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Problembezirke: Auch Reinickendorf wird jetzt zum Krisenbezirk

Die Berliner Behörden müssen mehr und mehr Familien betreuen. Die Jugendstadträte streiten um Verteilung der Mittel. Kippt die Sozialstruktur in dem Bezirk?

Die sozialen Probleme nehmen zu, und zugleich fehlt das Geld, um sie einzudämmen. Nach Spandau droht jetzt die Sozialstruktur in einem weiteren bislang als gutbürgerlich eingestuften Bezirk zu kippen. Reinickendorf musste in diesem Jahr rund sechs Millionen Euro mehr für Hilfen zur Erziehung ausgeben. Unterdessen hat die Mehrheit der Berliner Jugendstadträte neben Steglitz-Zehlendorf auch Spandau und Mitte die Mittel gekürzt.

Während der Problembezirk Neukölln nach der Neuverteilung nur 3,2 Millionen Euro mehr für 2008 erhält, geht der höchste Zuschlag mit 6,2 Millionen an Reinickendorf. Dort sind die Kosten für die Hilfen zur Erziehung bereits in diesem Jahr in dieser Größenordnung gestiegen. Grund ist der Zuzug von Problemfamilien aus Wedding und Neukölln insbesondere in leer stehende Wohnungen im Märkischen Viertel, sagt Jugendstadtrat Peter Senftleben (SPD). Aber auch Reinickendorf-Ost, Tegel-Süd und der Bereich um die Auguste-Viktoria-Allee entwickeln sich zu Problemgebieten. Mit Projekten wie dem Umbau einer ehemaligen Kita in der Stargardtstraße zu einem Familien- und Nachbarschaftszentrum versucht der Bezirk gegenzusteuern.

Auch die Zahl von Meldungen vermeintlicher Vernachlässigungen über die Kinderschutzhotline hat deutlich zugenommen. Rund 50 Anrufe aus Reinickendorf gehen hier monatlich ein, bei etwa der Hälfte der gemeldeten Fälle müssen die Behörden eingreifen, so Senftleben. Dabei stehen die Mitarbeiter des Jugendamtes unter doppeltem Druck. In drei inzwischen eingestellten Ermittlungsverfahren überprüfte die Staatsanwaltschaft ihr Handeln, ein Disziplinarverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Senftleben schließt deshalb nicht aus, dass die Beamten jetzt noch schneller zu härteren Maßnahmen greifen.

Neben dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf, dem, wie berichtet, 5,5 Millionen gestrichen wurden, mussten auch Spandau (2,1 Millionen) und Mitte (zwei Millionen) deutliche Kürzungen der für 2008 vorgesehenen Mittel für die Erziehungshilfen hinnehmen. Damit traf die Entscheidung der Konferenz der Jugendstadträte genau die drei Bezirke, deren Dezernenten an der entscheidenden Sitzung nicht teilnahmen. Während der Rat der Bezirksbürgermeister den Neuverteilungsplan anschließend ablehnte, wurde er im Abgeordnetenhaus dennoch beschlossen.

In Spandau wirft die CDU der Jugendstadträtin Ursula Meys (SPD) vor, versagt zu haben. Die Bezirkspolitikerin verweist darauf, dass sie ihre Position im Vorfeld der Sitzung deutlich gemacht hatte und der „inakzeptable“ Neuverteilungsplan von anderen Bezirken völlig überraschend vorgelegt wurde. Im Bezirk, den Sozialstadtrat Martin Matz (SPD) bereits im Frühjahr zum Krisengebiet erklärt hatte, ist die Zahl der Problemfälle laut Meys in diesem Jahr um etwa 15 Prozent auf rund 1000 gestiegen. Dazu zählen viele Erstklässler, die man wegen ständiger Randale von der Schule nehmen musste. Die Kürzungen würden nun dazu zwingen, in jedem Einzelfall noch stärker zwischen der Einzelhilfe für die betroffene Familie und der wesentlich teureren Unterbringung der Kinder in Einrichtungen mit angegliederter Schule abzuwägen, so die Dezernentin.

Dass es die Bezirke der abwesenden Stadträte traf, sei keine Absicht gewesen, sagt Peter Senftleben. Nach dem bisherigen Verteilerschlüssel des Senats wäre es nicht weitergegangen, betont Peter Senftleben. Danach hätten 2008 Reinickendorf sieben und Neukölln knapp fünf Millionen Euro weniger erhalten, als sie bereits in diesem Jahr aufwenden mussten. Für Steglitz-Zehlendorf seien dagegen knapp fünf Millionen Euro mehr vorgesehen gewesen. Für 2009 wollen die Jugendstadträte ein neues Berechnungsmodell entwickeln. Dagegen fordert in Spandau Ursula Meys bereits für den Etat des kommenden Jahres Nachverhandlungen.

Rainer W. During

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