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Eine Frage des Faktors. Jeremy Klemens benotet Berliner Plätze.

© Kitty Kleist-Heinrich

Projekt zur Kategorisierung: Wo Berlins schönste Plätze sind

Lassen sich Berlins Stadtplätze objektiv miteinander vergleichen? Student Jeremy Klemens ist davon überzeugt und hat den K-Faktor erfunden.

Schepper, klirr – jemand hat wieder eine Flasche versenkt. Fünf hässliche Glascontainer mitten ins Hör- und Sichtfeld der Parkbesucher zu stellen, geht gar nicht. Klarer Punktabzug. Jeremy Klemens – filigraner Bart, Mozartzopf, braune Augen – hat seinen Leitz-Ordner mitgebracht, da steht alles drin, was man zum Hohenstaufenplatz in Kreuzberg wissen sollte. Insgesamt schneidet der Platz ziemlich gut ab, 4,01 von fünf Punkten. Damit liegt er fast gleichauf mit dem Arkonaplatz in Mitte. Nur die Rüdesheimer Straße ist noch 0,27 Punkte attraktiver.

Solche Zahlen kannte man bisher nicht. Berliner Plätze sind schön oder hässlich, verwahrlost oder gepflegt, verkehrsumtost oder abgeschieden – aber von ihrem K-Faktor ahnte niemand etwas. Den hat Jeremy Klemens erfunden, 24 Jahre, Student der Beuth-Hochschule in Wedding. K steht für Kommunikation. Kriterien wie Bepflanzung, bauliche Einfassung, Sauberkeit, Nutzungsmöglichkeiten und Erreichbarkeit bündelt und gewichtet er zur Ermittlung dieses Faktors. Das Tolle daran: Plätze erhalten eine objektive Note, lassen sich vergleichen – ihre Stärken und Schwächen sind erstmals transparent.

Arbeit bringt ihm Nominierung für "Polis Award"

Dem K-Faktor hat Klemens seine Bachelorarbeit gewidmet, und weil das Konzept eine Fachjury überzeugte, erhält er am Donnerstag den Preis der Baukammer Berlin. Für den „Polis Award“ 2017 ist er nominiert. Das gibt prächtigen Rückenwind für die weitere Karriere, und bei der aktuellen Personalnot in den Planungsstuben deutscher Städte, speziell Berlins, könnte auch ein interessanter Job dabei herausspringen.

Inspiriert habe ihn die Plätze-Serie des Tagesspiegels aus dem Jahr 2012, erzählt Klemens, damals stellte die Redaktion 15 reichlich ramponierte Plätze und Möglichkeiten vor, sie aufzuwerten. Dass es bisher keinen objektiven Bewertungsrahmen für Plätze und Straßen gab, fiel damals niemandem auf. Fast niemandem.

Spielplatz mit Mauer - Pluspunkt

Der Hohenstaufenplatz ist Städtebau-Gourmets bislang nicht weiter aufgefallen. Eine Grünfläche mit Spielplatz am Kottbusser Damm – na und? Seine Qualitäten offenbaren sich erst bei einem Rundgang. Es gibt ein „Merkzeichen“, die Methodistische Christus-Kirche in der Dieffenbachstraße – leider ist die Kirche schlecht einsehbar – Punktabzug. Der Spielplatz hat eine Mauer, die Schutz bietet und zugleich Sitzgelegenheit – Pluspunkt. Auf der Negativseite steht die fehlende Beleuchtung. Positiv sind die vielen Bänke und eine angemessen hohe Platz-Einfassung durch die umliegenden Häuser.

Menschen werden nicht befragt

Menschen auf dem Platz befragt der Student nicht. Das ist vielleicht das einzige Manko seiner Methode. Klemens studiert Infrastrukturplanung, keine Sozialwissenschaften. Weil er mit Zahlen arbeitet, führt seine Analysetechnik immerhin zu einer klaren Rangfolge von Plätzen. Sechs hat er bislang untersucht, die beste Punktzahl erhielt die Rüdesheimer Straße, die schon von der „New York Times“ zu den zwölf schönsten Straßen Europas gerechnet wurde. Während bei Ranglisten von Instituten oder Medien immer der Verdacht interessengeleiteter Methodik oder oberflächlicher Analyse mitschwingt, könnte sich aus dem K-Faktor unter Umständen sogar ein international anerkanntes Prüfungsinstrument entwickeln.

Auf Berliner Plätzen gibt es jede Menge Defizite, nur sauber ermittelt und aufgeschrieben wurden sie bislang nur in Einzelfällen. Das Zeugnis für den Kurt- Schumacher-Platz in Reinickendorf fällt erwartungsgemäß schlecht aus. 2,59 Punkte, letzter Platz. Als er dort ankam, habe er den eigentlichen Platz erst mal gar nicht gefunden, erzählt Klemens. Schon mal ein schlechtes Zeichen.

Plätze sind in Berlin keine Treffpunkte

Viele Berliner Plätze, einst von königlich-preußischen Baumeistern als Repräsentanz eines ganzen Viertels angelegt, wurden im Krieg verwüstet, in der Nachkriegszeit autogerecht umgebaut und später durch jahrelanges Sparen an der Pflege bis zur Unkenntlichkeit vernachlässigt. Das gilt für beide Stadthälften. Menschen treffen sich an solchen Plätzen schon lange nicht mehr, sie überqueren sie einfach, um von A nach B zu kommen. Diese Unbehaglichkeit von Plätzen macht sie oft auch zu Orten der Angst.

Beispiel Hermannplatz. Der wird vor allem als Verkehrsknoten wahrgenommen. Der Versuch, auf der breiten Mittelinsel einen Marktplatz einzurichten, hat zwar funktioniert, aber sich hinsetzen und plaudern kann man hier nur sehr eingeschränkt. Das soll durch die Verlegung des Autoverkehrs auf eine Seite des Platzes verbessert werden. Die Planungen dafür liegen seit Jahren in der Schublade.

Und welcher Platz steht auf seiner persönlichen Rangliste ganz oben? Klemens, ganz neutraler Wissenschaftler, hält sich da bedeckt. Er selber wohnt gar nicht in Berlin, pendelt jeden Tag aus Großziethen in die Stadt. Dort lebt er bei seinen Eltern, das spart Miete. Sein Wohnumfeld kann man sich bei begrenztem Budget eben nicht unbedingt aussuchen, deshalb ist der K-Faktor eine Herausforderung für alle Bezirke.

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