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Jan Stöß.

© Mike Wolff

Jan Stöß übers Schwulsein in Politik und Privatleben: "Es gibt schon mal derbe Sprüche"

No-Go-Areas für Schwule und Lesben, der "Gender-Wahn" und der Einfluss der Kirchen bei gesellschaftlichen Debatten: Jan Stöß, Berlins SPD-Landesvorsitzender, spricht mit dem Queerspiegel, dem neuen Blog des Tagesspiegels, über Homosexualität in Politik und Privatleben.

Herr Stöß, wann waren Sie das letzte Mal im Berghain?

Das ist ein bisschen her. Aber ich war immerhin schon Bezirksstadtrat, also 2010. Wenn ich ausgehe, dann meistens in Kreuzberg.

Sie wohnen in Schöneberg, eigentlich dem Paradies für Lesben und Schwule. Gibt es Stadtteile in Berlin, wo Sie mit Ihrem Partner nicht Hand in Hand gehen würden?

Ein Paradies für Lesben und Schwule ist Schöneberg auch nicht. Im Kiez gab es in den letzten Monaten einige Übergriffe. Wobei ich es wohl relativ einfach habe: Wenn man zwei Meter groß und ein wenig breiter ist, dann gibt es in Berlin erstmal nicht viele Ecken, wo man sich fürchten muss. Ich kann aber auch verstehen, wenn schwule und lesbische Paare in manchen Teilen der Stadt lieber nicht auffallen wollen. Das politische Ziel muss deshalb bleiben: Dass man überall in der Stadt und auf dem Land selbstverständlich und offensiv auftreten kann. Liebe verdient Respekt, und zwar überall.

Und damit ist es auch gut so?

Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Ressentiments gibt es immer noch, ebenso natürlich homophobe Äußerungen hinter vorgehaltener Hand.

Wie oft erleben sie das persönlich?

Eigentlich selten. Allerdings kommt im Wahlkampf schon mal jemand mit derben Sprüchen. Und die Post, die man so kriegt, ist manchmal auch wenig erfreulich.

Ressentiments gibt es offenbar auch woanders. Die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer hat in einem Interview erzählt, bei Empfängen in Berlin hätten Leute wegen ihrer sexuellen Orientierung sogar den Tisch gewechselt, kein Gespräch führen wollen.

Ich habe es nur selten erlebt, dass Leute reserviert waren oder gesagt haben, mit dem rede ich nicht. Es mag aber auch Kreise geben, in denen Lesben es vielleicht noch schwerer haben als Schwule, einfach deshalb, weil es Frauen immer noch schwerer gemacht wird als Männern.

Wie ist es in der Politik? Haben es lesbische Frauen dort schwerer als schwule Männer?

Da fragen Sie am besten eine lesbische Politikerin. Aber womöglich ist es in der Politik sogar einfacher als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, weil es doch mehr Vorbilder gibt. Anders als in der Wirtschaft: In den Vorständen der Dax-Unternehmen sind nicht nur Frauen, sondern auch Schwule und Lesben unterrepräsentiert. Das ist eine reine Hetero-Männerwelt. Die Gesellschaft wird sich erst dann weiter verändern, wenn es auch in diesen Bereichen, in denen weitreichende Entscheidungen getroffen werden, eine größere Diversität gibt: bei Vorständen, aber zum Beispiel auch bei Chefredakteuren.

Kann man Politik und Persönlichkeit trennen?

Sie haben mal gesagt: Schwulsein ist Teil meiner Persönlichkeit, aber nicht meiner Politik. Kann man das überhaupt trennen?

Ehrlich, das habe ich so gesagt?

Ja.

Oh je. Nein, man kann das nicht unbedingt trennen. Vielleicht wird einem das auch erst nach einer bestimmten Zeit klarer. Die Persönlichkeit eines Menschen wirkt immer in die Politik hinein. So ist es natürlich auch bei mir.

Stimmt dennoch der Eindruck, dass für Sie und andere homosexuelle Politiker inzwischen gilt: „Ich bin schwul – und damit ist es auch gut?“ Man stellt die eigene Homosexualität doch nicht so gerne in den Vordergrund?

Man sollte damit selbstbewusst und offensiv umgehen. Aber als homosexueller Politiker ist man auch nicht automatisch verpflichtet, nur queere Themen zu besetzen. Es wäre übrigens auch ganz gut, wenn mehr Heteros queerpolitisch aktiv würden.

