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Berlin: Rätsel um S-Bahn-Unfall

Neun Minuten vor dem Unglück am Südkreuz gab es einen weiteren Vorfall mit dem Messzug

Einen Tag nach dem S-Bahn-Unglück im Bahnhof Südkreuz hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Bei dem Auffahrunfall waren Montagvormittag 33 Menschen verletzt worden. Sechs Menschen lagen gestern noch im Krankenhaus, sie erhielten am Nachmittag Besuch von Mitarbeitern der S-Bahn, die sich mit einem Blumenstrauß entschuldigten. Zudem wurde allen Opfern in einem Brief erläutert, welche Ansprüche sie auf Schadensersatz haben. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wünschte den Verletzten gestern eine rasche Genesung.

Die Ursache des Unglücks ist weiterhin nicht geklärt. Bisherigen Ermittlungen zufolge stand der betroffene Gleismesszug ordnungsgemäß vor dem Signal zur Abfahrt in die Kehranlage am späteren Unfallort am Ende des Bahnsteiges. Das Bahnsteiggleis war also für die nachfolgende S-Bahn der Linie 25 gesperrt. Warum diese dennoch einfuhr und mit welcher Geschwindigkeit sie trotz einer Gefahrenbremsung auf den Messzug auffuhr, ist ungeklärt. Wie es hieß, habe der „Fahrer der S-Bahn das Hindernis zu spät erkannt“, die Gefahrenbremsung habe nicht gereicht.

Nach Auskunft von Experten ist die Einfahrt einer S-Bahn in ein mit rotem Signal gesichertes belegtes Gleis nur möglich, wenn der Fahrdienstleiter die ausdrückliche Genehmigung über Funk erteilt. Möglicherweise habe der S-Bahn-Fahrer diese Erlaubnis erhalten und sei dann nicht – wie vorgeschrieben – langsam in den Bahnhof hineingefahren. Vielleicht habe er eine Verspätung aufholen wollen. Ob der Fahrdienstleiter diese Erlaubnis tatsächlich erteilt hatte, dazu nahmen Staatsanwaltschaft und Bahn gestern keine Stellung. Wenn die S–Bahn aber das rote Signal ohne Genehmigung überfahren hätte, wäre sie zwangsgebremst worden – rechtzeitig vor dem Messzug. Nach Angaben eines Justizsprechers habe Nässe auf den Gleisen die Bremsung nicht behindert. Weder der Fahrer noch der Fahrdienstleiter gelten derzeit als Beschuldigte. Klar ist nur, dass den Fahrer des Messzuges einer Privatfirma keine Schuld trifft. Dieser hatte sogar einen Lotsen der S-Bahn an Bord, der die Strecke genau kennt.

Erst auf Anfrage bestätigte die Bahn gestern Informationen des Tagesspiegels, dass es neun Minuten vor dem Unfall bereits einen anderen Vorfall gegeben hat, an dem dieser Messzug beteiligt war. Um 10.14 Uhr konnte ein Zug der Linie S2 am Bahnhof Schichauweg, der direkt hinter dem Messzug fuhr, nicht rechtzeitig bremsen und rutschte über das Bahnsteigende hinaus. Die Fahrgäste mussten die S-Bahn an der nächsten Station verlassen, sie wurde zur Prüfung in die Werkstatt gefahren. In Schichauweg seien die Gleise glatt gewesen, hieß es. Die Bahn bestätigte, dass der Prüfzug bei der Messung eine Flüssigkeit auf die Schienen sprüht.

Klarheit erhofft sich die Bahn durch die Auswertung der im Stellwerk und in der S-Bahn gespeicherten Daten. Diese werden derzeit vom Eisenbahnbundesamt und der Bundespolizei ausgewertet. Der Fahrer wurde gestern aus der Klinik entlassen, er wurde aber noch nicht befragt.

Der Experte Manuel Jacob, der zum Sicherungssystem der S-Bahn ein Buch verfasst hat, sagte gestern: „Ich habe absolut keine Erklärung.“ Bei vorangegangen Unfällen sei jedoch meist der Mensch das schwächste Glied gewesen, nicht die Technik. Ha

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