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Angeklagt. Nico A. geht über den Gang des Kriminalgerichtes. Er muss sich wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung verantworten. Er war dabei, als der 18-jährige Torben P. auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße über sein Opfer herfiel.

© dpa

Prozess gegen Torben P.: Tatzeuge: "Warum hilft mir keiner?"

Georg Baur hielt die Schläger an der Friedrichstraße von Schlimmerem ab. Gegen den untätigen Putzmann wird jetzt ermittelt.

Es sollte ein Osterausflug werden, zur Schwester nach Berlin. Georg Baur, Maler und Lackierer, 22 Jahre, aus einem Dorf bei Augsburg, hatte einen Freund mitgenommen. Man war am Ku’damm unterwegs und bester Stimmung, aber langsam etwas müde, es ging auf halb drei. Da wusste Baur noch nicht, dass er Minuten später zum Helden würde, vielleicht sogar ein Leben rettete. Friedlich wirkt der massige, großgewachsene Mann mit den blonden Haaren, wie er am zweiten Prozesstag gegen den U-Bahn-Schläger Torben P. vor dem Richter sitzt, wie ein gutmütiger Bär, bei dem es dauert, bis ihn etwas aus der Ruhe bringt. So wird er auch in der Karfreitagsnacht auf der Wartebank im U-Bahnhof Friedrichstraße Platz genommen haben, Rücken an Rücken mit dem späteren Opfer, dem heute 30-jährigen Markus P. „Der saß einfach nur da, den Kopf runter, und wollte seine Ruhe“, sagt der Bayer. So wie er.

Kurz darauf wird der 18-jährige Schüler sein Opfer niederschlagen und ihm auf den Kopf treten. Die Videobilder der Tatnacht weisen Baur, der jetzt Nebenkläger ist, als Retter aus. Nach den Tritten greift er Torben P. am Arm und zwingt ihn hinter sich, wobei der Wütende, ein Hüne von fast zwei Metern, doch gut 40 Kilo leichter, mit dem anderen Arm rudert und schlägt, bis Baur ihn am Hals packen kann. Erst als der mitangeklagte Nico A. sich auf Baur wirft, muss der den Griff lösen.

Richter Uwe Nötzel geht es erneut darum, wie der Konflikt begann, der nun zur Anklage wegen versuchten Totschlags führt. Nico A. habe Markus P. zuerst etwas gesagt, was, daran könne Baur sich nicht erinnern, aber wie: „Sie haben permanent auf ihn eingepöbelt, immer weiter, immer lauter, bis sie geschrieen haben.“ Da habe er sich umgedreht. „Gibt es Probleme? Lasst den in Ruhe.“ Der Kleinere, Nico A., habe gesagt „der hat uns angemacht“. Dann habe sie begonnen, die Schubserei, Baur drehte sich um, die Streitenden waren bereits hinter einem Stützpfeiler. „Ich hörte einen dumpfen Knall.“ Torben P. „hüpfend, irgendwie jubelnd“, und das Opfer blutend am Boden. „Als der Haupttäter noch mal auf ihn zu ist, habe ich eingegriffen.“ Es wurde gekämpft, geschrieen, bis der Bayer auf den Boden stürzte. „Warum hilft mir keiner? Da waren unendlich viele Leute.“ Deshalb habe er den Mann vom Reinigungsdienst angeschnauzt. „Der stand nur da mit Besen und Schaufel.“ Am gestrigen Donnerstag wurde bekannt, dass gegen den 48-Jährigen ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung läuft.

"Ich war schockiert, der lag am Boden und bewegte sich nicht." - Was eine weitere Zeugin von der Tat mitbekam, lesen Sie auf Seite 2.

Für den stämmigen Bayern, der sich nach einem halben Dutzend Tequila-Bieren gegenüber der Polizei als „topfit“ bezeichnet hatte, waren die Angeklagten „ganz normal“, wenngleich er damals noch sagte, sie seien „mit Sicherheit alkoholisiert“ gewesen. Damals, bei der Polizei, hatte er Torben P. als „hibbelig, aufgeputscht und aggressiv“ in Erinnerung. Auch die Videobilder zeigen den Angeklagten so. Beide ziehen minutenlang durch den belebten Bahnhof. Vor allem Torben P. produziert sich, sucht Aufmerksamkeit, lässt sich auf das Gleisbett herunter, schmeißt mit Schotter, ehe sie sich auf der Bank niederlassen.

Nico A. will jetzt die Chance nutzen: „Ich möchte mich persönlich entschuldigen, es tut mir leid, weil Sie ja nur helfen wollten“, sagt er im Gerichtssaal. Für Torben P. fragt sein Anwalt, ob sich Baur eine Entschuldigung anhören will. „Nein.“

Dann darf er gehen. Auch Janine S. saß in der Tatnacht auf der Bank, telefonierte, bat Torben P. um eine Zigarette. „Vielleicht“, habe er genuschelt, sagt die 26-Jährige als Zeugin. Nichts passierte. „Krieg ich jetzt eine oder nicht?“ Der Angeklagte gab ihr eine. Er kam ihr normal vor, der Konflikt der drei störte sie zunächst nicht, so laut war es nicht, „ich konnte ja weiter telefonieren“. Dann hätte sie gespürt „irgendwas ist da“, und sich lieber auf die Treppe gehockt. Von dort beobachtete sie die Attacke, wie Torben P. „mit voller Wucht“ trat, so schildert es zumindest Baurs mitgereister Freund. „Ich war schockiert, der lag am Boden und bewegte sich nicht“, beschreibt Janine S. die Szene und bricht in Tränen aus, wie damals auch. „Ich war nur am Heulen.“ Woran sich der Streit entzündet hatte, wer anfing, bekam sie nicht mit. Auf sie wirkte es so, als habe Markus P. weggehen wollen.

Am Nachmittag soll Christian P. aussagen, heute „Arbeiter“ sagt er, damals beim Reinigungspersonal. Von Richter Nötzel erfährt der Mann, der spontan nur sein Geburtsdatum, nicht aber sein Alter nennen kann, dass die Behörden ihn einer Straftat verdächtigen und er die Aussage verweigern darf. Wozu ihn der Richter förmlich drängen muss, weil er die Belehrung nicht zu verstehen scheint. „Ich will keine Probleme haben“, sagt P. Notiert haben dürften die Staatsanwälte seine Worte trotzdem, bevor der Richter ihn entlässt: „Ich kann nur sagen: Offiziell darf ich mich nicht einmischen, wenn eine Prügelei ist.“

Der Prozess wird Dienstag fortgesetzt.

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