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Ellen Page und Ian Daniel unterwegs für ihre Doku-Serie "Gaycation".

© Vice

Reise-Doku "Gaycation": Ellen Page auf queerer Reise

In der Reisedoku-Serie „Gaycation“ wollen Ellen Page und Ian Daniel queeres Leben rund um den Globus zeigen. Neben spannenden Einblicken gibt es viel Oberflächliches in ihren Filmen aus Japan, Jamaica, Brasilien und den USA.

Als Ellen Page vor zwei Jahren auf dem Podium einer Menschenrechtskonferenz stand und sagte „I‘m here today because I‘m gay“, war das eine Sternstunde der queeren Emanzipationsgeschichte. Die damals 26-jährigen Schauspielerin - bekannt aus Filmen wie „Juno“ und „Inception“ - hielt eine emotionale und kämpferische Rede, die bis heute auf Youtube über fünf Millionen mal angeklickt wurde. Man dachte: Hey, Hollywood, es geht doch! Und Jodie Foster, so macht man das!

Zwar hat die Aktion der in L.A. lebenden Kanadierin keine Outing-Welle in der Filmbranche ausgelöst, dafür genießt sie selber ihre neue Freiheit und ist zu einer Art LGBT-Klassensprecherin geworden. Einfach weil sie offen über queere Themen spricht oder Hand in Hand mit ihrer Freundin über die roten Teppiche ihrer Filmpremieren läuft. Diese Selbstverständlichkeit ist sympathisch, erfrischend und motiviert hoffentlich doch noch den einen oder anderen Star, es ihr gleichzutun.

Ihre Position nutzt Ellen Page, die nächste Woche in dem Drama „Freeheld“ (Text folgt) an der Seite von Julianne Moore  erstmals in der Rolle einer lesbischen Frau in den deutschen Kinos zu sehen sein wird, auch vor der Kamera. So präsentiert sie derzeit zusammen mit ihrem besten Freund, dem schwulen Amerikaner Ian Daniel, die Reisedoku-Serie „Gaycation“, die von „Vice“ produziert wird. Die beiden fahren in den bisher verfügbaren vier Folgen nach Japan, Brasilien, Jamaica und die USA, um herauszufinden, wie es in diesen Länder ist, lesbisch, schwul, bi oder trans zu sein - auch als Tourist/in. Das geschieht in einem Mix aus Bar- und Paradenbesuchen, Interviews mit Aktivist/innen beziehungsweise Homo-Hassern sowie Kommentaren von Page und Daniel.

Betroffen gucken und Opfergeschichten anhören

Dieser Ansatz erweist sich allerdings oft als problematisch, weil in 45 Minuten (nur die USA-Folge ist 70 Minuten lang) häufig nur oberflächliche Einblicke möglich sind. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass die beiden von ihren Gesprächspartnern nur einen netten oder tragischen O-Ton abgreifen wollen, um dann schnell weiterzudüsen.

So besuchen sie sowohl in Brasilien als auch in den USA Angehörige von Todesopfern trans- bzw. homophober Gewalt. In beiden Fällen sind Page/Daniel geduldig, einfühlsam, ja sogar zu Tränen gerührt. Doch außer den Mordgeschichten erfährt man fast nichts über die Opfer, sie werden auf ihren Tod reduziert. Und dann geht es schon wieder weiter zum nächsten Interviewpartner, zur nächsten Episode.

In Kingston trifft das Duo immerhin zwei Mal mit derselben Gruppe obdachloser junger Transfrauen und Schwuler zusammen, die viel Gewalt erlebt haben. Beim zweiten Mal berichten drei von ihnen, dass sie von ihrem Schlafplatz vertrieben wurden. Ratlos steht das „Gaycation“-Duo daneben und lässt die Verzweifelten in der Dämmerung zurück. Man wird nicht erfahren, wie es mit ihnen weiterging. Das ist bitter und wirkt wie westlicher Katastrophentourismus.

Ohnehin hätte dem Format etwas mehr Reflexion über die privilegierte Position der Macher/innen nicht geschadet. Wenn zwei weiße, nordamerikanische Cis-Personen arme Weltgegenden erkunden, entsteht fast zwangsläufig eine asymmetrische, tendenziell ausbeuterische Situation. Es ist schon ein Stück weit anmaßend, kurz durch eine Favela zu fahren und zu meinen, etwas über das dortige queere Leben sagen zu können. Überdies besteht das 200 Millionen-Einwohnerland Brasilien für „Gaycation“ nur aus Rio und São Paulo, wohin sie ein Kurztrip führt. Eine gewisse Unterkomplexität muss man sich da schon vorwerfen lassen.