Alle reden von Klaus Wowereit als erstem offen schwulen Chef einer Landesregierung, aber Sie sind auch der erste – schwule Landesvorsitzende der Volkspartei SPD.

Wir haben natürlich noch ein paar andere Parteien, in den Schwule und Lesben in führenden Positionen sind. Aber mit dem Weggang der Ikone Wowereit ist es vielleicht etwas weniger selbstverständlich, dass das Thema ohne weiteres sichtbar ist und dass Schwule und Lesben in der Politik vorkommen. Dabei ist es wichtig, dass Personen dafür stehen, wie offen und vielfältig Parteien sind.

Nun führen Sie den Landesvorsitz der SPD, aber mit der Kür zum Regierenden Bürgermeister hat es nicht geklappt. Spielte eine Rolle, dass Ihre Parteibasis gedacht hat: Jetzt ist genug mit schrill?

Das glaube ich nicht. Das sind auch nicht die Rückmeldungen gewesen. Dieser Wettbewerb hat der SPD in Berlin insgesamt gut getan. Man konnte ja eine gewisse Diversität bei uns drei Kandidaten sehen, und es ist gut, dass die SPD da eine Auswahl hatte.

2016 will die evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg wohl gleichgeschlechtliche Paare trauen. Warum macht die Bundes-SPD beim Thema Öffnung der Ehe nicht mehr Druck?

Die SPD will die volle Gleichstellung, auch beim Adoptionsrecht. Aber die SPD hat nun mal nicht 50, sondern nur 25,7 Prozent bei der Bundestagswahl bekommen. Gleichstellung ist wirklich ein Thema, bei dem sich die politische Linke von der politischen Rechten unterscheidet. Die Kanzlerin sagt, sie fühle sich unwohl dabei, wenn Homosexuelle Kinder adoptieren. Um das ganz klar zu sagen: das widerspricht dem Gesellschaftsbild der SPD fundamental. Deshalb arbeiten wir für andere politische Mehrheiten im Bund.

Homosexualität gilt als Asylgrund. Allerdings wird es Betroffenen nicht gerade leicht gemacht.

Es bleibt wichtig, das Thema ins Bewusstsein zu rücken und deutlich zu machen: Wenn jemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung in seinem Heimatland verfolgt wird, dann müssen wir ihn in Deutschland auch aufnehmen.

Würden sie sich in Berlin wünschen, mit den Grünen zu koalieren, weil sich mit denen gesellschaftspolitischen Themen eher anpacken lassen?

Mit den Grünen gibt es natürlich große gesellschaftspolitische Schnittmengen. Aber es gibt auch Unterschiede. Vor allem beim Thema Wohnungsbau haben wir mit den Grünen unsere Probleme. Wenn es konkret wird, sind sie häufig dagegen. Die Wohnungs- und Mietenfrage ist aber die zentrale Herausforderung in der Stadt, und die wird ohne Neubau von bezahlbarem Wohnraum nicht zu lösen sein.

Gibt es Reibereien bei gesellschaftspolitischen Themen mit ihrem jetzigen Koalitionspartner, der CDU?

Wir merken vor allem in der Bildungspolitik, dass die CDU ein überkommenes Gesellschaftsbild von oben und unten verfolgt. Sie setzt einseitig auf das Gymnasium und auf Elitenförderung und will mit der Schule ins vorige Jahrhundert zurück. In Baden-Württemberg hat man obendrein gesehen, dass die CDU Widerstände befördert hat, im Aufklärungsunterricht in der Schule gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu behandeln. Bis zu einem modernen Familienbild ist es für die Unionsparteien noch ein weiter Weg.

Warum regt viele Menschen nichts mehr auf als Gender-Themen?

Der Lesben- und Schwulenverband sieht auch in Berlin einen bildungspolitischen Rollback, weil Sexualerziehung nicht mehr verpflichtend als Querschnittsthema im neuen Rahmenlehrplan angelegt ist. Stimmt der Vorwurf?

Die Kritik wurde aufgenommen und umgesetzt. Das Thema Sexualerziehung und Diversity ist Bestandteil des Rahmenlehrplans und das ist auch gut so.

