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Handarbeit. Zum Team gehören unter anderem Hassan Aji, Daniel Seiple, Nawras Alwali und Hanna Aljarada (v.li.). Im September wollen sie fertig sein.

© Sebastian Mayer/promo

Projekt "Making Waves": Vom Flüchtlingsboot ins Motorboot auf der Spree

In Lichtenberg werkelt ein US-Künstler mit Geflüchteten an einem Motorboot. Sie wollen Wellen erzeugen, nicht nur auf dem Wasser. Ein Besuch.

Hassan Aji ist mit dem Flugzeug nach Berlin gekommen. Der junge Syrer hatte es zunächst zu Fuß versucht, er wollte von Griechenland nach Deutschland, doch die albanische Polizei schickte ihn zurück nach Athen. Dort hat er sich einen gefälschten griechischen Pass machen lassen und einen Flug nach Berlin gebucht. Am Flughafen wurde er von der Polizei auf Griechisch angesprochen. Da er die Sprache nicht beherrscht, zweifelte man an seinen Dokumenten und er durfte nicht ins Flugzeug steigen. Er versuchte es erneut – und wurde wieder zurückgewiesen. Dann, beim dritten Versuch, die Eltern hatten noch einmal Geld aus Syrien geschickt, wurde er von niemandem angesprochen. Nur wenig später landete seine Maschine in Berlin.

Dies ist nur ein kleiner Abschnitt seiner langen Reise. Als den gefährlichsten Part seiner Flucht beschreibt er die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland. Auf einem Boot mit 45 anderen Geflüchteten. Hier in Berlin arbeitet der gelernte Zahntechniker nun in einem Café in Charlottenburg, er wohnt in einem Heim und: er baut ein Motorboot. Zusammen mit anderen Geflüchteten ist Aji Teil des Projekts „Making Waves“ des US-Künstlers Daniel Seiple. Der hatte die Idee mit dem Bootsbau, weil nun mal viele Geflüchtete im Laufe ihres Weges in einem Boot sitzen.

20.000 Euro durch Spendengelder

Im September soll das Motorboot fertig sein, über Spendenaktionen sind 20.000 Euro zusammengekommen. Noch arbeitet Seiple mit den drei Syrern in seiner Atelierwerkstatt in Lichtenberg an Boot-Modellen, zudem müssen zunächst einige Fertigkeiten erlernt und viele Planungen erledigt werden. Einen großen Raum zum Bau des echten großen Motorboots haben sie schon. Die Hallen der „Bildhauerwerktstatt“ des Bildungswerks in Wedding stehen ihnen zur Verfügung. Dort gibt es auch das nötige Werkzeug. Bisher hat noch keiner von ihnen ein Boot gebaut. Nur Seiple hat Vorkenntnisse. Er hat 2016 mal an der Rekonstruktion des historischen Salonschiffs „Don Juan“ mitgewirkt. Dieses diente 2013 Queen Elizabeth für eine Spree-Fahrt, erzählt der Künstler. Alle Teilnehmer seines Projekts geben an, gerne mit Holz zu arbeiten und sind engagiert bei der Sache. Neben den drei Syrern kommen gelegentlich noch andere potentielle Bootsbauer vorbei, doch die drei stellen das Kernteam. Jeder ist herzlich eingeladen, mitzuarbeiten oder nur vorbeizuschauen.

