zum Hauptinhalt
Erfüllt Wünsche. Daniel Hellmann liefert – und kassiert. Sein Stück "Traumboy" hat er mehr als 30 Mal in Bühnen auf der ganzen Welt performt.

© (c) Raphael Hadad

Daniel Hellmann im Porträt: Geld spielt eine Rolle

Sexarbeit ist das Thema des Performers Daniel Hellmann. Beim queeren Festival „Pugs in Love“ am Maxim Gorki Theater in Berlin gibt er den „Traumboy“. Eine Begegnung.

Mit der Erfüllung von Wünschen gegen Geld hat Daniel Hellmann mittlerweile viel Erfahrung gesammelt. Eine Kundin zum Beispiel vermisste schon lange das Gefühl, geliebt zu werden – und bot zehn Franken für 30 Minuten authentischer Zuwendung. Zu wenig, da wurde nachverhandelt. Eine andere wünschte sich, dass Hellmann ihr die Handgelenke lecken und eine spirituelle Lesung ihres Charakters vornehmen solle. Und zwei Frauen wollten, ganz ernsthaft, eine Samenspende. Gebot unbekannt. „Das waren spannende Diskussionen“, erinnert sich der Performer. „Was würde es bedeuten, wenn ein Kind aus einem Kunstprojekt entsteht?“ Okay, am Ende ist es dazu nie gekommen. Aber für Hellmann entscheidender war ohnehin der Möglichkeitsraum, der sich im Austausch über Dienstleistungen aller Art eröffnete. „Ich gehe gern an meine Grenzen“, sagt der Künstler über sich. „Und darüber hinaus.“

Alles, was er erzählt, ist wahr - aber nicht alles hat er selbst erlebt

„Full Service“ hieß das Projekt, das Hellmann inzwischen mehr als 40 Mal in verschiedensten Ländern angeboten hat. Zusammengekommen sind dabei bislang 7054 Euro für über 700 Dienstleistungen. „Es ging mir darum zu zeigen“, erklärt er, „dass Geld nicht synonym sein muss für eine ausbeuterische Beziehung.“ Dass auch im zwischenmenschlichen Zahlungsverkehr Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden können. Und eben diesen Gedanken hat der gebürtige Schweizer fortgesetzt in der Performance „Traumboy“, mit der er jetzt beim queeren Festival „Pugs in Love“ im Studio R des Gorki Theaters gastiert.

„Traumboy“ handelt von Sexarbeit. Ein Feld, das Hellmann als Aktivist, von Freunden und aus eigener Erfahrung kennt. Auf der Bühne erzählt er zum Beispiel von seinem ersten bezahlten Mal. Oder von den Verwicklungen, die für einen vegetarischen Sexarbeiter entstehen können, wenn der Kunde oder die Kundin zum Essen einlädt. Genauer gesagt: Hellmanns Figur erzählt davon. Denn obschon alles wahr ist, was er in „Traumboy“ ausbreitet, ist nicht alles wirklich selbst erlebt.

Er will das Stigma gegenüber Sexarbeitern entkräften

Hinter Hellmanns Bühnen-Coming-out steht weniger Bekenntnisdrang als die Frage: „Inwieweit kann man die Performance eines Sexarbeiters als künstlerische Praxis begreifen?“ Die Parallelen liegen für ihn auf der Hand: „Es geht nicht nur um körperliche Technik, sondern auch darum, in seiner Rolle glaubwürdig zu sein, zu improvisieren mit dem, was die oder der andere zurückgibt.“ Ein freies Spiel in vorgegebener Struktur – „wie man es auch im Tanz oder in der Musik praktizieren kann“.

Hellmann hat klassischen Gesang studiert, war aber bald „inhaltlich gelangweilt von den Werken, die ich zu singen hatte“. Letztlich sei es nur darum gegangen, traditionelle Werte für ein Publikum mit betonierten Erwartungen zu bestätigen. Also sattelte er um auf ein Performance-orientiertes Studium an der Kunsthochschule Bern. Für einen Künstler, der mit ausgeprägten eigenen Anliegen unterwegs ist, genügt die Interpretenrolle eben nicht. Mit „Traumboy“ will Hellmann vor allem gegen das Stigma angehen, das der Sexarbeit anhaftet und das viele Menschen, die diesen Beruf ausüben, in die Selbstverleugnung oder ins Doppelleben treibt. „Mein Ansatz ist, das Thema zu entmystifizieren“, sagt er. In der Kunst oder in den Medien kämen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter eigentlich nur in zwei Varianten vor: als Opfer oder Edelhure. Was sich so gar nicht mit der Normalität des Berufs deckt, wie Hellmann sie kennt.

