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Kurfuerstenstrasse

© Ullstein-Volkreich

Prostitution: Knigge für den Straßenstrich

Die Szene an der Kurfürstenstraße ist rauer geworden, seit Prostituierte aus Osteuropa dort arbeiten. Benimmkurse haben das Klima etwas verbessert. Aber die Stellen der Sozialarbeiterinnen sind befristet.

Heiligabend, kurz nach 18 Uhr. Auf der Kurfürstenstraße spiegelt sich das Licht von Autoscheinwerfern in den Pfützen des Asphalts. Es sind wenige Autos, die an diesem Abend hier vorbeikommen. Hinter den hell erleuchteten Fenstern der Häuser bescheren sich Familien, Paare und Freunde, in der Apostelkirche liest der Pfarrer aus der Weihnachtsgeschichte. Draußen, im sanften Nieselregen, steht Jacqueline an der Ecke Frobenstraße und wartet. Sie wartet hier schon seit morgens ums elf. Jacqueline – schulterlanges blondes Haar – trägt eine dicke Daunenjacke, Jeans und knöchelhohe Schneeschuhe mit Plateausohle. Keine aufreizende Kleidung, keine Lackstiefel zum Minirock – dass Jacqueline hier ihren Körper verkauft, merkt man nur daran, dass sie seit Stunden am Bordstein an der Kurfürsten-/Ecke Frobenstraße steht: hier, am wohl ältesten Straßenstrich der Stadt, an der Grenze zwischen Tiergarten und Schöneberg.

„Scheiße läuft’s“, sagt Jacqueline, 36, die in Wirklichkeit nicht Jacqueline heißt, aber sich wenigstens ein wenig Würde bewahren möchte und deshalb ihren richtigen Namen nicht nennt. „Einen einzigen Freier hatte ich heute erst.“ Wenn Jacqueline spricht, bleiben ihre blau geschminkten Augenlider halb geschlossen. Sie ist auf Heroin. Deshalb steht sie seit sechs Jahren hier auf dem Drogenstrich. Sie muss sich durch das Geld mit dem schnellen Sex ihren nächsten Schuss finanzieren. Sie sagt, an Weihnachten laufe das Geschäft eben schlechter. Viel schlimmer sei aber, dass es „generell schlechter“ laufe, seit sich die osteuropäischen Huren vor gut eineinhalb Jahren „hier breitgemacht haben und uns alteingesessenen Prostituierten verdrängen“. Außerdem betrieben die Osteuropäerinnen „Preisdumping“. Rund 25 Euro verlangen die Drogenhuren von ihren Freiern, „die Bulgarinnen machen’s aber schon für 15 Euro“, sagt Jacqueline.

Es war ein Aufschrei durch den Kiez gegangen, als im Spätsommer 2007 plötzlich osteuropäische Frauen – die meisten aus Bulgarien oder Rumänien – den Straßenstrich bevölkerten und ihre Dienste anboten. In aufreizenden Kleidern und Posen kamen sie, um zumeist vor dem Erotikkaufhaus LSD (Love, Sex, Dreams) zu stehen. Anwohner, Gewerbetreibende, Familien und Kita-Erzieherinnen klagten über die aggressivere Art der Straßenprostitution der Osteuropäerinnen, die nicht davor zurückschreckten, männliche Passanten anzuquatschen oder gar die Türen der an der Kreuzung haltenden Autos aufrissen, um den Fahrern Sex anzubieten. War die Straßenprostitution bis dahin eher unauffällig, so kippte die Stimmung plötzlich. Die Bulgarinnen scherten sich nicht um die rund 200 Meter „Schamabstand“ zwischen den Stellplätzen der Kurfürstenstraße zur belebten Potsdamer Straße. Von Brüllereien, gewalttätigen Szenen auf der Straße und offenem Geschlechtsverkehr in der zweiten Reihe war die Rede.

Das Ganze eskalierte, als bekannt wurde, dass ein privater Investor aus Westdeutschland in den oberen Etagen des LSD-Hauses ein Großbordell, ein sogenanntes Laufhaus, mit 40 Zimmern errichten will. Bürgerinitiativen und -sprechstunden wurden gegründet, Unterschriften dagegen gesammelt, der Bezirk genehmigte das Laufhaus nicht. Der Investor klagte. Nun liegt die Sache beim Verwaltungsgericht – frühestens Anfang 2009 ist mit einer Entscheidung zu rechnen. Doch wie ist die Lage nun im Kiez, mehr als ein Jahr nachdem die Osteuropäerinnen hergekommen sind?

