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Berlin: Rätsel um verschwundene Jugendrichterin

Bekannte Neuköllner Juristin wird seit Tagen vermisst – großangelegte Suche in Heiligensee bislang ohne Ergebnis. Polizei hat keine Hinweise auf Verbrechen

Mit Spürhunden und Hubschrauber hat die Berliner Polizei am Donnerstag den Tegeler Forst durchsucht. In einem zwei Quadratkilometer großem Waldgebiet um die Heiligenseestraße forschten bis zum Abend mehrere Suchtrupps nach Hinweisen auf den Verbleib einer 48-jährigen Berlinerin. Dass es sich bei der Vermissten um die bekannte Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig handelt, will das Landeskriminalamt offiziell nicht bestätigen. In Justizkreisen gab es allerdings keinen Zweifel daran, dass es sich um Heisig handelt. Die Richterin soll zuletzt am Montagabend im selben Bezirk Reinickendorf gesehen worden sein. Dort hatte sie Bekannte besucht.

Am Mittwoch gegen 14 Uhr war das Auto der Richterin in der Heiligenseestraße gefunden worden. Der Mazda war Ermittlern zufolge ordnungsgemäß abgestellt und offenbar nicht durchwühlt worden. In der Nacht zu Donnerstag ist der Kleinwagen auf das Sicherstellungsgelände der Polizei in der Belziger Straße in Schöneberg gebracht worden, nachdem am Mittwoch Vermisstenanzeige gestellt worden war. Anhaltspunkte für eine Entführung oder ein Gewaltverbrechen gebe es bislang nicht, sagten Ermittlungsbeamte. Etwa 60 Polizisten durchkämmten am Donnerstag in sogenannten Ketten bis etwa 19 Uhr das Gebiet in Tegel. Ob die Suche am heutigen Freitag fortgesetzt wird, war gestern Abend noch nicht entschieden.

In der Nähe des Fundortes in Tegel soll zwischenzeitlich ein Fährtenhund der Polizei auf einen Hinweis gestoßen sein, allerdings habe es sich nicht um eine verwertbare Spur gehandelt, hieß es. Am Donnerstag sind schließlich vier Spürhunde in den Wald gebracht worden. Wegen der Hitze waren die hoch spezialisierten Schäferhunde schnell erschöpft. Das Handy der Jugendrichterin war am Donnerstag aus, ihr Anrufbeantworter sprang an. Ob das Mobiltelefon nur keinen Empfang hat, etwa weil sich Heisig in einer dünn besiedelten Gegend aufhält, oder ob das Gerät komplett ausgeschaltet war, sagten die Ermittler nicht. Im letzteren Fall lässt sich das Telefon nicht orten, also etwa durch einen Satellit aufspüren, dazu brauche man ein Signal des Gerätes, hieß es von Beamten.

Nach Tagesspiegel-Informationen hatte Heisig geplant, in diesen Tagen mit ihren beiden Töchtern in den Urlaub zu fahren. Dazu, ob die Kinder der Frau ebenfalls vermisst werden, sagte die Polizei am Donnerstag nichts. Die Richterin lebt von ihrem Mann getrennt in Steglitz. Nicht bestätigt wurden Gerüchte, wonach die erfolgreiche Juristen in psychologischer Behandlung gewesen sei. Aus dem Hause von Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hieß es, man hoffe sehr, dass die „engagierte Richterin“ bald unversehrt gefunden werde.

Wie der Tagesspiegel am Donnerstag erfahren hat, will der Herder Verlag den Erscheinungstermin des Buches von Kirsten Heisig vorziehen. „Aufgrund der Ereignisse bemühen wir uns, das Buch zeitnahe rauszubringen“, bestätigte eine Sprecherin des Verlages dem Tagesspiegel. Der ursprünglich geplante Erscheinungstermin war Anfang September dieses Jahres. Schon vor der Polizeisuche nach Heisig hatte der Verlag tausende Vorbestellungen für das Werk unter dem Titel „Das Ende der Geduld: Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“. Heisig hatte dem Tagesspiegel vor etwa zwei Wochen mitgeteilt, dass sie das Manuskript für das Buch fertig abgegeben habe.

Als Jugendrichterin hatte Heisig vor allem mit bereits mehrfach kriminell aufgefallenen Jugendlichen, meist zwischen 14 und 18 Jahren, aus den Problemkiezen in Neukölln zu tun. Die Juristin ist durch das von ihr konzipierte Neuköllner Modell bekannt geworden. Ziel des Modells ist eine schnell auf die Tat folgende Gerichtsverhandlung – maximal nach vier Wochen. Folgen etwaige Strafen erst Monate oder Jahre nach einem Vergehen, gilt die pädagogische Wirkung des Urteils als schwach.

Für Schnellverfahren kommen nur Fälle in Betracht, bei denen als Strafe maximal ein Arrest von vier Wochen zu erwarten ist. Häufiger werden jugendliche Täter nach dieser Verfahrensweise mit Arbeitsstunden oder dem sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich belegt. Außerdem sollen nur Taten nach dem Neuköllner Modell behandelt werden, bei denen die Beweislage eindeutig und übersichtlich ist. Umfangreiche Zeugenbefragungen, wie nach Schwerverbrechen üblich, scheiden aus. Nach großer Resonanz wird das Neuköllner Modell seit Juni in ganz Berlin angewandt.

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