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Der Berliner Autor Julian Mars.

© Nora Heinisch / noraheinisch.com

Julian Mars über junge Homosexuelle: "Schwul - das Label lehnen viele für sich ab"

Julian Mars hat einen Roman über eine schwule Jugend geschrieben. Hier spricht er über Coming Out, schwule Aktivisten - und laxen Safer Sex.

Herr Mars, was macht einen schwulen Mann zum schwulen Mann?

Puh. Das ist eine einfache und schwierige Frage zugleich. Wenn man es banal runterbricht, ist ein schwuler Mann ein Mann, der Sex mit Männern hat.

Die Frage ist eine der zentralen Fragen Ihres Buches "Jetzt sind wir jung". Es ist gleichzeitig ein Coming of Age- und ein Coming Out-Roman.

(lacht) Coming Out of Age!

Das Buch erzählt die Geschichte von Felix. Mit 16 hat er den ersten Sex  auf der Klappe, der Leser begleitet ihn bis 24, nachdem seine erste richtige Beziehung zerbrochen ist. Vieles dreht sich um seine Identitätsfindung als junger Schwuler.

Ich wollte so authentisch wie möglich das Leben eines jungen Schwulen darstellen, auch die Widersprüche. Als ich mit 14 gemerkt habe, dass ich schwul bin, war es nicht so, dass ich mir das nicht eingestehen wollte. Aber ich hatte ein Problem damit, dass es bei uns auf dem Dorf zumindest keine sichtbaren Schwulen gab. Es war kurz vor dem Durchbruch des Internets, ich kannte Schwule größtenteils aus dem Fernsehen. Das waren Bilder vom CSD, wo alle ganz schrill und bunt sind, und das waren Komiker wie Dirk Bach. Als junger Mann habe ich mich gefragt: Muss ich so sein wie die? Gibt es noch eine andere Möglichkeit, schwul zu sein und man selbst zu sein? Mir war sehr wichtig, das am Beispiel von Felix zu zeigen – weil ich denke, dass es vielen so geht.

Nun hat sich das durch das Internet gewandelt.

Klar findet man dadurch einfacher Zugang zu anderen schwulen Jugendlichen. Wir haben heute auch mehr sichtbare Homosexuelle in der Gesellschaft. Da gibt es eine größere Vielfalt an Vorbildern – übrigens auch für Eltern und Freunde, die womöglich auch noch nie wissentlich einen Schwulen in ihrem Leben gesehen. Aber die grundsätzlichen Fragen sind geblieben.

Einerseits ist Felix sehr selbstbewusst, wenn es um Sex mit Männern geht. Andererseits hat er große Angst vor dem Coming Out gegenüber seinen Freunden und vor allem seiner Familie. Warum haben Sie die Figur so angelegt?

Man kann mit sich selber im Reinen sein. Aber man hat natürlich trotzdem Angst, wie das Umfeld reagiert. Gerade wenn man in einem gläubigen Haushalt aufwächst – in dem Buch ist die Mutter streng orthodox -, kann man davon ausgehen, dass es schwierig wird.

Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts haben tatsächlich noch immer viele Jugendliche große Probleme beim Coming Out, erleben negative Reaktionen.

Das ist mit Sicherheit was dran. Es ist in der Biographie eines schwulen Mannes oder einer lesbischen Frau ein ganz großer Einschnitt. Man teilt das Leben in „Davor“ und „Danach“ ein. Im Idealfall ist danach alles gut, weil man sich nicht mehr verstecken muss. Leider wird man aber selbst von Menschen, die vordergründig positiv reagieren, auf einmal durch eine Art homosexuellen Filter wahrgenommen. Das ist gar nicht böse gemeint, aber man darf sich als Schwuler Sprüche anhören wie: Was, Du stehst auf Fußball? Du kennst Dich mit Autos aus? Das sind Neckereien, klar, und die gehören zu Freundschaften – aber der Filter geht nicht mehr weg.

Felix, die Hauptfigur, ist anfangs sehr negativ gegenüber schwulen „Vollzeitaktivisten“ eingestellt, wie er sie nennt. Ist das auch Ihre persönliche Meinung?

Das Buch ist in keiner Weise autobiografisch, und die Hauptfigur Felix ist nicht mein Alter Ego. Obwohl es auch nicht ganz meine persönliche Art ist, sich dem politischen Aktivismus hinzugeben. Aber der ist natürlich immer noch sehr wichtig. Felix ist in seiner Position sehr extrem und ein wenig unreflektiert Ich habe ihm daher auch Figuren gegenübergestellt, die das anders sehen. Diese Ausgewogenheit war mir wichtig.

Herrscht bei jüngeren Schwulen eine solche Meinung vor?

Junge Schwule  - und das schließt meine Generation ein – haben Diskriminierung nicht mehr in dem Maße erlebt, wie es sie in den Siebzigern und Achtzigern gab. Man sieht als junger Schwuler vielleicht nicht mehr so die Notwendigkeit sich zu engagieren, es ist vieles in Ordnung.

Sie sind selber in einem Dorf mit 300 Einwohnern aufgewachsen. Wie war es da als junger Schwuler?

Ich war dort erstmal nicht geoutet. Ich habe es aber noch ganz gut erwischt. Zwischen Abitur und Wegziehen habe ich mich bei meinen Eltern und bei meinem Freundeskreis geoutet. Ich hatte das Glück, dass alle im Großen und Ganzen positiv darauf reagiert haben. Man trägt das im Vorfeld aber sehr lange mit sich rum und fragt sich: Was passiert dann?

