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Auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße haaren seit Tagen Flüchtlinge aus.

© dpa

Protest in Friedrichshain-Kreuzberg: Die Flüchtlinge auf dem Dach können nur verlieren

In Berlin darf nach dem Oranienplatz-Chaos kein neuer Präzedenzfall mehr entstehen – das weiß auch Innensenator Henkel. Er repariert die Regeln, die in Kreuzberg kaputt gegangen sind. Besser wäre ein anderes Asylrecht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Man kann nur hoffen, dass sie da oben auf dem Dach die Nerven behalten. Und dass sie gut beraten werden. Die Flüchtlinge, die das Hostel in Friedrichshain, in dem sie ein paar Wochen zu Hause waren, nicht verlassen wollen, täuschen sich über die Situation, in der sie sind. Sie glauben, sie hätten ein bisschen Macht durch ihren Hungerstreik. Sie meinen, sie machten Druck auf den Senat. Sie wollen auf eine verzweifelte Weise Politik machen. Doch müsste ihnen jeder, der es gut mit ihnen meint, dringend zur Aufgabe raten. Sie können in der Situation, in der sie sind, nur verlieren. Und für eine andere Flüchtlingspolitik wäre nichts gewonnen.

Wenn Henkel nachgibt, ist er erpressbar

Wenn eines klar ist, dann dieses: Der Senat, vor allem Innensenator Frank Henkel, kann und wird nicht nachgeben, sonst wäre er erpressbar. Nach dem Oranienplatz-Chaos und der Besetzung der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule kann sich Henkel nicht einmal auf Gespräche mit den Hungerstreikenden einlassen. Er muss sie durch Härte zur Aufgabe zwingen. Mindestens müssen die Flüchtlinge heraus aus der Öffentlichkeit. Alles andere wäre die Ermutigung aller Asylsuchenden zum öffentlichen Hungerstreik in Berlin.

Dass Henkel hier aufpassen muss, keine Präzedenzfälle zu schaffen, geben hinter vorgehaltener Hand sogar Grüne selbstverständlich zu. Klar: Der Innensenator von der CDU repräsentiert damit die Härte des gefühllosen Rechtsstaats. Er repariert die Regeln, die in Kreuzberg kaputt gegangen waren. Das werden ihm viele verübeln, vor allem die, die glauben, der Senat habe die Flüchtlinge vom Oranienplatz und aus der Hauptmann-Schule in die Irre geführt und eigene Versprechen gebrochen. Versprochen war ihnen „auf Antrag eine umfassende Prüfung der Einzelfallverfahren im Rahmen aller rechtlichen Möglichkeiten“. So steht es im Einigungspapier Oranienplatz. Das bedeutete schlicht, dass die Flüchtlinge auf ein Asylverfahren in Berlin und ein gewisses Wohlwollen der Behörden hoffen konnten.

Sicher war das aber nicht. Womöglich haben sich die Hungerstreikenden auf andere Informationen verlassen. Auf der Internetseite „Refugeeschulstreik“ ist von einer anderen Vereinbarung zu lesen. Dort heißt es, das Oranienplatz-Agreement sichere den Flüchtlingen „eine umfassende Einzelfallprüfung für alle“ zu, außerdem „die Umverteilung aller Asylverfahren nach Berlin“, Zugang zu Deutschkursen für alle sowie Zugang zu Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt“. Womöglich sind das Forderungen aus einer früheren Verhandlungsphase. Dass sie zum Bestandteil der Vereinbarung geworden wären, bestreitet die Innenverwaltung. Dass von den rund hundert Verfahren bislang nicht eines erfolgreich für einen Flüchtling war, ist durchaus befremdlich.

Doch können die Unterstützer der Flüchtlinge sicher sein, dass die Verfahren präzise nach Recht und Gesetz gelaufen sind – gerade weil so viele Leute mit politischen Interessen darauf gucken. Schön ist das alles nicht, so wenig wie es in Berlin und in Deutschland Grund zur Selbstzufriedenheit über die Asylpolitik gibt. Innenminister Thomas de Maizière sagt gern, Deutschland nehme mehr Asylbewerber auf als alle anderen EU-Staaten. Das stimmt nur für die absoluten Zahlen; rechnet man die Asylbewerberzahlen auf die Einwohnerstärke um, liegt Deutschland mitten im Durchschnitt. Aber es geht ja um Menschen, aus Syrien, aus Afghanistan, aus Nigeria, bald vielleicht aus aus der Ukraine. „Menschenrechte kennen keine Grenzen“, proklamiert der Berliner Flüchtlingsrat. Es gibt viele gute Gründe, das europäische Asylrecht zu ändern und maßvoll zu liberalisieren. Der Druck auf die deutsche und europäische Politik, dies zu tun, ist aber (noch) nicht stark genug. Ein Hungerstreik macht ihn nicht stärker.

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