„Es ist ruhiger geworden. Durch unsere Projekte hat sich viel getan“, sagt Jörg Krohmer vom Quartiersmanagement (QM) Magdeburger Platz. Es sei viel „hysterisiert worden“ von den Anwohnern. Viele der Geschichten, von bulgarischen Huren, die Passanten aggressiv in den Schritt fassten, oder von ihren „Aufpassern“ – früher nannte man sie Zuhälter – an den Haaren über den Asphalt geschleift wurden, würden wie eine Legende weitererzählt. Außerdem wisse so gut wie jeder, der hierherzieht, worauf er sich einlässt. Den Straßenstrich als solchen bekomme man hier eh nicht weg, sagt er. Doch statt über die Situation zu klagen, werbe das QM dafür, dass die Bürger etwas für ihren Kiez tun, sich mehr einbringen und durch Projekte die Schönheit des Kiezes wieder herausstellten.

Dass sich die Lage beruhigt haben soll, sieht Michaela Klose vom Frauentreff „Olga“ in der Kurfürstenstraße anders. Sie kümmert sich in der Kontakt- und Beratungsstelle um drogenabhängige Frauen und Prostituierte. Erst Anfang Dezember sei wieder ein „neuer Schwung Bulgarinnen“ hergekommen. Sie breiteten sich immer mehr aus im Kiez. Nicht nur vorm LSD an der Ecke Potsdamer Straße und in der Kurfürstenstraße stünden sie jetzt, sondern seien sogar wieder zur Lützowstraße vorgedrungen. Zwar habe man das Problem im vergangenen Jahr gut in den Griff bekommen, doch Michaela Klose sieht die Gefahr, dass die Stimmung bald wieder kippen könnte. Denn bis vor kurzem noch waren zwei Sozialarbeiterinnen, die dolmetschen konnten, ständig im Einsatz: Sie hätten mit den neu eingetroffenen Prostituierten aus Osteuropa regelrechte „Benimmkurse“ gemacht: Nicht nur Sexual- und Hygieneaufklärung, sondern auch Regeln, wie sie sich hier im Kiez zu verhalten haben. „Mithilfe der Dolmetscherinnen ist es gelungen, den Frauen klarzumachen, dass sie sich hier nicht so aggressiv verhalten können wie beispielsweise in Hamburg im Sperrbezirk.“ Doch die Finanzierung für die beiden Stellen läuft Ende dieses Jahres aus.

Wie es dann weitergeht, weiß Michaela Klose nicht. „Man muss hier immer wieder bei null anfangen. Kaum hatten wir einigen ein paar Regeln beigebracht, waren die schon wieder weg und es kamen Neue.“ Die Osteuropäerinnen kämen aus armen Dörfern in ihren Heimatländern. Die meisten böten hier in Berlin ihre Sexdienste an, um das schnelle Geld zu machen und damit ihre Kinder und den Rest der Familie in der Heimat zu finanzieren. „Über die Feiertage sind die fast alle weg, zu Hause, beim Ehemann und den Kindern. Aber danach werden sie wieder herkommen“, sagt Michaela Klose.

Fred Eichhorn, Wirt in Puschels Pub in der Potsdamer Straße, kennt den Kiez seit knapp 30 Jahren. Er engagiert sich im Quartiersrat, unter anderem auch, um das Problem mit der Ausweitung des Straßenstriches im Kiez in den Griff zu bekommen. „Teilweise standen die hier vorm Laden. Die quatschen meine Kunden an und am Ende heißt es für die: Was draußen stattfindet, findet auch in der Kneipe statt“, sagt der 47-Jährige. Er habe Sorge, dass der ohnehin durch den „normalen“ Straßenstrich und die Drogenszene belastete Kiez richtig kippe. Die osteuropäischen Frauen drängten anfangs auch in seinen Pub. „Die haben sich am Tresen einen Kaffee bestellt und nach fünf Minuten fingen die an, meine Kunden anzuquatschen.“ Inzwischen hat er einen Blick dafür und schickt die Frauen sofort raus. Sein Publikum sei gemischt, Stammkunden und viele Touristen, die hier Fußball auf Premiere schauten. „Die sich immer mehr ausweitende Prostitution ist schlecht für das Image der Gegend und fürs Geschäft", sagt Eichhorn.

Während Fred Eichhorn in Puschels Pub seinen Gästen Kekse vom Weihnachtsteller anbietet, steht Jacqueline noch immer an der Ecke Froben- und Kurfürstenstraße. Drei Minuten habe „die Nummer“ gedauert, die sie mit ihrem bislang einzigen Freier am Heiligabend hatte. 25 Euro hat sie für den Sex verlangt, aber der Freier habe ihr 30 gegeben – weil Weihnachten ist.

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