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Ausgrenzung kann depressiv machen - bis hin zum Suizid. Trans*Kinder brauchen eine bessere Unterstützung.

© picture-alliance/dpa

Gendernonkonform: Transidente Kinder besser vor Schikanen schützen

In Bildung und Gesundheit muss sich vieles verändern, damit Trans*Menschen selbstbestimmt leben können. Ein Gastbeitrag der Berliner Psychotherapeut_in Gisela Wolf.

Ich hatte selbst eine ziemlich gendervariante Kindheit und Jugend, was heißt, dass was ich bin, sich nicht mit meinem Zuweisungsgeschlecht in Deckung bringen ließ. Wegen dieser Erfahrungen wurde ich als Jugendliche diversen Ärzt_innen vorgestellt, die mich in ihrer Hilflosigkeit polypragmatisch zu behandeln versuchten. Niemand von den Behandelnden hat versucht, mit mir über meine Bedürfnisse zu sprechen. Ich selbst wusste mit meinen 12/ 13 Jahren, dass mit meiner Genderidentität nichts krankhaft ist. Mir war auch klar, dass ich mit meinem Geschlecht deutlich anders als andere Jugendliche bin. Ich befürchtete, dass dieses Anderssein so lange unter Druck gesetzt werden würde, bis ich endlich zu dem Mädchen werden würde, welches sich meine Herkunftsfamilie wünschte. Welches ich jedoch nicht war. Als ich 25 Jahre danach die Akte zu meiner „Behandlung“ einfordere, ist diese nicht auffindbar.

Diese Erfahrungen, die ich heute als Gewalt benenne, haben meine Einstellungen zum Gesundheitssystem tief geprägt. Ich habe Psychologie studiert und bin Psychotherapeut_in geworden, um an diesem System etwas zu verändern. Ein gendernonkonformes Kind kollidiert mit den gesellschaftlichen Vorstellungen einer an das Zuweisungsgeschlecht geknüpften binären Geschlechterordnung. Wie sich ein solches Kind im späteren Jugend- und Erwachsenenalter entwickeln wird, können wir derzeitig nicht valide vorhersagen. Das Kind kann also tatsächlich als erwachsene Person im Zuweisungsgeschlecht glücklich leben. Es kann sich auch trans* entwickeln und die bestmöglichen Grundlagen für ein Glücklichsein mitbekommen, wenn es geschlechtsangleichende medizinische Versorgung erhält..

 Die Nonkonformität des Kindes erzeugt Ängste bei den Bezugspersonen

Aus der Unsicherheit bezüglich der Nonkonformität und Unprognostizierbarkeit des Entwicklungsweges des Kindes resultieren Ängste bei den Bezugspersonen des Kindes und auch von Gesundheitsversorger_innen. In dieser Unsicherheit nehmen diese häufig Rückgriff auf althergebrachte Gendervorstellungen. Sie möchten, dass alles „normal“ bleibt, sie möchten nicht verunsichert werden.

Mit dem Lebensglück von Kindes und Jugendlichen ist es jedoch nicht vereinbar, ihnen ihre Entwicklungsmöglichkeiten hinsichtlich seiner geschlechtlichen Selbstbestimmung zu verschließen. Wir müssen uns klar sein, dass wir zwar mit erheblichem Druck ein Kind daran hindern können, den eigenen Weg zur geschlechtlichen Selbstbestimmung zu gehen. Es wird dabei jedoch aber auch Glück und Gesundheit verlieren.

Wir können aber auch erfahren wollen, wohin das Kind möchte und wohin nicht. Wir können wir mit diesem Kind oder Jugendlichen sprechen, mit ihm Worte suchen, die seine Geschlechtlichkeit entsprechend seiner Selbstwahrnehmung beschreiben können. Wir können Barrieren und Belastungen abbauen helfen. Wir können dem Umfeld versichern, dass sich das Kind auf einem Entwicklungsweg befindet, der dieses und sein Umfeld bereichern kann. Wir können psychotherapeutisch und medizinisch bedarfsgerecht handeln und einen Raum zur Verfügung stellen, in dem das Kind sich entwickeln kann. Das beinhaltet in manchen Fällen auch die Vergabe von Hormonblockern (GnRH-Analoga), die einer jugendliche Person ein Moratorium in der Pubertätsentwicklung verschaffen, bis sie sich für den weiteren Weg entscheiden kann.

Die 13-Jährige soll sich im Sport bei den Jungen umkleiden

Wir können das Kind vor Schikanen zu schützen, ihm unvoreingenommene und richtige Informationen über Genderidentitäten zur Verfügung zu stellen und ihm Identifikationsmöglichkeiten anbieten.

Ein Beispiel aus der Beratungspraxis vor zehn Jahren: Ich arbeite in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland natürlich unbezahlt als Berater_in bei einem lesbischen Beratungsprojekt. Weil meine genderqueere Identität sichtbar ist, verweist eine befreundete Person eine 13jährige Jugendliche an mich. Sie kommt in Begleitung ihrer Mutter, die sie unterstützen möchte. Die Jugendliche tut alles, was in ihren Möglichkeiten liegt, um weiblich zu wirken. Sie fällt auf. Es geht ihr nicht gut. Sie sieht vor sich, dass es noch schlimmer werden wird. In der Schule wenden sich die Mitschüler_innen ab. Sie soll im Sport sich bei den Jungs umkleiden, die ihre Schutzlosigkeit ausnutzen. Sie darf nicht auf die Mädchentoilette. Schon auf dem Weg zur Schule im Schulbus wird sie von anderen Kindern beschimpft. Einmal weigert sich ein Busfahrer, sie zur Schule mitzunehmen. Sie merkt, dass der Stimmbruch kommt und ist verzweifelt darüber.

