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Berlin: Quotenkönig Stadtschloss

52 Fragen, viele tausend Antworten: Das Pro & Contra des Tagesspiegels zeigt, was die Stadt bewegt Eine alte Weisheit hat sich erneut bestätigt: Verkehr und Hunde ziehen immer

Wer nächstes Jahr ins Rote Rathaus gewählt werden möchte, muss wissen, wie der Berliner als solcher so tickt. Nun weiß das niemand wirklich, aber es gibt Indizien: 52 jedes Jahr, denn immer wieder sonntags debattiert der Tagesspiegel in seinem „Pro & Contra“ aktuelle kontroverse Themen und fragt seine Leser nach ihrer Meinung. Aus vielen tausend Anrufen und Klicks in der Internetabstimmung ergibt sich zwar kein repräsentatives, aber ein durchaus aufschlussreiches Bild davon, was die Stadt umtreibt. Ein Rückblick auf das Jahr 2010 zeigt, womit sich punkten lässt und woran sich Politiker die Finger verbrennen können. Die Online-Abstimmungen auf tagesspiegel.de, die oft (aber längst nicht immer) den telefonischen Ergebnissen ähnelten, sind dabei nicht berücksichtigt.

Klarer Quotenkönig bei den Anrufern war die nach Planungquerelen und Kostenproblemen aktuell gewordene Frage, ob die Pläne fürs Berliner Stadtschloss endgültig begraben werden sollten. Nein, fanden 83 Prozent der Anrufer an jenem Junisonntag. Drei Monate zuvor, im März, hatte ein anderer Aspekt des Stadtschlosses ebenfalls ungewöhnlich viele Anrufer mobilisiert. Da war es die Frage, ob das Schloss mit der großen Kuppel gebaut werden soll. Die Antwort fiel mit 47 Prozent Ja- und 53 Prozent Nein-Stimmen allerdings nicht so eindeutig aus wie bei der Grundsatzfrage.

Die aus dem Leserforum im Internet bekannte Erkenntnis „Verkehrsthemen und Hunde ziehen immer“ bestätigte sich auch durch die weit überdurchschnittlichen Anruferzahlen, als es um Tempo 30 für Autofahrer als Regelgeschwindigkeit und um ein Hundeverbot für die Berliner Parks ging. Wobei der eine Fall mit einem 76-prozentigen Nein zu Tempo 30 ausging und der andere mit einer Zweidrittelmehrheit zugunsten des Hundeverbotes. Beim neu eingeführten Maulkorbzwang für alle Hunde in Bussen und Bahnen des Verkehrsverbundes VBB – also auch S-Bahn und BVG – war das Votum mit 54 Prozent Ja-Stimmen ausgewogener.

Doch auch in Themen, die nur wenige direkt betreffen, ist mitunter viel Musike drin: Die Frage, ob Eltern von Schulschwänzern das Kindergeld gestrichen werden soll, mobilisierte nicht nur überdurchschnittlich viele Anrufer, sondern lieferte mit 98,6 Prozent für die Streichung auch das eindeutigste Ergebnis des ganzen Jahres. Ähnlich klar war die Tendenz bei einem Thema, das die Stadt schon im Januar umtrieb. Damals war nach schärferen Strafen für säumige Winterdienste gefragt. 95 Prozent der Anrufer waren dafür. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander: Laut dem neuen Straßenreinigungsgesetz landet der Bußgeldbescheid beim Grundstückseigentümer, der sich dann mit seinem Winterdienst auseinandersetzen muss.

Die weitere Suche nach besonders klaren Ansagen führt zunächst aufs Tempelhofer Feld. Das soll nach dem Willen von gut 96 Prozent der Besucher nach Sonnenuntergang geschlossen werden. In diesem Fall passt der Wunsch zur Wirklichkeit. Und die für Berlin bemerkenswert geordneten Verhältnisse auf der Riesenfläche geben den Parkmanagern des Senats ganz offensichtlich Recht. Ordnung soll sein, lautet die Tendenz auch in vielen anderen Fällen: 91 Prozent der Anrufer wünschten sich mehr Blitzer der Polizei, um Temposünden zu ahnden. 90 Prozent finden es in Ordnung, wenn die Polizei friedliche Demonstrationen filmt. Und 89 Prozent hätten die Vuvuzelas am liebsten verboten. Wobei das Problem der Fußballtröte sich durch seine selbstständige Erledigung auszeichnet. Ansonsten würde der Schnee den Lärm jetzt schlucken. So wie der Dauerfrost manches Ärgernis vertreibt – zum Beispiel die menschlichen Scheibenwischer an vielen Kreuzungen. 87 Prozent der Anrufer wollten diesen anstrengenden Dienstleistern per Verbot das Handwerk legen.

Weitere Erkenntnisse des Jahres lauten: Wasserbetriebe zurückkaufen (91 Prozent), Finger weg vom historischen Kopfsteinpflaster (86 Prozent), keine Flugrouten über der Stadt (94 Prozent), keine neuen Laubenpieper auf dem Tempelhofer Feld (67 Prozent), keine höheren Parkgebühren (69 Prozent), keine Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten (61 Prozent), keine anonymen Bewerbungen (74 Prozent) und keine große Bühne für den Papst (61 Prozent). Aber die Anrufer können nicht nur verbieten, sondern auch gönnen: Zum Beispiel eine elterliche Ohrfeige, wenn die Kinder nicht spuren. 83 Prozent der Anrufer finden einen Ausrutscher keinen Grund, die Eltern anzuzeigen. Wobei die Frage im April gestellt wurde, als der Weihnachtsmann mit seiner Rute längst über alle Berge war. Stefan Jacobs

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