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Quartierbesuch in Westend: Heile Welt: Wo Sarrazin wohnt

In Westend, wo der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin wohnt, scheint Berlin noch in Ordnung zu sein. Mit den Migranten ist man dort zufrieden. Besuch eines Quartiers, in dem sich Deutschland zuletzt abschafft.

Wenn Deutschland sich tatsächlich abschafft, dann womöglich zuallerletzt hier: In einer ruhigen Seitenstraße in Westend steht das Haus Thilo Sarrazins. Kein Prunkbau, aber ein nettes Heim mit Garten. Das Namensschild an seinem Briefkasten hat er entfernt. Kastanienbäume säumen den Gehweg. Gleich um die Ecke lockt die „Westend Klause“ mit zünftigem Bier. Es ist ruhig. Eine gute halbe Stunde Autofahrt von Neukölln und Kreuzberg entfernt, wo Sarrazin das Abendland bereits untergehen sieht, ist die Aufregung gering. Passanten gibt es nicht viele. Nur Reporter warten seit einiger Zeit in ihrem Wagen vor Sarrazins Haus.

„Wir sehen ihn eigentlich auch nur noch in der Zeitung“, erzählt eine Frau aus der Nachbarschaft. Vielleicht ist das besser so. Sie führt gerade ihren Westi- Mischlingshund aus. Vor fast zehn Jahren ist Sarrazin in dieser Straße mit einer anderen Hundehalterin aneinandergeraten, weil er seine Eurasier-Hündin Branka nicht angeleint hatte. Verglichen mit dem Ärger über Sarrazins abfällige Äußerungen zu muslimischen Migranten ist das eine Randnotiz. „Der ist eben so“, sagt die Nachbarin. „Er hat doch schon immer so Sprüche rausgehauen.“ Sie muss herzlich lachen, als sie sich an Sarrazins Vorschlag als Finanzsenator erinnert, Hartz- IV-Empfänger sollten im Winter statt zu heizen lieber Pullover tragen. „Das ist eben freie Meinungsäußerung.“

Doch längst nicht alle im Stadtteil sehen Sarrazins Wirken so gelassen. Zwar trifft er sich für Interviews seit Neuestem gerne in den berühmten Dönerläden „Hasir“ und „Safir“ in Kreuzberg, seine Brötchen holt sich Sarrazin aber immer noch bei der Bäckerei „Wiener“, gleich beim U-Bahnhof Neu-Westend. Und da muss ihn Vanessa Otte bedienen. „Ich kriege schon immer so einen Hals, wenn ich an den Mann denke“, gibt sie offen zu. „Und dass man dann trotzdem immer lächeln muss“, sagt sie, das falle schon schwer. Otte hatte ihren ganz eigenen Kampf mit den Folgen der Sarrazin’schen Sparpolitik auszutragen. Drei Monate habe sie auf einen Hortplatz für ihr Kind warten müssen. Der Sachbearbeiter im Schulamt habe damals wörtlich zu ihr gesagt: „Bedanken Sie sich bei Herrn Sarrazin.“ So weit kam es dann nicht mehr. Glücklicherweise komme Sarrazin in letzter Zeit nur noch selten. Einen Großteil der Woche verbringt er bei seinem Arbeitgeber, der Bundesbank, in Frankfurt am Main.

Und wenn es nach der SPD geht, wird Sarrazin auch in „Kullman’s Diner“ am Theodor-Heuss-Platz zukünftig nicht mehr so häufig zu Gast sein. Der SPD- Ortsverein Westend hält dort einmal im Monat seinen Stammtisch ab. Auch Sarrazin war einige Male dabei, erinnert sich die Wirtin Susanne Müller-Kasch. Auch wenn die SPD mittlerweile skeptisch ist und ein Parteiausschlussverfahren plant, sie steht voll hinter Sarrazin: „Ganz ehrlich, er hat doch Recht“, stellt sie fest. Andere Politiker trauten sich nur nicht, die Integrationsproblematik anzusprechen. „Es kann doch nicht sein, dass sich Ausländer in einer Weltstadt wie Berlin nicht anpassen.“ In manche Viertel traue man sich ja als Deutscher gar nicht mehr hinein. Und natürlich hätten verschiedene Menschen verschiedene Gene. Afrikaner andere als Eskimos. „Nur das Beispiel mit den Juden war nicht glücklich gewählt.“ Das sei eben geschichtlich vorbelastet.

Gegen Ausländer habe Müller-Kasch aber nichts. In Westend komme man ja gut mit ihnen aus. Das türkische Generalkonsulat sei beispielsweise gleich um die Ecke. Von Problemen mit Drogen- und Gewaltkriminalität wie in Kreuzberg und Neukölln ist man in Westend weit entfernt.

Sarrazin hat sich eine schöne Wohngegend ausgesucht. In dem gutbürgerlichen Stadtteil ist ein Großteil der Straßen nach den Bäumen benannt, die am Wegesrand wachsen. Und Integration funktioniert hier ganz nach seinen Wünschen: Eine Frau mit Kopftuch huscht mit ihrer Tochter über den Theodor-Heuss-Platz. Sie wirkt wie eine Touristin. Und in der Ahornallee beenden gerade drei Russen ihre Mittagspause. Sie bauen an einer Einfahrt weiter. Gründlich, fleißig – fast schon deutsch.

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