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Berlin: Punk für alle

Das bedrohte Archiv der Jugendkulturen lädt heute zum Tag der offenen Tür

Archive, so sagt man, sind die Bergwerke des Historikers. Wie ein Bergwerk sieht das Archiv in der Fidicinstraße in Kreuzberg allerdings nicht aus. In der hellen Bibliothek in der ehemaligen Bockbrauerei stehen 6000 Bände Literatur und mehrere hundert Abschlussarbeiten zum Thema Jugendkultur, Themen von Punk bis „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, dazu 28 000 Zeitschriften. Es ist das einzige seiner Art in Europa.

Zusammen mit Klaus Farin hat Gabriele Rohmann das Archiv 1998 gegründet, sie ist seitdem pädagogische Leiterin und eine ausgewiesene Kennerin der Materie. Mehrere Publikationen zu jugendkulturellen Themen hat Rohmann verfasst, Archivleiter Farin bringt es gar auf über dreißig Bücher.

Viel ehrenamtliche Arbeit steckt in dem Archiv. Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine Sammlung dieser Größe. Und fast ebenso selten gibt es wohl auch ein solches Engagement der 23 Mitarbeiter, die größtenteils ehrenamtlich arbeiten, ja sogar noch privat Geld dazuschießen: Insgesamt 1500 Euro sind es im Durchschnitt jeden Monat.

Genau deshalb soll nun eine Stiftung gegründet werden. Doch dafür braucht es 100 000 Euro Startkapital – bisher hat das Archiv jedoch erst ein Drittel der Summe zusammen. Seit seiner Gründung lebt der Verein ohne Regelförderung, nur projektweise kommt Geld in die Kassen. Auch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die im hauseigenen Verlag erscheinen, bringen nicht genug ein. Bis zum 31. Oktober müssen genügend Spender gefunden werden, sonst droht die Schließung. Unter dem Motto „(K)eine Zukunft fürs Archiv“ findet daher am heutigen Samstag ein Tag der offenen Tür statt, um zu zeigen, „was verloren geht, wenn es kein Archiv der Jugendkulturen mehr geben sollte“.

Der Verlust wäre einschneidend. Allein der Raum voller Fanzines und Flyer aus der ganzen Welt ist eine wahre Schatzkammer. Perry-Rhodan-Hefte stehen hier neben „Mushroom“, dem „norddeutschen Magazin für House, Techno und Pilzkunde“. Rapper und Grufties, Metal-Fans und Punks: Auch die Anarcho-Heftchen entkommen nicht der alphabetischen Ordnung. Archivalien aus Israel, Jugoslawien oder Kanada warten in Pappordnern einträchtig nebeneinander auf den nächsten Forscher.

In ihrer schwarzen Kleidung wirkt Gabriele Rohmann jünger als die 42 Jahre, die sie alt ist. Es wirkt authentisch, wenn sie Wörter wie „Fame“ und „Tags“ benutzt, auch wenn sie, wie sie sagt, nie einer Jugendszene angehört hat. Rohmann kam über ein Studium der Sozialwissenschaften zum Thema, schrieb ihre Magisterarbeit über „nichtrechte Skinheads“ – viele wissen nicht, dass die Szene zum Teil auch unpolitisch oder links ist. Solche Klischees zu brechen, sieht Rohmann als wichtige Aufgabe. Jan Ludwig

Tag der offenen Tür, heute von 12 bis 22.30 Uhr in der Fidicinstr. 3, Kreuzberg. Auf dem Programm stehen Workshops zu Streetdance und Rap, Vorträge, Flohmarkt und Musik unter anderem von den „StattMatratzen“. Regulär hat das Archiv montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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