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Klaus Neumcke - und Michael

© privat

Nachruf auf Klaus Neumcke (Geb. 1931): „Was der eine nicht kann, lässt der andere weg“

Er war 64, Michael 24, als sie sich kennen lernten. Er, ein ehemaliger Opernsänger mit Seidenschal, gab ihm Gesangsunterricht. Und sie vergaßen die Jahre, die zwischen ihnen lagen

Von Julia Prosinger

Keiner wollte sich in den anderen verlieben. „Sorry, nun ist es doch passiert“, schreibt Klaus Neumcke an Michael. Vor ein paar Wochen haben sie sich auf der Treppe des Schillertheaters kennen gelernt, kurz vor der „West Side Story“. Klaus, 64, Seidenschal, Bühnenhut, bodenlanger schwarzer Mantel, am Finger einen dicken goldenen Ring: eine lachende und eine weinende Maske. Michael, 24, neu in Berlin.

Klaus, gerade aus dem Theater des Westens in Rente gegangen, gibt Michael Gesangsunterricht. Und dann sind 40 Jahre Altersunterschied plötzlich vergessen.

40 Jahre: Michael sieht Klaus Neumcke nie auf der großen Bühne. Er ist noch gar nicht geboren, als Klaus seine erste Anstellung an der Komischen Oper hat. Ist nicht dabei, als er nach Senftenberg zieht, nach Güstrow, nach Pforzheim, an den Theatern im „Lohengrin“ spielt, im „Rigoletto“, oder als Kurt, Klaus’ erste große Liebe, an einem Herzinfarkt stirbt. Michael übt nicht mit Klaus, als der vom Bariton zum Tenor wird, um auch Operetten zu singen.

Freut sich nicht mit ihm über die guten Kritiken. Er lernt seinen Hund nicht kennen, Akki, den Spitz. Hilft ihm nicht, als Klaus heimlich einen Kurden liebt, der eine Frau heiraten muss. Diskutiert nicht in den Sitzungen, Neumcke ist jahrelang Chor-Obmann und Mitglied der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger.

Der Kleine und der Große bleiben zusammen

Aber es ist, als ob. Als ob Michael all die Jahre miterlebt hätte. So gut kann Klaus Neumcke davon erzählen.

Auf seinem Nachttisch steht eine Porzellanfigur, ein großer Elefant umschlingt einen kleinen. In die Ohren der Tiere hat Klaus Neumcke ihre Initialen geschrieben. Der Kleine und der Große bleiben zusammen, 20 Jahre lang, seit 2013 als Ehepaar. Sie fahren nach Gran Canaria, Playa del Inglés, schlafen in der Ferienwohnung aus. Fernsehen, Pool, Michael mag den Sand am Strand nicht.

„Was der eine nicht kann, lässt der andere weg“, sagt der Große, Klaus, gern. Mittags Erbeerkuchen im Café Wien. Klaus liebt es süß. Abends gegrillte Seezunge mit Zitrone im Yumbo Center, Rotwein, Billard. Klaus schaut Michael beim Tanzen zu. Zum Abschied, kurz vor Abflug, spucken Klaus und Michael auf einen Pfennig und werfen ihn in den Pool, damit sie wiederkommen. 15 Jahre lang, drei Mal im Jahr.

Klaus Neumcke im Kostüm, lange bevor Michael ihn kennen lernte
Klaus Neumcke im Kostüm, lange bevor Michael ihn kennen lernte

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Es ist, als ob. Die Bombennächte in Dresden, wo Klaus Neumcke, der Apothekerssohn, aufwuchs, spürt Michael irgendwann selbst. Riecht die Leichen, die auf dem Altmarkt getürmt und verbrannt wurden. Sieht die geschmolzenen Reagenzgläser im Keller der Apotheke und die erstickten Dresdner, die der Teenager Klaus dort entdeckt hat.

Michael schmeckt den selbst gebrannten Schnaps, das zu Wein vergorene Brot, das Klaus mit seinen Freunden auf dem Dachboden der Villa in Dresden-Strehlen kippte. Er spürt den Wind, in dem Klaus mit zusammengeschraubten Motorrädern bis an die Ostsee ratterte.

Neumcke senior erlaubte seinem Sohn die Musikerkarriere – schließlich war die Mutter Opernsängerin und der Großvater Cellist –, aber er sollte auch etwas Ordentliches lernen: Uhrmacher. Michael weiß, wie sich Klaus morgens müde über Uhren beugte, wenn er nachts auf der Bühne gesungen hatte.

Michael geht abends allein aus

Klaus, der Rentner, lektoriert Drehbücher, tritt mit der „Opera Piccola“ in Altersheimen auf. Operetten, Musicals, Liederabende. Sie leben zusammen in der Künstlerkolonie in Wilmersdorf, wo Gardarobieren, Souffleusen, Schauspieler und Sänger preiswert unterkommen.

40 Jahre Unterschied. Klaus’ erster Schlaganfall. Er ist jetzt links gelähmt, trifft die Töne nicht mehr. Kann keine Uhr mehr reparieren. Michael geht abends allein aus.

Zweiter Schlaganfall. Michael schiebt Klaus im Rollstuhl zum Restaurant. Wenn es nachts etwas später wird, verzeiht Klaus ihm. „Hauptsache, du rufst an.“ In der gemeinsamen Wohnung am Savignyplatz hinterlässt Klaus einen Zettel: „Mein über alles geliebter Spatz. Ich danke Dir für die schöne Zeit. Wenn ich eines Tages gehen muss, wünsche ich Dir und O. alles Gute!“

40 Jahre; das bedeutet, dass der eine stirbt, wenn der andere im Leben ankommt.

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