Sie sind mit 20 zum Studium nach Köln gegangen. Hatte das auch was mit Ihrer Homosexualität zu tun? Köln gilt ja als eine der schwulen Metropolen in Deutschland.

Meine Mutter hat mich das auch gefragt, als ich ihr gesagt haben, dass ich nach Köln ziehe. Das war aber Zufall. Ich habe mich an einigen Unis beworben, und habe dann den Platz in Köln bekommen. Für mein Fach Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft gab es in Deutschland wenig andere Optionen.

Nach dem Studium sind Sie vor zwei Jahren nach Berlin gekommen. Was sind die größten Unterschiede zu Köln?

Eine Schulfreundin ist direkt nach dem Abitur nach Berlin gezogen und hat mich ab und zu in Köln besucht. Sie war immer sehr erstaunt, dass Homosexualität in Köln im erweiterten Innenstadtbereich so sichtbar ist. Da hat sie einen Punkt: In Köln trifft man zu jederzeit auf homosexuelle Paare, die Händchen halten und knutschen. In Berlin ist das eher auf bestimmte Gegenden konzentriert, Schöneberg etwa. In anderen Gegenden ist es dagegen gar nicht sichtbar. In Köln ist es meinem Empfinden nach selbstverständlicher, wenn man auf die gesamte Stadt blickt. Ich persönlich habe mich da auch sicherer gefühlt. In Berlin guckt man sich vorher doch um, wenn man Händchen halten will.

Warum Frank Plasberg ein Auslöser war, den Roman zu schreiben

Julian Mars. Vor zwei Jahren zog er von Köln nach Berlin.
Julian Mars. Vor zwei Jahren zog er von Köln nach Berlin.

© Nora Heinisch / noraheinisch.com

Im Roman geht es um Labels. Es gibt unter jungen Lesben und Schwulen den Trend sich nicht mehr als “schwul” oder “lesbisch” bezeichnen zu wollen. Wie erklären Sie sich das?

Ich habe das oft auf Lesungen diskutiert. Das Wort “schwul” hat die Komponente, dass man Aktivist ist, viel in die schwule Szene geht. Diese Konnotation lehnen viele für sich ab. Vielleicht haben sie das Gefühl, sie könnten sich diesem Filter, von dem ich gerade gesprochen habe, entziehen, wenn sie sich nicht so labeln. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass man sich heute allgemein nur noch ungern festlegt.

Wird die queere Szene auch durch Dating-Apps unwichtiger?

Die Szene ist ein sehr diffuser Begriff, das darf man nicht vergessen. Diesen Zusammenhalt, den es vor zwanzig, dreißig Jahren gab, gibt es heute wahrscheinlich nicht mehr. So in dem Sinn: Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft und kämpfen gemeinsam für die Sache. Es gibt aber schon noch Orte, die sicher sind für Schwule und Lesben: Wo man sich selbst sein kann, wo man knutschen kann, wo man nicht schief angeguckt wird, wenn man etwas sehr exaltiert tanzt. In Berlin oder Köln gibt es vielleicht gemischte Partys, auf denen man selbstverständlich schwul sein kann. Das gilt aber für viele andere, kleine Städte nicht. Deswegen werden homosexuelle Clubs immer wichtig bleiben, da ändern Dating-Apps nichts dran.

Ein Auslöser, den Roman zu schreiben, war eine Talkshow über Homosexualität. Was hat Sie da so bewegt?

Meine Magisterarbeit habe ich über politische Talkshows geschrieben, dafür musste ich viele Talkshows angucken. Bei einer Folge “Hart aber fair” ging es um Homosexualität. Da haben mich sehr viele unreflektierte Äußerungen gestört.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Es wurden Bilder vom schwulen Weihnachtsmarkt in Köln gezeigt. Da rannten halbnackte Männer mit Rentier-Geweihen rum. Frank Plasberg fragte nach diesen Bildern allen Ernstes, ob schwule Männer als Eltern geeignet sind. Das war eine doppelte Unverschämtheit. Denn egal, wie man es finden will, dass die Männer da halbnackt einen Tanz aufführen: Das sagt nichts über ihre Eignung als Eltern aus. Und es sagt auch nichts über meine eigene Eignung als Vater aus. Man wird da in Sippenhaft genommen. Man würde auch nicht Bilder vom Karneval zeigen und dann fragen, ob Heterosexuelle als Eltern etwas taugen.

Was auffällt in Ihrem Roman: Safer Sex wird ziemlich locker genommen. Wieso haben Sie das zum Thema gemacht?

Die Szene, in der Felix seinen Freund kennenlernt, spielt in der Aidshilfe. Die hatte ich mit als erstes geschrieben, und die wollte ich im Buch nicht verlieren. Deswegen gab es für das Buch eine Notwendigkeit, dass Felix zum Aidstest geht. Es sollte kein Statement zu Safer Sex  werden. Wobei es ja stimmt: Das Bewusstsein dafür nimmt nicht nur unter jungen Schwulen ab, sondern auch unter jungen Heterosexuellen. Das liegt womöglich daran, dass wir die Aidskrise in den Achtzigern nicht miterlebt haben.

Sie haben das Buch unter Pseudonym geschrieben. Warum?

Im Nachhinein kann ich das gar nicht mehr so richtig erklären. Ich trete auch bei Lesungen auf, insofern ist es kein Geheimnis, wer ich bin. Jetzt ist der Name Julian Mars aber eingeführt, ändern will ich ihn also nicht mehr.

- Das Gespräch führte Tilmann Warnecke. Das Buch von Julian Mars, "Jetzt sind wir jung", ist im Albino Verlag erschienen. ISBN: 9783959850384, 328 Seiten.

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