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Der Angeklagte Swetoslaw S. muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten.

© Paul Zinken/dpa

Update

Prozess gegen Berliner U-Bahn-Treter: "Ich fand das, was ich gesehen habe, selbst grauenhaft"

Der Prozess gegen den Berliner U-Bahn-Treter beginnt mit einem Geständnis. Er sei zur Tatzeit unter Drogeneinfluss gewesen und könne sich an die Tat nicht mehr erinnern, heißt es in einer verlesenen Erklärung.

Starr ist der Blick des Angeklagten auf den Boden gerichtet. Svetoslav S. sieht nicht auf, als einer seiner beiden Anwälte kurz nach Neustart des Prozesses um die brutale Fußtritt-Attacke gegen eine arglose Passantin im U-Bahnhof Hermannstraße das Geständnis verliest. Er bleibt regungslos, als später jene Videosequenzen im Saal 700 des Landgerichts gezeigt werden, die bundesweit Entsetzen auslösten. Der Angeklagte kennt die Bilder gut. Sie überführten ihn. Im Geständnis erklärt er nun: „Ich fand das, was ich gesehen habe, selbst grauenhaft.“ 

Svetoslav S., ein 28 Jahre alter Mann aus Bulgarien, beruft sich aber auf fehlende Erinnerung. „Ich gebe zu, dass ich die Frau tatsächlich die Treppe hinuntergetreten habe. Ich kann mich nicht erinnern, wie es dazu kam.“ Er sei Wochen später durch seine Mutter und seine Schwester auf das Video im Internet aufmerksam gemacht worden. Er habe Drogen und viel Alkohol konsumiert, er sei nach Streitereien mit seinem älteren Bruder und seiner Frau auch schlecht gelaunt gewesen. „Ich möchte mich ausdrücklich bei der Geschädigten entschuldigen.“ 

Sieben Wochen ermittelte die Polizei erfolglos

Ein Angriff wie aus dem Nichts. Die Bilder, die auch im Gerichtssaal gezeigt werden, sorgen für Fassungslosigkeit. Es ist kurz nach Mitternacht, als am 27. Oktober mehrere junge Männer die Mittelebene des Bahnhofs betreten. Locker scheint die Stimmung. Dann eine Passantin mit Kapuze. Sie hat nichts mit der Gruppe zu tun, geht die ersten Stufen zum Bahnsteig hinab. Plötzlich folgt ihr ein Mann mit einer Bierflasche in der Hand. Er tritt zu. Zwischen die Schulterblätter, mit Wucht. Sie stürzt die Stufen hinab, voran mit dem Gesicht. Während der Täter genüsslich an seiner  Zigarette zieht, kümmern sich andere Fahrgäste um die Verletzte.

Hinterhalt. Der Täter muss sich nun vor Gericht verantworten.
Hinterhalt. Der Täter muss sich nun vor Gericht verantworten.

© dpa

Sieben Wochen ermittelte die Polizei erfolglos. Erst die dann eingeleitete Öffentlichkeitsfahndung mit Bildern aus den Überwachungskameras, für die ein richterlicher Beschluss erforderlich ist, führte zum mutmaßlichen Täter. S. wurde Mitte Dezember am Zentralen Omnibusbahnhof gefasst. Er kam gerade aus Südfrankreich. 

"Danach wurde er schnell aggressiv"

Seine 27-jährige Frau ist die erste Zeugin im Prozess. Svetlanka M. sagt, sie seien seit 12 Jahren verheiratet. In ihrer Heimat in Bulgarien hätten sie als 15-Jährige geheiratet – „nicht offiziell“. Mit ihren drei Kindern seien sie vor einem Jahr nach Deutschland gekommen. „Wir wollten arbeiten und ein ganz normales Leben führen.“ Doch ein Autounfall im Jahr 2008 habe ihren Mann sehr verändert. „Danach wurde er schnell aggressiv, hat Alkohol und Drogen konsumiert.“ 

Die Zeugin will ihren Mann schützen. Kurz vor der Tat im U-Bahnhof habe sie am Telefon heftig mit ihm gestritten. „Ich sagte Ausdrücke, weil ich eifersüchtig war.“ Hintergrund sei eine kurze Affäre mit einer Verwandten. Sie habe auch gewusst, dass er Drogen geschluckt habe - „nonstop“. Jeden Tag sei ihr Mann nach der Arbeit ausgegangen. Nach Frankreich seien sie gefahren, um „gutes Geld zu verdienen“. Als sie dort im Internet die Bilder der Tat sahen, seien sie „sehr schockiert“ gewesen. 

Nach dem reibungslosen Neustart – der erste Anlauf war vor zehn Tagen nach einem Befangenheitsantrag gegen eine Schöffin geplatzt – soll am Donnerstag die Geschädigte aussagen. Die damals 26-Jährige hatte einen Armbruch und eine Kopfplatzwunde erlitten. Sie ist Nebenklägerin. S. muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Zudem werden ihm zwei exhibitionistische Handlungen zwei Wochen vor der Attacke im U-Bahnhof zur Last gelegt.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar "Empörung spricht keine Urteile" von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt.

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Kerstin Gehrke

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