Das Schlimmste ist die schulische Situation

Ich sehe die Not und will unterstützen. Das Wichtigste ist in den Augen der Jugendlichen ihre schulische Situation. Da ich gleichzeitig als wissenschaftliche Mitarbeiter_in in einer pädagogischen Hochschule arbeite, schlage ich der Jugendlichen und ihrer Mutter vor, eine für die Lehrkräfte der Schule offene Vorlesung zum Thema Trans* anzubieten. Die Mutter spricht die Lehrer_innen an, und diese kommen zusammen mit der Jugendlichen in meine Vorlesung. Die Erfahrung der Lehrkräfte, zusammen mit sehr am Thema interessierten Studierenden in einer Vorlesung zu sitzen und zuhören zu können, verändert die Atmosphäre. Die Situation der Jugendlichen an der Schule verbessert sich danach etwas. Die Suche nach Ärzt_innen, die die Pubertätsentwicklung der Jugendlichen aufhalten können, in diesem Fall, soweit ich ihn überblicken kann, leider erfolglos verlaufen. In meiner laufenden psychotherapeutischen Ausbildung habe ich etwas später hinsichtlich Trans* nur gelernt, dass angeblich die Sexualität transidenter Menschen nach der „Geschlechtsumwandlung“ „zerstört“ sei. Nicht mehr. Dieses „Wissen“ habe ich von der Jugendlichen ferngehalten. Ich hätte gern mehr für sie getan.

Kinder leiden meist nicht unter ihrer Gendervarianz, sondern unter Ausschluss und Isolation

Der Fall zeigt exemplarisch die Belastungen, unter denen gendervariante Kinder leiden, und auch, woran das System krankt. Grund für die psychischen Probleme dieser Kinder ist oftmals nicht Gendervarianz, sondern die Akzeptanzverweigerung, der Ausschluss, die kommunikative Isolation. Die Befunde, die wir zum Thema der psychischen Gesundheit dieser Kinder haben, zeigen das typische Muster an gesundheitlichen Konsequenzen massiver sozialer Ausgrenzung:

- Diese Kinder sind erheblich depressionsgefährdet und auch in einem hohen Ausmaß suizidgefährdet. Eine depressive Erkrankung hat erhebliche Auswirkungen hinsichtlich Ausbildungsgang, soziale Integration und Selbstbild.

- Sehr viele gendervariante Kinder und Jugendliche wenden irgendwann Strategien an, um die emotionale Not zu dämpfen. Sie entwickeln Essstörungen, Substanzmissbrauch, selbstverletzendes Verhalten. Sie können nicht zum Sport gehen.

- Manche dieser Kinder agieren ihre Not in Form von aggressivem Verhalten aus und schwächen damit in einer Teufelskreisdynamik ihre soziale Position. 

- Die Kinder sind auf einer andauernden Suche nach einem respektvollen Umfeld isoliert und vulnerabel. Sie sind damit gefährdet, ihre Sehnsucht auf Akzeptanz auch auf gewalttätige Erwachsene zu richten. Insofern sind gendervariante Kinder von einem relativ hohen Ausmaß an sexualisierter Gewalt betroffen.

- Die Ursachensuche führt oft zu einer Beschämung der Eltern, die sich manches Mal an den Korrekturversuchen an ihrem Kind beteiligen, was die Beziehung nachhaltig beeinträchtigt.

Der Unterstützungsbedarf für gendervariante Kinder und Jugendliche sowie deren Bezugspersonen ist offensichtlich. Als Aktivist_in bin ich oftmals empört darüber, wie resistent sich Bildungsinstitutionen und deren Steuerungsinstanzen gegenüber dem Thema erweisen.

Erkrankungen sind für die Gesellschaft teurer als Prävention

Als Versorgungsforscher_in weiss ich, dass die Entscheidungen, das Thema von der Agenda zu nehmen, langfristig zu einer Verarmung an Perspektiven für eine Vielzahl von Menschen führt und absehbar sehr teuer werden wird. Die Behandlung einer depressiven Erkrankung kostet die gesamte Gesellschaft viel mehr als die Prävention.

Als Psychotherapeut_in bin ich betroffen angesichts von Haltungen, die immer noch bei Fachkolleg_innen zum Thema anzutreffen sind: das müsse man doch gar nicht ansprechen, das wüchse sich doch aus, man müsse diese Kinder am besten andauernd mit ihrem Zuweisungsgeschlecht konfrontieren, es im Zuweisungsgeschlecht ansprechen, ihm entsprechendes Spielzeug geben, man solle sich doch abstinent hinsichtlich Hormonblockern und geschlechtsangleichenden Maßnahmen verhalten etc.

In jeder Position kann jede/-r etwas tun. Von der Gesundheitspolitik wünsche ich mir den Ausbau eines kompetenten psychosozialen Versorgungsnetzwerkes. Wir brauchen eine in diesem Bereich deutlich verbesserte Weiterbildung der Gesundheitsversorger_innen sowie wirksame Verfahren des Patient_innenschutzes. Und selbstverständlich brauchen wir in der Bildungspolitik eine nachhaltige Integration von Wissen darüber, wie Menschen vor Ausgrenzung geschützt werden können. Meine Prognose ist, dass uns das allen helfen wird, mit Vielfalt von Menschen besser umzugehen und sie tatsächlich als Bereicherung begreifen zu können.

Der Text basiert auf einem Vortrag, den Gisela Wolf unlängst beim Fachaustausch „Transsexuelle und trans* Menschen stärken“ im Bundesfamilienministerium gehalten hat.

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