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Berlin: Ran an den Wald

Zwei aus einem Bezirk: Ein Unternehmer und eine Schauspielerin schwören auf Berlins stillen Winkel Frank Becker ist überzeugt vom grünen Firmensitz, Maren Gilzer wohnt viel lieber urig als schick

Ist das nun zu viel Werbung, wenn wir gleich von „Weltgeltung“ reden? Doch es besteht kaum Zweifel daran, dass die Produkte von Collonil in Wittenau über den Ledern feiner Schuhe, pffft, die absolute Lufthoheit besitzen – eine Reinickendorfer Erfolgsgeschichte, die vor mehr als einem Jahrhundert im brandenburgischen Mühlenbeck begann und später in der Hermsdorfer Straße fortgesetzt wurde. Und die Globalisierung? „Bisher ist es uns immer gelungen, den Standort hier zu sichern“, sagt Frank Becker, der geschäftsführende Gesellschafter. „Bei einem Neuanfang würde man nicht wie hier eine Chemiefabrik mitten in ein Wohngebiet bauen.“ Doch selbst empfindliche Anwohner haben nichts zu klagen, Umweltprobleme gibt es anscheinend nicht.

Die rund 130 Mitarbeiter sind glücklich, ihren Arbeitsplatz mitten in Berlin zu haben, und Becker selbst ist es auch. Der gebürtige Bremer, der von einer Gerberei in Porto auf den Collonil-Chefsessel wechselte, wohnt in Frohnau, und er betrachtet sich inzwischen längst als Eingeborenen. Die Kinder gehen auf die katholische Salvator-Grundschule in Waidmannslust, der Frohnauer Wochenmarkt ist familiäres Pflichtprogramm, und selbst Beckers aus Portugal stammende Frau hat ihren Frieden mit der fremden Gegend gemacht.

Der Blick auf den Atlantik fehlt in Frohnau, aber egal: „Reinickendorf ist ein wunderbar grüner Bezirk“, lobt er. „Wo haben Sie das noch in einer Großstadt?“ Überraschenderweise lässt er sich kein Wort der Kritik an den Behörden des Bezirks entlocken. „Egal, ob es um Baugenehmigungen geht, um Fällgenehmigungen oder das Aufstellen von Fahnenmasten, es funktioniert alles sehr gut“, sagt Becker. Selbst Halteverbotszonen, die vor allem für den Einsatz großer Lastzüge notwendig sind, würden unkompliziert genehmigt: „Ich höre, dass das in anderen Bezirken schwieriger ist.“

Becker arbeitet daran, das Unternehmen für die Zukunft zu stärken: „Da der Markt nicht wächst, müssen wir unser Dasein durch Innovation und Veränderung rechtfertigen.“ Kürzlich hat er einen regionalen Konkurrenten in Westfalen übernommen, jetzt steht noch ein bisheriger Lieferant auf der Einkaufsliste, „was hier sicherlich dem Standort zugutekommt“.

Am besten für den Standort war aber offenbar der Einsatz der Nano–Technik für neue, merklich verbesserte Imprägniersprays. „Was für Pfizer Viagra war“, ruft er, springt auf und kehrt mit einer blauen Dose zurück, „das war für uns das hier, das ist ein richtiger Blockbuster.“ Schuhpflege allein ist ohnehin zu wenig, denn jeder heiße Sommer, in dem alle nur Flipflops tragen, gefährdet den Umsatz. Also sprüht Collonil nun auch – pffft – auf Kleidung, Möbel, Autointerieurs. Das Unternehmen Collonil ist ein wichtiges Stück Reinickendorf – und soll es auch bleiben. „Die Firma ist immer sehr begehrt für Übernahmen“, sagt Becker. Dann würde der Standort wohl sofort geschlossen. „Aber das wollen wir nicht.“ Bernd Matthies

Manche TV-Stars vermitteln den Eindruck, dass sie in Ballsälen und Hotelsuiten wohnen, irgendwie wurzellos, abhängig von Dienstboten und Managern. Maren Gilzer nicht: Sie sitzt im bescheiden bürgerlichen Restaurant „Igel“, nippt an einem Milchkaffee und blickt zufrieden über die Havel, eine Konradshöherin aus Überzeugung. Das ist insofern eine Überraschung, als die meisten Fernsehzuschauer sie wohl in Leipzig ansiedeln würden, wo sie als Schwester Yvonne „In aller Freundschaft“ den guten Geist der Sachsenklinik spielt. Oder in München-Schwabing, wo sie bei ihrem Lebensgefährten Egon F. Freiheit tatsächlich lange gewohnt hat. „Lebt in München und Berlin“ heißt es offiziell, aber nicht ganz zutreffend: Beide sind soeben in ein neues Einfamilienhaus in Konradshöhe gezogen, München ist nur noch ein Nebenschauplatz. „Ich möchte gern aus dem Haus rausfallen und rein in den Wald und nicht erst eine Viertelstunde am Straßenrand langlaufen.“ Hier geht das.

Konradshöhe ist alles andere als glamourös. Hier wohnen Beamte, Handwerker, Rentner, ein paar diskrete Reiche ohne Repräsentationsdrang. „Das ist nichts für Menschen, die es schick haben wollen, alles ist ein wenig uriger, und die Nachbarschaft ist nett“, sagt Maren Gilzer. „Es ist wie auf dem Dorf, und die City ist doch nur 20 Minuten weg.“ Geboren ist sie in Wedding als Berlinerin in der fünften Generation, kennt den Schäfersee und die Rehberge gut, und ihre erste eigene Wohnung lag in der Nähe des Ku’damms. Konradshöhe hat sie sich bewusst gesucht: Die Verkehrsanbindung ist schlecht, das weiß sie, aber dennoch kommt sie viel schneller und preisgünstiger zu ihren Drehterminen nach Leipzig, als das von München aus möglich wäre.

Klar: Sie will wählen gehen, interessiert sich für kommunale Themen, klagt über die vernachlässigten Straßen. „Warum schütten sie immer wieder Teer auf das alte Kopfsteinpflaster und machen nicht mal einen ordentlichen Belag?“ Der Falkenplatz, das Zentrum von Konradshöhe, hat drei Nagelstudios, aber kein einziges Café, und von den meisten Restaurants der Umgebung ist sie auch eher enttäuscht. „Und nirgendwo kann man Geld ziehen, es gibt unzählige Getränkemärkte, aber keinen Drogeriemarkt, wo man sich einfach nur mal mit Waschpulver eindecken kann.“

Auch den bürokratischen Umgang mit den Hundehaltern findet sie lästig. Drei- oder vier Mal am Tag geht sie mit ihrer kleinen, äußerst friedlichen Hündin Tinka in den Wald. Dass das Ordnungsamt, wenn einmal die Leine fehlt, sofort 25 Euro kassiert, findet sie überzogen und versteht nicht, dass es im weiten Umkreis weder Hundebadestelle noch Auslaufgebiet gibt. „Soll ich den Hund erst mit dem Auto nach Frohnau fahren?“

Kleine Beschwerden. Grundsätzlich könnte der Bezirk sie vom Fleck weg als Werbeträgerin engagieren. „Hier ruft der Kuckuck“, schwärmt sie. „Den hört man nicht im Harz und nicht in Bayern!“ Bernd Matthies

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