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Musikerin Stéphanie Sokolinski alias Soko.

© Frenchculture.com

Soko live in Berlin: Sei meine Meerjungfrau

Pro Homo-Ehe und Busenfreiheit: Die französische Musikerin Soko gab im Berliner Gretchen ein prima Düster-Pop-Konzert.

„Dreams are my reality“, hieß die Refrainzeile einer wunderbaren Schnulz-Ballade, die in den Achtzigern durch die französische Teenie-Komödie „La Boum“ zu einem Hit wurde. Wenn eine Französin mehr als dreißig Jahre später ihr zweites Album „My Dreams Dictate My Reality“ nennt, huscht die Zeile bei manchen, die damals jung waren, noch mal kurz durch den Kopf. Doch spätestens als Stéphanie Sokolinski alias Soko den Titelsong im ausverkauften Kreuzberger Gretchen anstimmt, sind alle rosa Glitzer-Erinnerungen vertrieben. Eine melancholische Goth-Atmosphäre legt sich über den heißen Raum, denn hier geht es um Träume, die Albtraum-Qualität haben: „For I don’t see no elephants flying/No I don’t hear no dolphins singing/I just hear people dying“, singt die 28-jährige Musikerin, die ihre vormals blonden Haare jetzt passenderweise pechschwarz gefärbt hat.

Auf die Verbreitung von Düsternis versteht sich Soko bestens. Viele ihrer Lieder handeln von Tod, Schmerz und Verlust. Doch auf der Bühne will sie offensichtlich vor allem Spaß haben, das Leben und die Liebe feiern. Für „I Thought I Was An Alien“ von ihrem gleichnamigen Debütalbum, das vor drei Jahren erschien, bittet sie vier Leute aus dem Publikum auf die Bühne. Sie dürfen vortanzen, das Publikum macht ihre Bewegungen nach. Trotz der Hitze im Saal sind die überwiegend jungen und weiblichen Fans eifrig bei der Sache. Soko selbst zeigt sich ebenfalls von der sportlichen Seite: Sie hopst hinter dem Keyboard herum, springt für einen Crowdsurfing-Ausflug in die Menge, wechselt zum Bass, dann zur Gitarre.

Sokos Neo-Postrock hat einen hohen Retrofaktor

Begleitet wird sie von einer vierköpfigen Band, die leider suboptimal abgemischt wird: Die Rhythmusgruppe, die von eingespielten Beats verstärkt wird, ist im Verhältnis zu den beiden Gitarren meist viel zu laut. Das ist vor allem schade für das zwischen Psychedelic und Popseligkeit oszillierende Spiel des Lead-Gitarristen, das mitunter an The Cure erinnert. Sokos verhallter Neo-Postrock-Sound, der unter anderem Anleihen bei Siouxsie And The Banshees nimmt, weist einen hohen Retrofaktor auf. Das stört aber nicht weiter, zumal wenn es so witzig klingt wie in dem Stück „Lovetrap“, in dem Soko mit angekitschten Achtziger-Keyboards arbeitet. „Just be my mermaid/Be my mermaid“, fleht sie dazu eine Frau an.

Eine Frau schleudert ihren BH auf die Bühne

Im Mittelteil des 90-minütigen Konzertes setzt sie auf rockig-rappeligere Songs wie das ohrwurmige „Who Wears The Pants??“, in dem sie sich über Fragen à la „Wer ist denn bei euch der Mann“ lustig macht und das sie der Pro-Homo-Ehe-Entscheidung des US-Supreme Court widmet. Ob die seit einiger Zeit in Los Angeles lebende Musikerin Heiratspläne hegt? Ernst scheint es ihr jedenfalls mit ihrer derzeitigen Freundin zu sein. Das zeigt sich, als eine Zuschauerin ihr ihren BH heraufschleudert und sie die junge Frau auf die Bühne einlädt. „This girl has balls – and tits“, kommentiert sie die barbusige Pracht und stülpt sich den BH über den Kopf. Als der Fan sich von hinten an sie schmiegt, hat Soko nichts einzuwenden, nur keine Videos ins Netz zu stellen, bittet sie mit Rücksicht auf die Geliebte daheim. Dann beginnt sie ein todtrauriges Lied über einen Drogenabhängigen zu singen – die perfekte Antiklimax.

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