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Eine ganz normale Familie. Katja und Hilke Warnecke mit ihren Töchtern.

© Thilo Rückeis

LGBT-Rechte: Langes Warten, große Freude - Berliner über die Ehe für alle

"Wir haben uns immer als Ehepaar gesehen", sagen Hilke und Katja Warnecke. Jens Parker hat der Kampf um die Ehe für alle in die Politik gebracht. Auch Thorben Zoeger darf jetzt heiraten, er will aber nicht.

Die Familie - Diskriminierung gehört zum Alltag

Dem Gefühl nach sind sie schon seit mehr als zehn Jahren ein Ehepaar. Seit 2005 sind die Ärztinnen Hilke und Katja Warnecke verheiratet – nur dass sie es bisher nicht so nennen durften.

Dabei sei bei ihnen alles ganz traditionell gelaufen, sagt Hilke Warnecke und lacht: "Erst kam das gemeinsame Auto, dann die Hochzeit und die gemeinsame Wohnung" – eigentlich wie bei einem ganz normalen Ehepaar. "Und dass ich Kinder haben wollte, wusste ich auch schon immer".

Doch gerade da wurde der 40-Jährigen und ihrer 46-jährigen Partnerin klar, dass ihre Beziehung trotz der Gleichstellung einen anderen Stand hatte. Die ältere Tochter kam 2006 zur Welt, die jüngere drei Jahre später. Beide Frauen sind biologische Mutter von einem ihrer zwei Kinder, denn Eltern wollten sie beide sein. Anders als bei heterosexuellen, verheirateten Paaren, bei denen der männliche Ehepartner auch dann automatisch als Vater eingetragen wird, wenn er es nachweislich gar nicht ist, mussten Katja und Hilke ihre Töchter als "Stiefkinder" adoptieren. In der Realität bedeutete das je ein Jahr Adoptionspflege, Besuche des Jugendamts und Vorsprechen vor einem Richter – und das ganze zweimal. "Als müsste man beweisen, dass man seinem eigenen Kind eine gute Mutter ist". Erst danach waren beide Frauen rechtlich die Eltern ihrer Töchter.

In den vergangenen Jahren zeigte sich die Diskriminierung immer wieder unvorhersehbar im Alltag der Familie: Im Schwimmbad zum Beispiel, wenn sie mit ihren Töchtern in der Schlange standen, nur um dann gesagt zu bekommen, die Familienkarte sei für sie nicht gedacht. An ihre Töchter ließen die beiden das nicht herankommen. "Wir haben uns immer als Ehepaar gesehen, auch den Kindern haben wir gesagt, dass wir verheiratet sind", erzählt Warnecke. Wie eine traditionelle, eine ganz normale Familie, das betont Warnecke immer wieder.

Als dann letzte Woche feststand, dass es eine Abstimmung geben würde und die wahrscheinlich zu ihren Gunsten ausgehen würde, fragten sie ihre Töchter, was das für sie heiße. Was denn dann der Unterschied sei, fragte die Jüngere – Noch ne Party, erwiderte die Ältere.

In der Tat wird die Entscheidung des Bundestags für Katja und Hilke Warnecke persönlich kaum einen Unterschied machen. Eigentlich haben sie als Paar ja alles, was eine Ehe ausmacht, auch ohne eine solche erreicht. "Vor einem halben Jahr haben wir noch gewitzelt, ob wir, wenn es denn irgendwann kommt, nochmal heiraten müssen, oder ob man einfach ein Gratulationsschreiben bekommt, in dem steht: Herzlichen Glückwunsch, Sie sind verheiratet!"

Die Ehe eintragen lassen wollen sie trotzdem, sobald das möglich wird. Weil man sich dann nicht mehr erklären muss, nachdem man "verheiratet gesagt hat - und ein "verpartnert" hinterherschicken muss. Weil man dann Ehepaar nicht nur dem Gefühl, sondern auch dem Gesetz nach sein darf.

Der Heiratsunwillige - Es geht um Gleichberechtigung

Thorben Zoeger hat auf die Entscheidung vom Freitag hingefiebert – auch wenn sie ihm persönlich nichts bringt. Der 41-Jährige ist prinzipiell gegen die Institution der Ehe. "Ich kann nicht verstehen, warum irgendjemand heiraten möchte", sagt er. Allerdings, findet er, sollten, wenn Heteros heiraten dürfen, alle die Möglichkeit haben. So funktioniert Gleichberechtigung schließlich.

Viele von Zoegers Freunden sind verpartnert, manche haben im Ausland geheiratet. Oft wurde das Thema Ehe schnell wieder abgehakt, sobald es zur Sprache kam. "Wir dachten uns: Das ist eben so, hoffentlich ändert es sich bald."

Dass sich etwas im politischen Diskurs veränderte, wurde ihm in den letzten Wochen klar: "Ich hatte das Gefühl, dass das Thema irgendwie in der Luft hing und immer größer wurde. Ich habe gedacht: Jetzt könnte es in den nächsten Jahren passieren – aber doch nicht in der nächsten Woche."