Ein queerer Flash Mob im jamaikanischen Kingston

Besser funktioniert die Serie, wenn Ellen Page und Ian Daniel in Homo-Ausgehvierteln wie in Tokio unterwegs sind oder Aktivistinnen wie Simone Harris treffen, die zu den Organisatorinnen des ersten jamaikanischen Prides gehört. Wenn Harris, die eine Zeitlang in den USA gelebt hat, im Interview erklärt, dass sie ihr Leben leben will, und Jamaika schließlich auch ihr Land ist, wird klar: Hier spricht eine selbstbewusste Frau, die vielleicht wirklich etwas verändern kann. Am nächsten Tag gehört sie zu dem kleinen Regenbogenfahnen schwenkenden Flash Mob von Schwulen und Lesben, der im Emancipation Park von Kingston für gleiche Rechte demonstriert. Ein bewegender Moment.

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Ähnlich Eindrucksvolles gelingt Page und Daniel auch in Japan, wo ihnen nicht nur ein Schwuler anonym von seiner Scheinehe mit einer Lesbe berichtet, sondern ein junger Mann sie auch bei seinem Coming Out gegenüber seiner Mutter dabei sein lässt. Zur Unterstützung hat er außerdem einen bezahlten Begleiter angeheuert. Und tatsächlich ist es der Miet-Mann, der die aus der Wohnung flüchtende Mutter überzeugt zurückzukommen. Der folgende Dialog mit ihrem Sohn gehört zu den Höhepunkten der Serie.

Ellen Page legt sich mit konservativen Politikern an

Ein zentrales Element von „Gaycation“ sind Begegnungen mit Politikern, Geistlichen oder Künstlern, die Homosexualität verdammen. Meist ist es Ellen Page, die diese Konservativen zur Rede stellt. Aufschlussreich ist etwa die Begegnung mit einem Rastafari-Führer, der erst die liebevolle Offenheit seines Glaubens erklärt, um dann dessen komplette Ablehnung von Schwulen und Lesben vertreten - für ihn liegt darin keinerlei Widerspruch.

Unergiebiger sind hingegen die Treffen mit Politikern wie dem Brasilianer Jair Bolsonaro oder dem amerikanischen Republikaner Ted Cruz. Bei Bolsonaro weist Ellen Page die sexistischen Schmeicheleien des Politikers nicht entschieden genug zurück - etwas, das sich auf noch üblere Weise im Interview mit dem jamaikanischen Dancehall-Musiker Beenie Man wiederholt. Und im Streit mit Ted Cruz gibt sie sich zwar kämpferisch, kann den Rechten jedoch nicht entscheidend aus der Reserve locken.

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„Gaycation“ ist ein Produkt von „Vice“, dessen Muttermagazin für seine reißerischen Krawall-Reportagen bekannt ist. Dem scheint das allein auf den Gruseleffekt abzielende Treffen mit einem brasilianischen Ex-Polizisten und jetzigen Auftragskiller geschuldet zu sein, der dem Duo vermummt gegenübertritt. Er gibt offen zu, dass er viele Schwule und Lesben umgebracht hat. Sein eigener Sohn - inzwischen außerhalb seiner Einflusssphäre - ist schwul, was der Mann nicht akzeptierten kann.

Page und Daniel sind sichtlich eingeschüchtert, konfrontieren ihn aber dennoch mit der Information, dass sie selber homosexuell sind. Eine alberne Pseudo-Mutprobe, denn was soll der Mann ihnen bei laufender Kamera schon tun?

Die amerikanische Folge funktioniert am besten

Es gehört zum Konzept der Serie, dass die Moderatorin und der Moderator selbst viel im Bild sind und über ihre Gefühle sprechen. Sie betonen, dass sie etwas lernen wollen. Das nimmt man ihnen auch ab. Nur scheuen sie zu oft davor zurück, sich wirklich intensiv auf die Länder und Leute einzulassen. Die sehenswerteste Folge ist deshalb die amerikanische, denn hier nehmen sich die beiden mehr Zeit, haben nicht das Problem der kulturellen Differenz und der Asymmetrie. Hier entsteht mittels ihres additives Prinzips - Besuche im queeren Altersheim beim New Yorker Pride bis hin zu einer Klinik für Trans-Jugendliche - tatsächlich ein relativ vielfältiges Bild, das natürlich auch vom Vorwissen eines westlichen Publikums profitiert.

Für die bereits geplante zweite Staffel sollten Page und Daniels eine Beitragslänge von 70 oder gar 90 Minuten zum Standard machen. Spannend wäre auch, wenn sie in einem Jahr einfach nochmal in Jamaica und Brasilien vorbeischauen - das würde den Lerneffekt sowohl bei ihnen als auch beim Publikum erhöhen.

Mehr zur queerer Kultur finden Sie hier. Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.

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