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Sein Wille ist nicht gelähmt. Benjamin Baltruschat aus Steglitz-Zehlendorf hat den Kampf mit der Rentenversicherung und den Behörden aufgenommen.

© Saara von Alten

Querschnittgelähmter Berliner startet Spendenaktion: Rollifahrer probt den Aufstand

Ein Unfall beim American Football hat ihn einst aus der Bahn geworfen. Nach zwölf Jahren im Rollstuhl will Benjamin Baltruschat nun wieder laufen lernen. Wenn er nur mehr Geld hätte.

Da war diese Psychologin, damals im Krankenhaus. Sie habe sich über sein Bett gebeugt, ihn mit „riesigen Augen“ angeschaut und gesagt: „Sie werden nie wieder laufen können.“ Benjamin Baltruschat konnte damals nicht sprechen, musste künstlich beatmet werden. Er konnte ihr nicht antworten, nicht widersprechen, nur mit dem Kopf schütteln. „Danach wollte ich diese Frau nie wieder sehen und auch keinen anderen Psychologen sprechen“, erzählt der 33-Jährige.

Mit voller Wucht

Vor zwölf Jahren hatte Baltruschat einen Sportunfall. Beim American-Football-Training prallte er mit einem anderen Spieler zusammen. Die beiden stießen Kopf an Kopf aneinander – „mit voller Wucht“. Dabei brach sich der Zehlendorfer seinen fünften Halswirbel, sein Rückenmark wurde gequetscht. „Ich hatte keine Schmerzen, dachte nur, ich falle. Mein Gefühl in Armen und Beinen verschwand langsam.“ Seitdem ist Baltruschat querschnittgelähmt. Acht Monate verbrachte er im Krankenhaus. „Es ging immer nur darum, mich auf den Rollstuhl vorzubereiten“, kritisiert er. Doch sein Ziel sei immer gewesen, irgendwann wieder zu laufen. „Man kann sich mit einer Querschnittlähmung arrangieren.“ Abfinden könne er sich „niemals“. Zumal es auch so viele mutmachende Forschungsergebnisse in der Wissenschaft gibt.

Er ritt auf einem Elefanten

Baltruschat, Dreitagebart, runde dunkle Augen und ein breites Lächeln, hat sich in den vergangenen zwölf Jahren bestmöglich arrangiert. Er hat eine Ausbildung gemacht, einen Job gefunden, ist weit gereist. In Thailand ist er auf einem Elefanten geritten. „Danach musste mich mein Bruder hundert Meter durch den Dschungel tragen, durch einen Fluss. Schon nach wenigen Metern hatte er keine Kraft mehr“, amüsiert sich der junge Mann aus Steglitz-Zehlendorf.

Er ist von der Brust abwärts gelähmt, Schultern und Oberarme kann er bewegen, aber auch die Finger sind gelähmt. Er kann nicht richtig zugreifen. Im Restaurant braucht er trotzdem keine Hilfe, denn er kommt mit seinem Rollstuhl an den Tisch gefahren, zum Essen klemmt er sich eine Gabel zwischen die Finger. So kann er auch mit einem Stift in der Hand oder am Computer schreiben. „Aber eben mit viel Mühe“, erzählt Baltruschat. „Durch Physiotherapie habe ich viel an Mobilität zurückgewonnen“, fügt er hinzu. Er lebt alleine in einer Wohnung in Zehlendorf-Mitte. Jeden Morgen hilft ihm eine Pflegekraft aus dem Bett und unterstützt ihn beim Duschen. Er ist zufrieden, will aber trotzdem nicht, dass die Psychologin aus dem Krankenhaus für immer recht behält.

Physio soll helfen

Vor etwa zwei Jahren fand er in einer medizinischen Fachzeitschrift einen Artikel über das Zentrum der Rehabilitation in Pforzheim. Er las, dass dort über intensive Physiotherapie Menschen mit Querschnittverletzungen wieder laufen lernen können. Das widerspricht der Meinung der Ärzte. Baltruschat hat eine inkomplette Querschnittlähmung. Er kann seine Beine nicht bewegen, hat aber eine erhaltene Sensibilität. „Etwa 20 bis 50 Prozent der Patienten mit vergleichbaren Verletzungen können innerhalb der ersten sechs bis acht Monate das Laufen noch lernen“, sagt Neurochirurg Peter Vajkoczy. „Doch nach zwölf Jahren wäre ich da eher pessimistisch“, meint der Chefarzt der Charité. Doch dem Berliner machen viele, auch ähnliche Projekte und medizinische Neuheiten Hoffnung.

