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Der Regenbogenball in diesem Jahr in Wien.

© WienTourismus / Rainer Fehringer

20 Jahre Regenbogenball Wien: Wo das offene Österreich feiert

Der Regenbogenball Wien ist eine der traditionsreichsten schwullesbischen Feiern Österreichs. Beim 20-jährigen Jubiläum ist man erleichtert über den neuen Bundespräsidenten - und sorgt sich um das Weltgeschehen.

Die Tanzpaare betreten das Parkett, steif wie Schlagsahne und ernst wie Zahnärzte. Die Herren mit blonden Lockenperücken, angeklebten Kaiserschnurrbärten und goldenen Anzügen, die Damen mit grünen Hüten, einer modellierten Sachertorte darauf und altrosa Kostümen. Klassische Walzermusik erklingt, „Wiener Blut“, passend zum Ort: dem Parkhotel neben dem Schloss Schönbrunn. Es verspricht richtig langweilig zu werden.

Plötzlich rattert Falco aus den Boxen, „Vienna Calling“, das Publikum im großen Ballsaal johlt, die Putten vom Deckengemälde schauen amüsiert zu, wie aus den Walzer- nun Discochoreografien werden. Und wer genau von der Balustrade hinunterguckt, erkennt erleichtert, wie das Bild noch mehr Risse bekommt. Viele der Männer sind verkleidete Damen, viele der Damen haben ein ziemlich breites Kreuz. Das ist pure Geschlechterverwirrung, Gott sei Dank. Der Regenbogenball Wien feiert sein 20-jähriges Bestehen, die LGBTI-Szene der Stadt, des Landes, ach, der ganzen Welt.

Draußen weht ein kühler Wind - auch politisch

Denn draußen vor den Toren des Hotels weht an diesem Samstagabend ein kühler Wind. Auch politisch. Am selben Tag hat Donald Trump die Grenzen für Bürger von sieben muslimischen Staaten dicht gemacht, in Wien kriselt die Regierung unter Bundeskanzler Kern, und gerade ist der neue Bundespräsident Alexander Van der Bellen als erster Grüner in diesem hohen Amt eingeschworen worden – nach einem zermürbenden und langwierigen Wahlkampf, der fast einen Rechtspopulisten der FPÖ zum Sieger gehabt hätte.

Am ersten Ball 1998 war der damalige Politiker Van der Bellen als Besucher vor Ort, diesmal konnte er leider nicht kommen. Christian Högl vom Veranstalter Hosiwien, sehr leicht zu erkennen an seiner Regenbogenschärpe über der Brust, verweist auf die gerade laufende Ballsaison in Wien. Jeden Abend mindestens drei Gelegenheiten zum „Donauwalzer“ zu rotieren, beim Smoking-Verleiher Flossmann gehen langsam die Anzüge aus – und diesmal hat sich der Bundespräsident für den Wissenschaftsball entschieden.

Van der Bellen hat ein seiner ersten Rede auch die LGBTI-Gemeinde angesprochen

Högl freut es, dass VdB, wie sie ihn alle nennen, in seiner ersten Ansprache ausdrücklich alle Österreicher angesprochen hat, egal welcher Hautfarbe oder sexueller Vorliebe. Das war ein Zeichen. „Gedämpft“ sei trotzdem seine Stimmung. Was momentan in der Weltgeschichte passiert, will an diesem Abend erst mal weggetanzt werden.

Es liegt höchstens eine Spur Erleichterung in der Luft, dass es am Ende nicht so „arschknapp“ war, wie es Andreas Brunner von Qwien, dem Zentrum für schwul-lesbische Kultur, ausdrückt. Dass VdB im finalen Wahlgang einen veritablen Vorsprung herausholte. Er erzählt vom ersten Jahr, als hier nur eine übersichtliche Zahl von Paaren gekommen sei, um die Traditionsbälle der Stadt, wenn schon nicht durcheinanderzuwirbeln, so doch aufzuschrecken. „Wir hätten nie gedacht, dass das so groß werden würde.“ Knapp 1500 Menschen sind gekommen.

