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In Lukas Moodysoons Film "Raus aus Åmål" (1998) verlieben sich zwei Schülerinnen.

© Imago

Queer weiß das (32): Wann habt ihr eure Homosexualität bemerkt?

Die Kolumne im Queerspiegel: Heteros fragen, Homos antworten. Heute geht es darum, wann man die eigene Homosexualität bemerkt.

Wann genau habt ihr eigentlich gemerkt, dass ihr homosexuell seid? Rüdiger, Friedrichshain

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Schwule, die behaupten, sie hätten schon als Vier- oder Fünfjährige gewusst, dass sie auf Männer stehen. Wobei hier – so zumindest meine persönliche Einschätzung – sicher in späteren Jahren das eine oder andere tendenziös interpretiert oder überbetont wird.

Ich kenne das von mir selbst: Die eigene Identität soll schließlich plausibel sein, die Vergangenheit eine stringente Erzählung. So habe auch ich mir mein Martina-Navratilova-Fantum der achtziger Jahre retrospektiv gern als versteckten Hinweis auf mein späteres Lesbischsein erklärt. Dass die Begeisterung zunächst sportliche Gründe hatte – Navratilova spielte viel attraktiver als die Grundlinien-Langweilerin Steffi Graf – stellte ich bei dieser Erklärung hintenan.

Deshalb bin ich heute skeptisch bei solchen nachträglichen Interpretationen. Richtig kapiert habe ich meine bevorzugte Begehrensrichtung jedenfalls erst, als ich mich mit 21 Jahren in eine Kommilitonin verliebte und sie sich in mich.

Die Erkenntnis wird meist erstmal als belastend empfunden

Die meisten Lesben und Schwulen bemerken jedoch schon in der Pubertät, dass sie mehr auf Menschen des eigenen als auf solche des anderen Geschlechts stehen. Oft folgt eine Phase der Verwirrung und des inneren Ringens, denn häufig wird diese Erkenntnis als belastend empfunden und mitunter erst mal verleugnet. Verständlich: Auf Schulhöfen sind „Schwule Sau“ und „Schwuchtel“ noch immer Top-Schimpfwörter, auch Lesben werden dort nicht eben gefeiert. Eine positive Reaktion von Eltern und Freund*innen können junge Homosexuelle ebenfalls nicht voraussetzen.

Deshalb ist der Prozess des inneren Coming-outs, also das Eingeständnis der Homosexualität vor sich selbst, schwierig, was sich zudem darin zeigt, dass Selbstmordversuche und Selbstmorde bei homosexuellen Teenagern weit öfter vorkommen als bei heterosexuellen.

Viele Lesben und Schwule haben Hetero-Sex ausprobiert

Das soll nicht heißen, dass junge Homosexuelle grundsätzlich eine traumatische Pubertät erleben. Doch für viele kommt in einer ohnehin von Unsicherheit und Umbrüchen geprägten Zeit eine zusätzliche Herausforderung hinzu. Darüber hinaus ist die Pubertät oft auch eine Zeit der Experimente, bei denen die Grenzen verwischen. So probieren etwa später heterosexuell lebende Menschen Sex mit gleichgeschlechtlichen Partner*innen aus. Umgekehrt haben viele Schwule und Lesben in dieser Zeit heterosexuelle Erfahrungen.

Alle, die auch damals im Bett nie vom queeren Pfad abgewichen sind, nennen wir übrigens scherzhaft „Gold Stars“. Das soll die, die ihre Homo-Seite erst später entdeckt haben, aber nicht abwerten. Denn letztlich sind wir ja alle Stars und Sternchen unterm Regenbogen.

Folge 31: Hat Berlin etwa keine Lebsenbar?

Folge 30: Wie ist es, als schwuler Flüchtling hierher zu kommen?

Folge 29: Coming Out als Erwachsener - verschenkte Jugend?

Folge 28: Habt ihr in der Szene gerade Streit?

Folge 27: Ist es für Schwule schwierig, einen festen Partner zu finden?

Folge 26: Gibt es eine Homo-Lobby?

Dieser Text erschien zunächst in der gedruckten Sonnabendsbeilage Mehr Berlin.

Haben Sie auch eine Frage an die Tagesspiegel-Homos? Dann schreiben Sie an: queer@tagesspiegel.de!

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