Alwali hatte Angst, im Mittelmeer zu sterben

Nawras Alwali macht auch mit. Er hat im Flüchtlingsheim einen Holzschnitt-Workshop gegeben. Dort wurde der 36-Jährige von Seiple angesprochen und war sofort begeistert von der Idee, ein Motorboot zu bauen. Auch er ist mit einem Boot von der Türkei nach Griechenland gelangt. Beim zweiten Versuch hat es geklappt. Beim ersten Mal, das Schiff stand schon halb voll mit Wasser, haben sie den Versuch nach zehn Minuten abgebrochen. Dann haben sie es mit weniger Personen (28) versucht, doch das Boot lief wieder voll, vor allem wegen dem starken Regen auf hoher See, der plötzlich einsetzte. Alwali hatte große Angst, im Mittelmeer zu sterben. Doch er hat es geschafft, die letzten 50 Meter zur türkischen Küste musste er schwimmen. Die Überfahrt hat ihn 800 US-Dollar gekostet. Dann weiter, mit einer Gruppe von Syrern durch die Türkei, Mazedonien, Serbien, Ungarn – dort saßen sie drei Nächte im Gefängnis. Dann von Budapest mit einem Auto nach Passau, von dort mit dem Bus nach Berlin, wo sich Alwali offiziell meldete. In Syrien hat er in der Verwaltung eines Hotels gearbeitet. In Deutschland würde er gerne Tischler oder Physiotherapeut lernen.

Die bekannten "Armutsnarrative der Flüchtlingskrise"

„Making Waves“ beruht auf der Idee, dass gemeinsames handwerkliches Schaffen eine besondere Kraft für erhöhte Mobilität freisetzt. Sein Projekt, so erzählt Seiple, hat zum Ziel, mit den bekannten „Opfer- und Armutsnarrativen der Flüchtlingskrise zu brechen.“ In den Medien, in der Politik und auch bei den Hilfsorganisationen würden die schablonenhaften Bilder von „Flüchtlingen“ in orangefarbenen Westen auf einem überladenen Boot zirkulieren. Zu sehen sei eine Masse, so Seiple, nicht die Menschen dahinter und ihre Geschichten, ihre Kenntnisse, ihre Gedanken und Fähigkeiten. Zum Beispiel die Fähigkeit, ein hochwertiges Motorboot bauen zu können. Daniel Seiple will auch zeigen, wie viel Potenzial in den Geflüchteten steckt.

Aber Geflüchtete, die mit einem Boot die Spree entlangschippern? Manchen mag das befremdlich erscheinen – mit eben diesen Reaktionen arbeitet das Projekt „Making Waves“. Betrachter sollen ihre Blickwinkel und Vorstellungen hinterfragen. Und es geht darum, ein Boot zu bauen, etwas zu tun, nicht nur dazusitzen und zu warten, was wird. Vielleicht, so diskutieren sie noch, werden sie das Boot auch wieder verkaufen. Oder auf diesem Workshops und Informationsveranstaltungen anbieten. Doch vorher müsste noch einer von ihnen einen Bootsführerschein machen. Vermutlich wird das Projektleiter Seiple selbst übernehmen.

„Ob wir bleiben dürfen, entscheidet die Politik“

Auch Hanna Aljarada macht mit bei dem Workshop. Er ist allerdings nicht mit dem Boot gekommen, sondern hatte ein Studentenvisum der Freien Universität Berlin. Er konnte das Flugzeug nehmen. Nach Ablauf seines Visums hat er einen Asylantrag in Berlin gestellt. In Syrien hat er Pharmazie studiert. In Deutschland darf er nicht als Apotheker arbeiten, sein Zeugnis wurde noch nicht anerkannt.

„Ob wir bleiben dürfen, entscheidet die Politik“, sagt Alwali. „Und die Lage in Syrien“, ergänzt Aji. Wenn man sehr gut deutsch spreche und einen Job habe, dann dürfe man für immer hierbleiben - so wurde es ihnen irgendwo erzählt und sie glauben daran. Auch, wenn sie wissen, dass das so nicht stimmt. Sie lachen, wenn sie davon sprechen, wie freie Menschen lachen. Doch sie sind nicht frei, noch nicht. Sie werden vielleicht nur mal mit einem selbstgebauten Motorboot über die Spree fahren – symbolisch für die Freiheit, die es für sie geben könnte. Nur einmal selbst Wellen erzeugen, bevor eine große politische „Welle“ kommt, die sie zurück in ihre Herkunftsländer schickt – und sie dadurch erneut politisches Treibgut werden könnten.

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