Die Skandale von "Luziwuzi"

Andreas Brunner kennt sich aus mit der LGBTI-Geschichte in der österreichischen Hauptstadt, er weiß in der Beziehung alles, was die Habsburger für sich behielten wollten. Die gewissen Neigungen eines Prinz Eugen, der sich in Gesellschaft von Soldaten sehr wohl gefühlt hat, und natürlich die Skandale von „Luziwuzi“.

So nannten die Wiener unter der Hand den Bruder von Ewig-Kaiser Franz Joseph. Erzherzog Ludwig Viktor vergnügte sich in Schlössern und Badehäusern mit Offizieren. Was für ein Skandal, als er von einem von ihnen im Badehaus eine Ohrfeige erhielt. Und nein, erklärt Andreas Brunner, es war kein „sexy slap“. Der eigentliche Aufruhr: dass ein Mitglied der kaiserlichen Familie von einem Untergegeben geschlagen wurde, nicht, dass es in einem Saunaraum voller vermutlich nackter Männer geschah.

Franz Joseph würde sich im Grabe umdrehen, sehe er, wie die Lokalpolitik heutzutage den Regenbogenball hofiert. Zu Beginn marschieren Stadt- und Bundespolitiker ein, meist aus der SPÖ und der Grünen Partei, nicht jeder homosexuell, es gibt Botschaftsvertreter aus den USA (noch) und Australien, Europa-Abgeordnete, die stolz ihr Ballkleid oder ihren Smoking vorführen, alles unter dem Beifall der Anwesenden. Das wirkt noch sehr alte Schule, aber zum Glück tritt gleich eine Dame mit Bart und Turban auf.

Auftritt: Conchita Wurst

„What is she doing here?“, die Frage nimmt Conchita Wurst gleich allen Kritikern vorweg. Nun ja, erst einmal ist die Eurovision-Gewinnerin das Aushängeschild der Szene, sie ist von Sydney bis Los Angeles das Maskottchen eines weltoffenen Österreichs. Das Motto des Balls „We Are Unstoppable“ ist ein Zitat der Diva. Heute Abend singt sie ihren Eurovision-Hit „Rise Like a Phoenix“, gekleidet ganz in Schwarz und mit besagtem Turban eher einem Sikh-Priester ähnlich als einer Drag Queen. Ob sie derzeit so in die USA einreisen könnte?

Conchita verkündigt große Neuigkeiten: Der Euro Pride wird 2019 in Wien stattfinden. Es gibt Live-Schaltungen zu Drag Queens nach Australien, die zu diesem Event die Stadt unsicher machen wollen. Das erinnert sehr an die berühmten Eurovision-Übertragungen. Interviewer und Interviewte hören sich nur zeitverzögert und füllen die Pausen mit Gesichtsmuskelstarre. Nie sahen Mumien schöner aus.

Apropos, auch der unverwüstliche Wiener Elektro-Chansonnier Louie Austen steht auf einer Bühne. Er singt im grünen Anzug mit Marihuana-Drucken, begleitet von drei Dragqueens. Deborah Woodson, eine afroamerikanische Sängerin, die bei „Deutschland sucht den Superstar“ als Vocal-Coach arbeitete, quetscht sich in einen goldenen Spandex-Body, der ihre Rundungen in keinster Weise zurechtrückt. Alle sind standesgemäß begeistert.

Wenn die Grenzen des guten Geschmacks fallen

Und so endet der Regenbogenball auch, wie eine vernünftige schwul-lesbische Party es tun sollte. Am Ende hängen die Fliegen auf halb acht, aus der anfänglich strengen Tanzformation wird eine lockere Knutschgemeinschaft – und manche Drag Queen grabscht schließlich nach allem, was ihr vor die Flinte kommt. Die Grenzen des guten Geschmacks sind um 4 Uhr morgens eingerissen. Das hätte Luziwuzi sicher toll gefallen.

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