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Die schwedische Autorin Sara Lövestam.

© Annie Sundbäck

Verliebte Mädchen: Das erste große Kribbeln

Sara Lövestam erzählt in ihrem Jugendroman „Wie ein Himmel voller Seehunde“ wie sich zwei sehr unterschiedliche Mädchen während der Sommerferien auf einer schwedischen Insel ineinander verlieben.

Lollo ist genervt. Sie muss in den Ferien mit ihrer Familie ins neue Sommerhaus auf einer schwedischen Insel, während ihre Freunde ins Ausland fahren. Zwar ist das Haus groß, mit viel Rasen drumrum und einem eigenen Strand, doch die 15-Jährige empfindet es als Gefängnis.

Ihre Eltern zickt sie deshalb ständig an. Am gleichen Tag wie Lollo kommt die etwa gleichaltrige Anna mit ihrem Vater auf Sländö an. Sie verbringen schon seit vielen Jahren jeden Sommer hier, früher waren auch Mutter und Bruder dabei, jetzt sind sie nur noch zu zweit. Die Hütte, in der sie wohnen, besteht aus einem Raum, es regnet rein und es gibt bloß ein Plumpsklo. Trotzdem ist dieser Ort für Anna das Paradies. Hier bleibt alles beim Alten, während sich um sie herum und in ihr selbst so vieles verwandelt.

Dialog- und temporeich

Die reiche Lollo und die arme Anna stehen im Mittelpunkt von Sara Lövestams erstem Jugendroman „Wie ein Himmel voller Seehunde“, der stark vom Kontrast der sozialen Schichten lebt. Die 1980 geborene Autorin und Journalistin spiegelt ihn sowohl in den Familien als auch in den Freundeskreisen der Mädchen, die in Stockholm auf völlig verschiedene Schulen gehen und sicher nie etwas miteinander zu tun gehabt hätten. Wie sie sich auf der Insel dennoch annähern, erzählt Lövestam in der dritten Person abwechselnd aus Lollos und Annas Sicht. Die Kapitel sind kurz, tempo- und dialogreich, was einen lebendigen Eindruck von den Teenagerinnen vermittelt, die sich zunächst skeptisch, ja abschätzig begutachten.

Zusammen mit dem Boot rausfahren

Dass sie sich begegnen, liegt am Meer. Es führt sie zuerst auf der Fähre und dann bei dem Bootsanleger zusammen, an dem sowohl die dicke Motoryacht der Familie als auch das kleine Boot von Anna und ihrem Vater liegen. Eines Abends hat sich Lollo dorthin geflüchtet, steht mit ihrem Telefon auf dem Steg als Anna gerade ankommt. Sie will Netze auslegen, leider allein, denn ihr Vater hat schon zu viel getrunken. Weil das fremde Mädchen genau vor ihrem Boot steht, kommen die beiden ins Gespräch – und fahren schließlich sogar gemeinsam raus. Lollo hilft Anna mit den Netzen, ist völlig überfordert, aber auch begeistert von der neuen Erfahrung: „Man hat das Wasser direkt unter den Füßen. Unser Boot erinnert mich eher an ein... schwimmendes Hotelzimmer.“

Sie schicken Zettelbotschaften hin und her

Wohl auch aufgrund ihrer Anti-Haltung gegen die Eltern und deren lächerliche Bemühungen eine werbeprospektartige Familie darzustellen, beginnt Lollo, sich für diese drahtige Unbekannte mit den Wuschelhaaren zu interessieren. Und dann hat die ihr einfach so gesagt, dass sie Mädchen „irgendwie lieber“ mag als Jungs. Anna verflucht sich im Stillen für dieses Outing, doch so ist es nun mal, und ein bisschen gefällt ihr diese reiche Göre ja auch, die sich immer so zaghaft bewegt.

Im schönsten Teil des Romans beschreibt Lövestam wie sich die beiden – von ihren Eltern weitgehend unbemerkt – langsam annähern. Humor spielt dabei eine wichtige Rolle und handgeschriebene Botschaften. Anna behauptet nämlich, dass ihr Mobiltelefon kaputt ist – in Wahrheit gibt es einfach keinen Strom in der Hütte. Also findet sie einen Weg, Lollo Zettel zukommen zu lassen, lädt sie zum Grillen ein, zu einem Ausflug. Immer mit dabei: die teenagertypische Unsicherheit, die Anspannung, das Ausweichen. Irgendwann dann doch ein Kuss, das große Kribbeln der ersten Liebe.

Das Coming-Out fällt selbst bei liberalen Eltern schwer

Recht abrupt wendet sich Lollo bald von Anna ab, was aber plausibel ist. Denn bei allem Aufbegehren gegen ihre Eltern scheut sie vor einer ernsthaften Konfrontation zurück, die ein Coming-out bedeuten würde. „Nicht dass ihre Eltern homophob wären, schließlich sind sie zivilisierte Menschen. Nichtsdestotrotz müssen ihre eigenen Kinder nun nicht gerade schwul oder lesbisch sein. Was sie ja auch gar nicht ist, immerhin hatte sie schon drei feste Freunde.“ Anschaulich zeigt Sara Lövestam, wie schwer es selbst in einem sich für liberal haltenden Umfeld noch immer sein kann, zu den eigenen Gefühlen zu stehen, wenn sie nicht den Mehrheitserwartungen entsprechen. Ihr Buch ist eine Ermutigung für alle Teenager, denen es ähnlich geht – für ihre Eltern ebenfalls.

Sara Lövestam:  Wie ein Himmel voller Seehunde. Roman. Aus dem Schwedischen von Stephanie Elisabeth Baur. Rowohlt Verlag, Reinbek, 2017. 254 S., 12,99€.

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