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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Unions-Fraktionschef Volker Kauder geben die Entscheidung zur "Ehe für alle" frei.

© Kay Nietfeld/dpa

Update

Bundestagsabstimmung ohne Fraktionszwang: Ehe für alle – noch diese Woche

Erst gestern hat Angela Merkel ihre Position zur "Ehe für alle" geändert - nun soll der Bundestag wohl schon am Freitag darüber abstimmen.

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Nach fast 30 Jahren politischer Debatte um die Ehe für homosexuelle Paare könnte es jetzt ganz schnell gehen. Nachdem sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) überraschend bereiterklärte, das Thema vom Fraktionszwang zu befreien und der Gewissensentscheidung der Abgeordneten zu überlassen, wollen die mitregierenden Sozialdemokraten das Thema noch in dieser Woche durch den Bundestag bringen. Eine Mehrheit quer durch die Fraktionen gilt als sicher.

Merkel hat für die von der SPD verlangte Bundestagsabstimmung den Fraktionszwang in der Union aufgehoben. Die CDU-Chefin sagte am Dienstag nach Teilnehmerangaben in der Sitzung der Unionsfraktion, es gehe bei der Abstimmung um eine Gewissensentscheidung. Deswegen könnten die Abgeordneten frei abstimmen. Solch ein Vorgehen ist besonders bei sensiblen Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich erprobt - zuletzt etwa in dieser Legislaturperiode bei der Abstimmung über die Sterbehilfe 2015.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) rief die Unionsabgeordneten auf, in möglichst großer Zahl an der Abstimmung teilzunehmen. Jene, die eine völlige Gleichstellung der sogenannten Homo-Ehe mit der Ehe von Frau und Mann ablehnten, sollten respektvoll mit der Meinung der anderen umgehen.

Kurz vor der Fraktionssitzung hatte Kauder der SPD noch „Vertrauensbruch“ vorgeworfen. Wer ein derart „hochsensibles“ Thema einfach „Knall auf Fall“ in den Bundestag bringe, der zeige, dass „die Herausforderungen unseres Landes“ bei ihm nicht gut aufgehoben seien, sagte Kauder.

Aus Sicht der Sozialdemokraten hat sich Merkel eine Blöße gegeben. „Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Und der Torwart ist nicht mal drin. Da muss man ihn reinmachen“, freute sich SPD- Fraktionschef Thomas Oppermann.

Merkel verkündete ihre Kehrtwende beim Talk der Frauenzeitschrift "Brigitte"

Merkel war am Montagabend in einer öffentlichen Diskussionsrunde der Frauenzeitschrift „Brigitte“ erstmals vom harten Nein von CDU und CSU zur Öffnung der Ehe auch für Schwule und Lesben abgerückt. Sie wünsche sich einen Umgang mit dem Thema, der „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“. Die Nachrichtenagentur dpa vermeldete, dies sei mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen gewesen.

Daraufhin hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auf eine schnelle Abstimmung im Bundestag gedrungen. Schulz sagte am Dienstag in Berlin, er habe SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gebeten, in dieser Frage mit dem Koalitionspartner Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam eine "Gewissensentscheidung" im Parlament zu ermöglichen. Sonst werde die SPD-Fraktion bei ihrer Sitzung am Dienstagnachmittag eigenständige Schritte für eine Abstimmung einleiten. Schulz verwies dabei auf einen vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Gleichstellung von homosexuellen Paaren bei der Eheschließung - eine Initiative der SPD-geführten Regierung von Rheinland-Pfalz.

Mehrheit bei Abstimmung im Bundestag gilt als wahrscheinlich

Die Abstimmung werde noch diese Woche stattfinden, kündigte Fraktionschef Thomas Oppermann an. "Man kann nicht sagen: Ich will eine Gewissenentscheidung", kommentierte er Merkels Schwenk, "und dann sagen: Aber ich will keine Abstimmung. Das Gewissen muss sich auch verwirklichen können." Eine Mehrheit für die Gleichstellung von homosexuellen Paaren bei der Eheschließung gilt als sehr wahrscheinlich, neben der SPD unterstützen auch Linkspartei und Grüne das Vorhaben. Aus Unionsfraktionskreisen hieß es, es werde damit gerechnet, dass am Freitag abgestimmt werde.

