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Pro & Contra: Jede Stimme soll zählen

Das Kita-Begehren gab den Anstoß. Mit dem Sieg der Initiatoren vor dem Berliner Verfassungsgericht wurde die direkte Demokratie gestärkt. Der Verein "Mehr Demokratie" fordert jetzt die Streichung des 25-Prozent-Quorums bei Volksentscheiden. Ein Pro & Contra.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Für engagierte Leute, die etwas durchsetzen wollen, ist die Bilanz frustrierend. In Berlin gab es bisher 17 Volksbegehren, vier weitere Kampagnen laufen noch. Nur in zwei Fällen – wir erinnern uns: Tempelhof und Pro Reli – kam es zum Volksentscheid. Beide Abstimmungen scheiterten schon deshalb, weil sich zu wenig Berliner am Volksentscheid beteiligten. Das gesetzliche Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten wurde nicht erreicht.

Der Verein „Mehr Demokratie“, der sich bundesweit für eine direkte Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung und der politischen Meinungsbildung einsetzt, fordert deshalb, bei Volksentscheiden auf jedes Quorum zu verzichten. „Bei den Unterschriftensammlungen, die dem Entscheid vorgeschaltet sind, soll es bleiben“, sagt Michael Efler, der im Vorstand des Landesverbands Berlin-Brandenburg von „Mehr Demokratie“ sitzt. Gewisse Hürden müsse es ja geben, damit nicht jeder Unsinn zur Abstimmung kommt. Für den Volksentscheid selbst solle aber gelten: Wer bewusst auf seine Stimmabgabe verzichtet, muss das Votum der Teilnehmer akzeptieren. Auch wenn es nicht viele sind. Zudem gebe es bei Parlamentswahlen auch keine Quoren.

Der Gesetzgeber sieht das anders. Das Landesverfassungsgericht auch. In den jüngsten Urteilen zur Volksgesetzgebung in Berlin wird die Schutzfunktion der Quoren hervorgehoben. Erstens, um Abstimmungen zu offensichtlich verfassungswidrigen Fragen zu verhindern. Zweitens, um zu vermeiden, dass sich „Sonderinteressen, die das Gemeinwohl ignorieren“, durchsetzen. Voraussetzung dafür ist, sagen die Richter, dass der mündige Bürger wirklich existiert, der für rechtswidrige oder abseitige Forderungen seine Stimme nicht hergibt.

Im bundesweiten Vergleich liegt Berlin mit seinem Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten ungefähr in der Mitte. Bayern, Hessen und Sachsen kommen ohne Zustimmungsquorum aus. In der Schweiz, dem Mutterland der Volksdemokratie, gibt es übrigens auch keine Quoren. In Hamburg wird die Zahl der notwendigen Jastimmen für einen erfolgreichen Volksentscheid an die jeweilige Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl gekoppelt. In den übrigen Ländern schwanken die Quoren zwischen 15 (Niedersachsen) und 50 Prozent (Saarland).

Auf die geltende Hürde von 25 Prozent hatten sich alle fünf Fraktionen im Abgeordnetenhaus 2006 verständigt. Damals wurde die Berliner Verfassung noch in anderen Punkten verändert, um die bis dahin sehr hohen Hürden für Volksbegehren und -entscheide zu senken. Seitdem sprießen die Kampagnen aus dem Boden. Vorreiter der Reform waren Grüne, Linke und FDP, während sich CDU und SPD mit dem Instrument der direkten Demokratie traditionell schwer tun. Immerhin kam der Landesparteitag der SPD gestern den Trägern des Kita-Volksbegehrens entgegen: In einem Beschluss forderte er Senat und SPD-Abgeordnetenhausfraktion auf, den Trägern und dem Kita-Bündnis ein Gesprächsangebot zu machen. Da das Volksbegehren „dem bildungspolitischen Leitbild“ der Berliner SPD entspräche, solle sichergestellt werden, dass alle wichtigen Forderungen erfüllt und im Doppelhaushalt 2012/13 finanziell unterlegt werden.

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