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Ansicht der 1850 vom Architekten Karl-Friedrich Schinkel erbauten Nikolaikirche in Potsdam (Brandenburg), fotografiert am 03.09.2015. Ein Kirchenmann hat Eintrittsgelder der Nikolaikirchen-Besucher für sich abgezweigt. Über 237.000 Euro soll der Mann seit 2009 gestohlen haben.

© ZB

Prozess in Potsdam: Kirchenchef stiehlt 238.000 Euro aus Kirchenkasse

Ein Mann nimmt 238.000 Euro aus der Kasse der Nikolaikirche in Potsdam. Es ist – der Gemeindechef. Nun ist Prozessauftakt.

Es geht um genau 237.527 Euro und 94 Cent. Diese Summe soll Joachim U. von Eintrittsgeldern der Besucher der Aussichtsplattform auf der Nikolaikirche für sich abgezweigt haben. Als Kirchenratsvorsitzender und ehrenamtlicher Geschäftsführer der Nikolaigemeinde hatte U. die Schlüssel zu den Eintrittskartenautomaten, an denen Besucher für fünf Euro Tickets für die Aussichtsplattform kaufen können. Zwischen Juli 2009 und Juli 2013 soll der heute 53-jährige Finanz- und Versicherungsmakler zugegriffen haben. Nun wird ihm vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess gemacht.

Bislang ist am 30. September nur ein Verhandlungstag geplant. Die Beweisaufnahme dürfte nicht schwierig sein. U. hatte sich im Juli 2013 selbst angezeigt und alle kirchlichen Ämter niedergelegt. Zudem war der Prüfbericht des kirchlichen Rechnungshofs Grundlage der Ermittlungen. Die Anklage gegen U. lautet nun auf veruntreuende Unterschlagung. U. droht bei einer Verurteilung eine bis zu fünfjährige Haftstrafe oder Geldstrafe. Laut Amtsgericht soll er die 237 000 Euro aus den Automaten entnommen und „für sich verbraucht haben“.

Er war in der Gemeinde angesehen

Joachim U. war in der Nikolai-Kirchgemeinde angesehen. „Der Beschuldigte besaß größtes Vertrauen“, sagt Pfarrer Matthias Mieke. Als Gemeindekirchenratsvorsitzender sei U. über Jahre mit der Geschäftsführung vertraut und fast täglich ehrenamtlich für die Gemeinde tätig gewesen.

„Er war in der Gemeinde bei allen bekannt und hoch geachtet“, so Mieke. U. hat sich besonders um die mehrere Millionen Euro teure Sanierung des Gotteshauses bemüht und sich damit einen Namen gemacht. Die Aussichtsplattform war 2009 eröffnet worden, mit den Einnahmen sollte auch der Kredit für die 2010 abgeschlossene Sanierung getilgt werden.

Kontrolle ist oft besser

„Deshalb ist für uns alle die Enttäuschung so groß und der Vertrauensverlust so schmerzlich“, so der Pfarrer der Nikolai-Kirchgemeinde. Man sei davon ausgegangen, „dass wir keinen Grund haben, ihm nicht unser vollstes Vertrauen auszusprechen“. Doch mit „einem solchen Grad der Vertuschung, über Jahre betrieben, hat keiner von uns zu keinem Zeitpunkt gerechnet“.

Dass Kontrolle oft doch besser ist, musste auch die Gemeinde lernen. Der kirchliche Rechnungshof hatte 2013 wegen der gestohlenen Eintrittsgelder Verstöße gegen das Vier-Augen-Prinzip festgestellt. Es wurde U. also auch einfach gemacht – nur zugetraut hat es ihm niemand. Auf Hinweis des Rechnungshofs wurden die Kontrolllücken geschlossen.

Erhält die Gemeinde das Geld zurück?

Ob die Gemeinde das unterschlagene Geld zurückbekommt, ist offen. Noch 2013 bestand zunächst Hoffnung. Doch „seit sehr langer Zeit“ habe die Gemeinde keinen Kontakt mehr zu U. gehabt, wie Mieke sagt. Bislang habe der Angeklagte auch noch kein Geld zurückgezahlt. „Als Kirchengemeinde prüfen wir gerade alle juristischen Möglichkeiten“, sagt Mieke.

Von Vergebung will der Pfarrer noch nicht sprechen. Zu groß sitzt offenbar noch der Schock über den Verstoß des einstigen Gemeindekirchenratsvorsitzenden gegen das siebte Gebot: „Du sollst nicht stehlen.“ Vor einer möglichen Vergebung müsse die Schuld klar ausgesprochen, benannt und eingestanden werden, sagt Mieke.

Das Gerichtsverfahren biete dazu eine gute Möglichkeit. Die Gemeinde bemühe sich, zwischen der Person des Ex-Kirchenratsvorsitzenden und seinen unrechtmäßigen Handlungen zu unterscheiden – und bete für ihn.

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