Ein Probetraining überzeugte

Die Physiotherapeuten in Pforzheim halten dagegen. Sie schätzen Baltruschats Chancen, wieder laufen zu können, als realistisch ein. „Wir wenden nur an, was aus der neurologischen Forschung längst bekannt ist, aber bisher kaum in die Praxis umgesetzt wurde“, sagt Daniela Dorschner-Geerlofs vom Zentrum der Rehabilitation. „Solange zwei Prozent der Nervenverbindungen vorhanden sind, ist es rein theoretisch möglich, zu laufen.“ Mit ihrer Therapie versuchen sie, die Nervenzellen so zu stimulieren und zu lenken, dass verloren gegangene Bewegungsfunktionen wiederhergestellt werden. Seit einem Probetraining ist auch Baltruschat überzeugt. Doch die Therapie ist teuer. Zwölf Wochen müsste er sechs bis acht Stunden täglich mit zwei Physiotherapeuten trainieren. Kosten: 66 000 Euro. Die Rentenversicherung hat seinen Antrag abgelehnt, da kein Belegungsvertrag mit der Einrichtung bestehe.

"Sick of Wheels"

Deshalb sammelt er das Geld nun selber ein. „Sick of Wheels“ hat er seine Spendenaktion getauft. „Ich habe keinen Bock mehr auf den Rollstuhl“, sagt Baltruschat. Der gelernte Mediengestalter hat einen Flyer entworfen, den seine Freunde in der Stadt verteilen. Er hat einen Trödel organisiert und für eine Crowdfunding-Seite ein Video aufgenommen. 21 000 Euro hat er damit eingesammelt.

45 000 Euro fehlen ihm noch. Derzeit sucht er Sponsoren für eine Party. Auf Facebook postet er regelmäßig Fotos. Eins davon zeigt den Musiker Materia und ein anderes den Ex-MTV-Moderator Markus Kavka mit seinem Flyer in der Hand. „Die hat eine Freundin von mir angesprochen“, sagt er stolz.

Hoffen auf 45 000 Euro

Etwa 50 Patienten mit Querschnittverletzungen kommen jährlich in das Rehazentrum in Pforzheim. „70 Prozent können nach etwa zwölf Wochen am Rollator laufen“, sagt Dorschner-Geerlofs. Und die anderen 30 Prozent? Auch diese könnten sich danach besser bewegen. Manche müssten Medikamente nehmen, die die Muskelfunktionen unterdrücken, anderen fehle die Zeit oder das Geld, um lange genug zu trainieren, und anderen die Willenskraft, weil sie zusätzlich „geistig gelähmt“ seien. Baltruschat habe relativ viel Funktionalität in der Beinmuskulatur, die er derzeit nicht ansteuern könne. „Wir hatten ähnliche Fälle – und die Patienten laufen wieder“, sagt Geerlofs zuversichtlich. Auf ihrer Internetseite dokumentieren Videos die Fortschritte anderer Patienten. Vieles davon steht im Widerspruch zur gängigen Arztmeinung. Ob auch Baltruschat wieder laufen wird, dafür gibt es keine Garantie. „In jedem Fall wird es mir ein Stück Selbstständigkeit zurückgeben“, ist er sich sicher. An Willenskraft fehlt es ihm jedenfalls nicht.

DAS SPENDENKONTO

Die „Stand Up Initiative“ verwaltet es, sie unterstützt Menschen mit Behinderungen und ihre Familien, wenn die Kasse etwa höherwertige Rollstühle nicht zahlt. Baltruschat muss die Spenden aber selber auftreiben.

www.stand-up-initiative.de/stand-up-hilft.html 

Seit dem 15. Februar gibt es ein neues Spendenkonto:

VR Bank Niebüll
Health Media g.e.V
IBAN Nr.: DE 91217635420027828969
Verwendungszweck: Benjamin

Die Spenden können nur zweckgebunden verwendet werden.

INFO IM INTERNET
www.indiegogo.com/projects/sick-of-wheels

www.Facebook.de/SickofWheels

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