Männern wird mehr Selbstbestimmung zugestanden als Frauen

Sicher, er hat auch schon Anfeindungen erlebt. Beim Gastspiel in Frankreich etwa – wo Sexarbeit mittlerweile verboten ist – wurden seine Plakate mit Stickern überklebt, auf denen stand „Prostitution = Vergewaltigung“. Keineswegs will Hellmann Zwangsprostitution oder Menschenhandel verharmlosen. Jeder einzelne Fall sei schrecklich, betont er. Aber die automatische Verknüpfung bei vielen im Kopf – Sexarbeit gleich Menschenhandel – die geht für ihn nicht auf. Es gibt auch eine Selbstbestimmtheit beim käuflichen Sex. Und Hellmann mutmaßt, bestimmt nicht zu Unrecht, dass die einem Mann noch eher zugestanden wird als einer Frau. „Ich wünschte“, sagt er, „ich könnte das gleiche Stück auch als ‚Traumgirl’ machen.“

Hellmann ist jedenfalls froh, dass er sein Stück im Kontext des Festivals „Pugs in Love“ am Gorki zeigen kann. Dass die Sexarbeit mit ihren Diskriminierungserfahrungen hier zum Kreis der dissidenten Sexualitäten gezählt wird. Wie divers dieses Feld ist, davon gibt das „Queer Weekend“ einen Geschmack. Zum Beispiel mit den „Frutas Afrodisíacas“, die aus der Perspektive lateinamerikanischer Exilberlinerinnen und -berliner auf die Westberliner Tuntenbewegung der 80er-Jahre blicken und im Studio-Foyer das legendäre Kreuzberger „Café Anal“ wiederauferstehen lassen.

Sexarbeit kann das Machtgefüge aushebeln

Das Münchner Performance-Kollektiv Pony Camp dagegen erklärt in seiner Lecture Performance „Don’t Worry Be Yoncé“ – der Titel legt’s schon nahe – wie Frau oder Mann Beyoncé werden kann. Und der Autor und Regisseur Pedro Kadivar geht in seinem Projekt „Flucht oder Kunst“ mit queeren Refugees der Frage nach, was Teilhabe und Selbstbehauptung für eine Minderheit unter den Geflüchteten bedeuten. Zudem gibt’s performative Stadtspaziergänge, Konzerte und eine Diskursreihe zu queeren Themen.

Beteiligen darf sich das Publikum auch in „Traumboy“. Hellmann lädt während der Vorstellung dazu ein, ihm per SMS Fragen zu stellen. Mehr als 30 Mal hat er das Stück inzwischen gespielt, in drei verschiedenen Sprachen, er führt eine inzwischen 50-seitige Liste mit den Fragen, die dabei aufgekommen sind. Viele gehen in die Richtung „Pretty Woman“, also: „Hast du dich schon mal in einen Kunden verliebt?“ Ein Zuschauer wollte mal wissen: „Hast du jedes Mal, wenn du einen Kunden triffst, das Gefühl, dass du einen Teil von deiner Seele verlierst?“ Ein anderer fragte politischer: „Was bedeutet die freie Wahl im Kapitalismus?“ Ein guter Punkt, findet Hellmann. Schließlich kann Sexarbeit in all ihren verschiedenen Facetten auch bedeuten: „Ich setze meinen Körper ein, um einen anderen sozialen Status zu erlangen.“ Wodurch Machtgefüge und Ausgrenzungsmechanismen ausgehebelt werden könnten.

Fakt ist, „dass die Kombination von Sex und Geld in unserer Gesellschaft ein Problem zu sein scheint“, sagt Daniel Hellmann. Bleibt nur die Frage: „Ist der Sex schmutzig oder das Geld?“

„Pugs in Love – Queer Weekend“ vom 6. bis 9. Juli im Studio R des Gorki Theaters. Performance „Traumboy“ 6. Juli, 21 Uhr. Eine Übersicht über das gesamte Programm finden Sie hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false