sie im Alltag auch greifen. Das kann bei Sprachförderung im Kindesalter anfangen und bei der Änderung der Bestattungsordnung aufhören.

So würde ein Integrationsgesetz zum einen dazu beitragen, positive Vorbilder zu schaffen. Zum anderen wäre es ein Signal des Respekts vor der Lebenswelt vieler Berliner. Es würde zeigen, dass die Stadt Integrationspolitik ernst meint und nicht immer nur den nächsten Runden Tisch veranstaltet. Ein gutes Integrationsgesetz wäre dabei nur solange nötig, bis es sich selbst überflüssig macht. Wenn Integration für Deutsche und Migranten alltäglich wird, braucht Berlin kein Gesetz mehr. Patricia Hecht

CONTRA

Im Dezember hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit neue Denkweisen in der Integrationspolitik gefordert und den mangelnden Aufstiegswillen in vielen Familien kritisiert. Mit einem Integrationsgesetz oder einer Ergänzung in allen Gesetzen, dass man ja auch ganz sicher die Integration im Auge hat, wird man diesen Willen aber nicht stärker herauskitzeln. Und ein Gesetz, das den Bürgern oktroyiert, wie gut und liberal diese Gesellschaft ist, braucht niemand, sondern ist reine Makulatur: Ein politisches Bekenntnis für eine effektive Zuwanderungspolitik für beide Seiten, wie sie in Kanada oder in den USA praktiziert wird, sieht anders aus. Es geht in der Integrationspolitik um die Frage, wie man Migranten fördert, und was man von ihnen fordert. Diejenigen, die willens sind, sich integrieren zu lassen, wissen ohnehin, dass sie Integration nur schaffen, wenn sie Bildungschancen nutzen und ihre Sprachkompetenz ausbauen, also: die deutsche Sprache erlernen. Kein Gesetz kann die Migranten zur gesellschaftlichen Teilhabe zwingen, wenn sie nicht wollen. Mehr Migranten im öffentlichen Dienst einstellen, bei der Polizei, der Feuerwehr, in den Schulen: Das ist alles richtig, zuerst aber zählt die Qualifikation. Das gilt im Übrigen auch für die Forderung, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Nur Frau zu sein reicht nicht. Und nur Migrant zu sein reicht eben auch nicht. Sabine Beikler

Was meinen Sie: Braucht Berlin ein Integrationsgesetz? Rufen Sie heute zwischen 8 und 23 Uhr an. Wenn Sie dafür sind, wählen Sie 0137-20 33 33 - 1. Sind Sie dagegen, wählen Sie 0137-20 33 33 - 2 (14 Cent pro Anruf). Das Ergebnis veröffentlichen wir am Dienstag. Diskussion im Internet unter: www.tagesspiegel.de/berlin

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