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Die amerikanische Autorin Meredith Russo.

© Chris Anderson

Trans-Jugendroman: Die Narbe über meinem Ohr

In ihrem Debütroman „Als ich Amanda wurde“ erzählt Meredith Russo von einer jungen Transfrau, die an ihrer neuen High School in der amerikanischen Provinz Freundinnen und Liebe findet.

Neue Stadt, neue Schule, neues Leben. Scheidungskinder kennen das. Ein biografischer Bruch, der mit viel Schmerz und Unsicherheit einhergeht. Das gilt auch für die 19-jährige Amanda, die von ihrer in Atlanta lebenden Mutter zu ihrem Vater nach Tennessee zieht. Sie verbindet den Wechsel aber zudem mit großer Hoffnung. Hoffnung auf ein ruhiges Leben, ohne Gewalt und Ausgrenzung. Denn die Protagonistin in Meredith Russos Debütroman „Als ich Amanda wurde“ ist transsexuell. Geboren wurde sie als Andrew und hat schon viel durchgemacht.

Von dieser Zeit als Junge sowie der Transition erzählt die transsexuelle US-amerikanische Autorin in Rückblenden. Man erfährt, dass Amanda so verzweifelt war, dass sie versucht hat, sich umzubringen. Von einer brutalen Attacke ihrer Mitschüler ist ihr eine Narbe über dem Ohr geblieben, die immer mal wieder erwähnt wird und ihre Verletzlichkeit symbolisiert: „Ich spürte die Narbe über meinem Ohr und dachte daran, dass ich mich nicht einmal jetzt, nach meiner Operation, nicht einmal jetzt, wo nur noch ein paar Dokumente meine Vergangenheit offenlegen konnten, wirklich sicher fühlen konnte.“ Was auch daher rührt, dass Trans-Personen, vor allem Frauen, überproportional häufig Opfer von Gewaltverbrechen werden. Wer nicht als „echte Frau“ durchgeht, ist besonders gefährdet.

Ein Junge aus dem Footballteam steht auf Amanda

Amanda genießt das Privileg, in ihrer neuen High School ganz selbstverständlich als Mädchen wahrgenommen zu werden. Ihre Vergangenheit spielt keine Rolle mehr, sie kann endlich sein, wer sie immer sein wollte. Schnell freundet sie sich mit einigen Mitschülerinnen an, erlebt alberne Abende mit der Clique und führt vertraute Gespräche mit Bee, die eine Vergewaltigung überlebt hat und bisexuell ist.

Schließlich interessiert sich sogar ein Junge für Amanda – und sie sich für ihn. Er heißt Grant und spielt im Footballteam der Schule. Die Annäherung der beiden schildert Russo sehr schön und glaubwürdig. Wobei die üblichen Unsicherheiten der ersten Teenagerliebe bei Amanda noch durch ihr großes Geheimnis potenziert werden. „Ich hatte solche Angst davor gehabt, nicht richtig küssen zu können, oder schlimmer noch, wie ein Junge zu küssen“, denkt sie einmal, was allerdings auch ihre stereotype Gendervorstellungen zeigt. Als gäbe es männliche und weibliche Kuss-Stile...

Meredith Russo hat eigene Erfahrungen eingebracht

Amanda ist nicht die Einzige, die etwas verbirgt. Grant möchte seine prekäre Familiensituation vor ihr geheim halten, was nur eine Weile klappt. Die sensible Charakterisierung von Grant gehört zu den Stärken von Russos Roman. Auch wie sie das Verhältnis von Amanda und ihren Eltern skizziert, ist gut nachvollziehbar. Die Autorin arbeitet viel mit Dialogen, ihr Stil ist solide, wobei sie eine liebevollere Übersetzung verdient hätte. So holpert es immer mal, zudem irritiert der wiederholte Gebrauch des überholten Ausdrucks Geschlechtsumwandlung (statt Geschlechtsangleichung). Was zumindest bei der ersten Nennung auch insofern fragwürdig ist, weil im Original an dieser Stelle von „transitioning“ die Rede ist.

Dennoch lohnt die Lektüre von „Als ich Amanda wurde“, der das recht überschaubare Angebot an Trans-Jugendromanen erweitert und jungen Trans-Leserinnen und -Lesern Mut macht. Dazu trägt auch bei, dass das Buch von einer Autorin stammt, deren Biografie sich zwar von der Amandas unterscheidet, die aber eigene Erfahrungen in die Geschichte einfließen ließ.
Meredith Russo: Als ich Amanda wurde. Roman. Aus dem Amerikanischen von Barbara Lehnerer. dtv München 2017, 304 Seiten, 10,95 €. Für Kinder ab 14 Jahren

Weitere Rezensionen von Kinder- und Jugendbüchern finden Sie auf unserer Themenseite.

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