Nach dem Abrücken der Kanzlerin vom kategorischen Nein der Union hatten mehrere Abgeordnete zuvor schon gefordert, eine von Merkel ins Gespräch gebrachte „Gewissensentscheidung“ im Bundestag noch vor der Wahl zu ermöglichen. Nach Merkels Äußerungen hatte sich als erster CDU-Bundestagsabgeordneter Stefan Kaufmann zu Wort gemeldet. "Danke Angela Merkel! Wie befreiend!", schrieb er auf Twitter. "Von mir aus könnten wir gerne noch diese Woche abstimmen!" In sozialen Netzwerken war die #Ehefueralle seit der Nacht zum Dienstag ein vieldiskutiertes Thema.

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Auch Oppositionspolitiker forderten umgehend eine schnelle Befassung des Bundestags. "Merkel will erst in nächster Wahlperiode frei über die Ehe für alle entscheiden lassen? Warum? Wir können diese Woche abstimmen. Auf geht's!", twitterte der gleichstellungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix, teils gleichlautend zum Christdemokraten Kaufmann. Gleiches forderten mehrere Grünen-Politiker, die Parteivorsitzende Simone Peter schrieb: "Wir warten auf die politische Initiative, nachdem die Ehe für alle letzte Woche im Bundestag zum 30. Mal vertagt wurde!" Ihrem Parteifreunde Kai Gehring zufolge könnte die Große Koalition schon am Mittwoch "Worten Taten folgen" lassen, wenn die Ehe für alle zum 31. Mal Thema im Rechtsausschuss des Bundestags sei.

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Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte Merkel die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen. Die Union hatte die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften bislang abgelehnt. Nicht nur die Grünen machen sie zur Bedingung für eine Koalition. Zuletzt haben auch FDP-Chef Christian Lindner und die SPD in ihrem Wahlprogramm diese Forderung aufgestellt.

In der Union stößt Merkels Kurswechsel auch auf Kritik

Während „Lesben und Schwule in der Union“ sich zufrieden zeigten, warnte der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer die CDU. „Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben“, sagte Ramsauer der „Rheinischen Post“. „Die CDU-Führung soll sich davor hüten, auch noch die letzten konservativen Werte zu zerstören.“ Der Chef der sächsischen CDU-Landesgruppe verteidigte den Stand der Dinge: „Mit der Ehe für Frau und Mann und der eingetragenen Lebenspartnerschaft für verbindliche Partnerschaften von zwei Frauen oder zwei Männern haben wir in Deutschland vernünftige Rechtsnormen“, sagte Michael Kretschmer.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), verwies darauf, dass die Einführung der Ehe für alle auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfe.

AfD sieht "Wasser auf ihre Mühlen"

Der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski, der Mitglied im Bundesvorstand ist, sagte dem Tagesspiegel: „Das Einknicken der CDU ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Merkel verprellt ein weiteres Mal aus Gründen des Machterhalts und der vorauseilenden Befriedigung der Wünsche möglicher Koalitionspartner bürgerlich-konservative Wähler.“

Seit über 20 Jahren streitet die Politik über das Thema

Den Bundestag beschäftigt die Öffnung der Ehe für Homosexuelle seit mehr als zwei Jahrzehnten. 2001 setzte die rot-grüne Regierung Schröder ein Gesetz durch, das ihnen eine „eingetragene Lebenspartnerschaft“ ermöglichte, allerdings ohne alle Rechte von Ehepaaren. Aktuell liegen drei Entwürfe für die volle Gleichberechtigung vor – von Linken, Grünen und vom Bundesrat. Die große Koalition aus Union und SPD war in der Frage gespalten und vertagte das Thema im Rechtsausschuss 30 mal.

An sich ist die Gewissensentscheidung viel näher am Grundgesetz als die Fraktionsdisziplin. Denn das Grundgesetz garantiert, dass Abgeordnete an keine Weisungen gebunden und in ihrer Stimmabgabe frei sind. Dennoch unterwerfen sich die Abgeordneten in aller Regel der Fraktionsdisziplin. Rein formal stimmt jeder Bundestagsabgeordnete freiwillig mit seiner Fraktion - nicht aus einem rechtlichen Zwang, sondern aus der politischen Vernunft. Bei strittigen Themen wird allerdings häufig Druck auf Abgeordnete ausgeübt: Bei Verstößen drohen Abgeordnete Posten in Ausschüssen zu verlieren oder bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt zu werden. Um dieses Spannungsfeld aufzulösen, ist die Gewissensentscheidung ein Mittel.
(mit dpa, AFP)

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