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Sündenmeile. Der Straßenstrich ist vielen ein Ärgernis.

© Doris Spiekermann-Klaas

Prostitution: Zum Strich auf der Kurfürstenstraße soll ein Bordell kommen

In den oberen Etagen des Erotikkaufhauses an der Ecke Potsdamer Straße soll ein Puff mit 48 Zimmern entstehen. Der Bezirk befürchtet den sozialen Abstieg des Viertels - nun befasst sich das Verwaltungsgericht mit der Frage.

Schon vormittags, kurz vor 10 Uhr, ist auf der Kurfürstenstraße einiges los. Autos fahren hier, zwischen Potsdamer Straße und Frobenstraße, so früh zwar nur wenige, dennoch haben sich auf den Gehwegen schon zwei Dutzend Frauen aufgereiht: Da ist Bettina*, Ende 40, rothaarig, etwas korpulent. Da wartet eine Enddreißigerin aus Süddeutschland in einfarbigen Klamotten, sie kommt immer zum Sommeranfang und bleibt, bis der Frost kommt. Und schließlich stehen da Sandra, Jessica und Maria* – schwarzhaarige Mädchen aus Ungarn, dort will sie keiner, die drei sind Roma. Zwei Frauen 50 Meter weiter wirken müde, zerkratzte, blaugefleckte Unterarme machen deutlich, was Berlins ältester Straßenstrich auch ist: ein Drogenstrich für das nächste Heroin. Spritzen liegen zwischen parkenden Autos.

Hier, Kurfürstenstraße Ecke Potsdamer Straße, soll direkt über dem Erotikkaufhaus und Pornokino L.S.D. ein Bordell entstehen, in dem Huren für ihre Arbeit ein Zimmer mieten. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat das abgelehnt, der Kiez sei schon voll mit käuflichem Sex. An diesem Mittwoch werden sich die Richter des Verwaltungsgerichtes dort umsehen, sie müssen entscheiden: Ist ein Bordell zumutbar, schließlich ist Berlin eine Metropole und die Kurfürstenstraße keine Kleingartenanlage? Oder zieht ein Laufhaus Drogen, Gewalt und den Abstieg des Viertels nach sich?

Die Kurfürstenstraße war schon vor 35 Jahren ein Strich, viele Huren waren noch Kinder, 14 Jahre alt, drogensüchtig. Christiane F. hat die Gegend in den 70er Jahren in ihrer Autobiografie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschrieben. Wer in diesem Teil der Stadt, an der Grenze zwischen Schöneberg und Tiergarten, wohnt, ist an die Prostituierten gewöhnt. Und doch ist das Klima vor ein paar Jahren anders geworden, als die europäische Einigung es Frauen aus Südosteuropa leichter machte, nach Norden aufzubrechen. Ungarinnen, Rumäninnen, Bulgarinnen haben deutsche Frauen zurückgedrängt, von fast 200 Frauen, die hier ihre Dienst anbieten, kommt die Hälfte aus Osteuropa. Jede zweite – unabhängig von ihrer Nationalität – braucht Drogengeld.

Im Frauentreff Olga, vor dessen Fenstern sich nachts die Frauen im Meterabstand aufreihen, helfen Sozialarbeiterinnen, Übersetzerinnen und eine Krankenschwester den Gestrandeten. Sie bieten Hilfe bei den Behörden, Gesundheitsberatung, Kondome. Krasser sei es in den vergangen ein, zwei Jahren nicht geworden, sagt Heike Krause vom Frauentreff, der Mix im Kiez sei einigermaßen ausgewogen, Altmieter, Läden, Huren. „Aber die Stimmung kann kippen“, sagt Krause.

In den vergangenen Monaten wurde nach Bürgerwehren gerufen, auch aus Angst vor Zuhältern. Anwohner beklagen die aufdringlichen ungarischen Mädchen. Einige Prostituierte fassten vorbeieilenden Passanten zudringlich in den Schritt. Im Frauentreff ist man diplomatisch: Man müsse, heißt es, einigen Damen schon mal erklären, dass man zwölfjährige Schüler nicht zu käuflichem Sex überreden sollte. Wird die Kurfürstenstraße leerer, wenn sich Frauen und Freier im nahen Bordell treffen, oder wird das Viertel dann die Rotlichtmeile der Hauptstadt – diese Frage müssen sich die Richter stellen. Hannes Heine

* Namen geändert

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