Zwei gleichgeschlechtliche Hochzeitspaare zieren eine Torte der SPD-Fraktion im Bundestag.
Zwei gleichgeschlechtliche Hochzeitspaare zieren eine Torte der SPD-Fraktion im Bundestag.

© Wolfgang Kumm/dpa

Trotzdem ärgert er sich über die lange Ungleichheit. Ein Land wie Deutschland, das von sich behaupte, liberal, freiheitlich und humanistisch zu sein, könne es sich nicht leisten, solche Gesetze zu haben. "Das wirft kein gutes Licht auf uns." Merkels Kurs bis zu ihrer "Gewissensfrage" sei für ihn nicht nachvollziehbar gewesen. "Was würde sich denn an der Ehe von Herrn Seehofer ändern, wenn ich meinen Freund heiraten würde?"

Ganz im Gegenteil. Wenn einem in der Gesellschaft etwas verwehrt wird, leben auch die in einer unfreieren Gesellschaft, die es nicht betrifft. Ein bisschen, sagt er, sollte es mit der Ehe sein wie mit dem Ausgehen in Berlin: Man muss nicht, aber man weiß, dass man kann. Und außerdem könne es ja sein, dass er jemanden kennenlerne, den er heiraten wolle.

Der Optimist - die kommende Generation wird profitieren

Am Freitagmorgen, während im Bundestag die Politiker ihre Reden halten, steht Jens Parker im schwarzen Anorak vor dem Kanzleramt und wartet auf das Ergebnis der Abstimmung: Wie viele der Abgeordneten blaue Karten in die Urnen geworfen haben, ja sagen werden zur Ehe für alle, wie viele rote Karten es geben wird – für nein. „Es ist surreal, wie banal es eigentlich am Ende ist“. Surreal erscheint ihm das alles auch, wenn er sich zurückerinnert, wo sie noch im Dezember standen. „Ich dachte: vielleicht kommt es nächste Legislaturperiode“, sagt der 29-Jährige.

Ganz überraschend kommt das Ganze für ihn allerdings nicht. „Es ist ja nicht so, als wäre es vom Himmel gefallen. Viele haben sich über Jahrzehnte dafür eingesetzt – vor allem Volker Beck.

Ihn selbst hat auch die Frage nach der Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen in die Politik gebracht. „Das war mein politisierendes Moment“, sagt er. Als Mitglied der Grünen setzte er sich am diesjährigen Parteitag dafür ein, dass die Ehe für Alle als rote Linie ins Wahlprogramm aufgenommen wurde. Dass die Öffnung der Ehe jetzt sogar noch vor der Wahl Realität wird, ist für ihn ein Zeichen dafür, dass sich politisches Engagement lohnt.

Jens Parker (Mitte) hat die Ehe für alle zur Politik gebracht.
Jens Parker (Mitte) hat die Ehe für alle zur Politik gebracht.

© privat

Auch für Jens Parker selbst. Ende vergangenen Jahres beschlossen er und sein Freund, sich zu „verpartnern“. Und obwohl es die Ehe für alle damals noch nicht gab, ging es für die beiden immer darum und nicht um irgendetwas gleichgestelltes. „Wir haben schon die ganze Zeit von Ehe gesprochen.

Trotzdem lebten Jens und sein Freund immer in dem Bewusstsein zusammen, dass ihre Beziehung weniger Rechte hatte als die zwischen einem Mann und einer Frau. Besonders klar wurde das, als sie sich offiziell beim Standesamt anmeldeten. „Da wurde dann nicht mehr von Hochzeit geredet, sondern von Verpartnerung.“ Spezielle Dokumente für den speziellen Status. Am 4. August soll es so weit sein.

Was das alles jetzt für sie heißt, die plötzlich durch einen einzigen Satz von Angela Merkel neu angefeuerte Debatte über die Ehe für alle, weiß Parker zuerst nicht genau. „Tickermeldungen verfolgen, um zu erfahren, ob sich für die eigene Hochzeit noch der rechtliche Rahmen ändert“, postet er auf seine Pinnwand, als dann klar wird, dass die Abstimmung noch vor der Wahl kommt.

Wie sehr die Entscheidung einen Zeitenwechsel darstellt, wird klar, wenn Parker, selbst noch keine 30, von „den Jüngeren“ spricht. Für die freue es ihn.

„Meine Gedanken sind heute bei allen nicht heterosexuellen jungen Menschen, die jetzt endlich in einer Gesellschaft aufwachsen, in der der Staat auch Ihnen klipp und klar bestätigt, dass ihr Liebe genauso verwirrend, chaotisch, wertvoll, famos, schützenswert und verzückend ist - wie jede andere auch“, schreibt er nach der Entscheidung auf Facebook.

Dass das nicht das Ende jeder Diskriminierung, absolute Normalität, bedeutet, ist ihm klar. „Ich habe keine Illusionen, dass das von heute auf morgen verschwindet – aber es hilft.“

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