Was würden Sie einen skeptischen Elternteil sagen, das das Thema Sexuelle Vielfalt als Zumutung für sein Kind empfindet?

Ich persönlich würde auf meine eigene Biografie verweisen. Wenn schon Eltern Ressentiments haben, dann ist es umso wichtiger, dass die Schule bei den Kindern Vorbehalte ausräumt. Für Lehrer müssen hier verstärkt Fortbildung angeboten werden, damit das Thema ein selbstverständlicher Lerninhalt wird.

Man hat den Eindruck, dass viele Menschen nichts mehr aufregt als Gender-Themen. Wie erklären Sie sich das?

Es ist manchmal eine verquere Debatte, in der Leute glauben, sie müssten gegen die politische Korrektheit zu Felde ziehen. Das hat weitgehend irrationale Züge. Aber davon darf man sich nicht verrückt machen lassen.

Wie haben Sie die Aufregung um das Unisex-Klo in Kreuzberg gesehen?

Das ist genauso ein Beispiel, wie irrational eine Debatte ablaufen kann. Eins ist doch klar: von einer selbstverständlichen Akzeptanz von Transsexualität sind wir noch weit entfernt, deshalb fand ich die Initiative aus Friedrichshain-Kreuzberg durchaus richtig. Ich will ein anderes Beispiel nennen: unsere Mitgliederstatistik in der Partei ist nach Frauen und Männern getrennt. Wir hatten kürzlich einen Fall, dass sich ein neues Mitglied dort nicht zuordnen lassen wollte. Und da habe ich mir gesagt: Ja, wieso eigentlich nicht, es muss auch möglich sein, das offen zu lassen.

Sie würden die Kategorien Mann und Frau bei der Erhebung der Mitglieder also abschaffen?

Nein, denn man darf über dieses Thema auch nicht die weiterhin notwendigen Bemühungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern vernachlässigen. Dafür ist es weiterhin wichtig, den Anteil der Geschlechter abzubilden. Von mir aus kann es aber gern eine dritte Kategorie geben.

Geht Jan Stöß auf den CSD?

Es gibt den Fall des schwulen libanesischen Jugendlichen, der zwangsverheiratet werden sollte. Geht die Politik mit dem Thema richtig um?

Zwangsverheiratung ist keine Privatsache, sondern eine Straftat und die muss konsequent verfolgt werden. Das darf man auch nicht kulturell bemänteln oder einen Unterscheid zwischen Frauen und Männern machen.

Wären bei vielen Fragen des Zusammenlebens nicht auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften stärker gefragt?

Da bin ich etwas zurückhaltend. Es gibt derzeit eine sehr starke Tendenz, politische und gesellschaftliche Probleme zu konfessionalisieren und im Dialog der Religionen lösen zu wollen. Der Dialog ist natürlich wichtig und die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind auch wichtige Partner der Politik. Dabei dürfen wir aber eines nicht vergessen: In einer Stadt wie Berlin gehört die Mehrheit eben gar keiner Glaubensgemeinschaft an. Deshalb möchte ich nicht, dass es zu einer Fixierung der Gesellschaftspolitik auf Kirchen und Glaubensgemeinschaften kommt. Das ist gerade im Hinblick auf die Gleichstellung von Schwulen und Lesben ein wichtiger Punkt. Auch die Säkularisierung von Politik ist eine europäische Errungenschaft. Keiner Religion anzugehören ist genauso viel wert wie sich zu einem Glauben zu bekennen.

Der bekennende Katholik Klaus Wowereit war immer beim CSD dabei. Und Sie?

Ich war auch immer dabei, auch im vorigen Jahr, als es gleich mehrere gab. Ich war natürlich bei dem „politischeren“ CSD. Dass diese Auseinandersetzung jetzt beigelegt wurde, ist allerdings auch gut.

Können Sie die Vorwürfe nachvollziehen, die CSD-Parade mit Musiktrucks und Werbebannern sei unpolitisch?

Ja, ich fand schon, dass man da zuletzt eine ziemlich brutale Kommerzialisierung feststellen konnte. Das war schon zu viel. Andererseits soll der CSD auch Spaß machen. Das sollte nicht ganz aus dem Blickfeld geraten.

- Das Gespräch führten Björn Seeling und Tilmann Warnecke.

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