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Psychologin zu möglichen Tatmotiven: „Vielleicht ertrug er nicht die Scham“

Ein Familienvater bringt seine Söhne und seine Frau um, dann sich selbst. Was bringt jemanden zu einer solchen Tat? Charité-Psychologin Isabella Heuser über mögliche Tatmotive

Die eigene Familie töten – warum tut ein Mensch so etwas?

Bei Fällen von sogenanntem erweiterten Suizid lassen sich vor allem zwei Motivformen unterscheiden. Da sind aggressive und altruistische Motive. Aggressive Motive liegen zum Beispiel vor, wenn der Täter es nicht ertragen kann, dass etwa Frau und Kinder mit einem anderen Mann weiterleben wollen, oder dass sie überhaupt weiterleben, wenn er doch sterben will. Auch Angst vor dem sozialen Abstieg ist ein solches Motiv. Womöglich hatte der Familienvater in Gatow das Gefühl, seine viel jüngere Frau und die Kinder nicht richtig versorgen zu können. Das führt zu einer narzisstischen Krise, er will sich umbringen, weil er die Scham nicht ertragen kann, und nimmt die Familie mit.

Und der altruistische Täter? Denkt er etwa, er tue den anderen etwas Gutes?

Genau. Er denkt, er könne es seiner geliebten Familie nicht zumuten, in dieser Welt weiterzuleben, wenn er nicht mehr ist.

So denken wohl vor allem Männer?

Ja, Frauen sind nur ganz selten Täter in solchen Konstellationen. Als Aggressoren, die ihre Familie auslöschen, treten sie praktisch nicht in Erscheinung; wenn überhaupt, dann am ehesten beim Neonatizid, also der Tötung eines Babys direkt nach der Geburt. Oft wurde dann schon die Schwangerschaft geleugnet und die Frau lebt in keiner stabilen Partnerschaft; vielleicht hat der Partner gedroht, sie zu verlassen, wenn sie ein Baby bekommt.

Ein Kind hat das Gatower Familiendrama überlebt.

Das kann bedeuten, dass der Vater zu dem Baby eine besonders enge – oder gerade keine enge Beziehung hatte.

Ist die Bezeichnung „erweiterter Suizid“ nicht verharmlosend? Eigentlich sind das doch drei Morde, mindestens aber Fälle von Totschlag, und eine Selbsttötung.

Der Begriff hat sich im Sprachgebrauch eingebürgert, aber es stimmt: Eigentlich ist das eher ein Euphemismus.

Isabella Heuser ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. Zuvor war sie Professorin an der Uni Heidelberg. Mit ihr sprach Fatina Keilani.

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