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Touristen fotografieren Touristen. Die Stadt um sie herum ist längst nur noch eine Kulisse.

© dpa

Rant zum Fremdenverkehr: Berlin-Tourismus tötet den Geist der Stadt

Das Problem: Der so entstandene Besucherzoo wird bald auch die Besucher langweilen. Ein Rant.

Stimmt schon: Man soll Leuten, die als Touristen ihr Geld nach Berlin tragen, nicht auch noch grollen. Aber dass man sich – wie hier vor Kurzem der niederländische Kollege Dirk-Jan van Baar – auch noch über sie freut, ist ein bisschen viel verlangt. Mag sein, dass Amsterdam noch überlaufener ist als Berlin, das macht es nicht besser. Zumal das Geschäftsmodell Massentourismus für die großen alten Städte dieser Welt etwas Zerstörerisches hat. In und an Berlin kann man das sehen.

Ein Tourismusmanager dieser Stadt hat ihr Tourismuswunder mal mit dem banalen Satz erklärt, die Leute kämen, um den Berlinern beim alltäglichen Leben zuzusehen. Vielleicht stimmte das mal. Heute gilt für weite Teile des Zentrums etwas anderes: Touristen kommen, um anderen Touristen beim Touristen-Sein zuzusehen. Ganze Straßenzüge des früher kruden SO 36 werden ab elf Uhr vormittags zu Frühstücks-Buffets, auch unter der Woche. Wo früher die Schultheiß-0,33-Liter-Handgranaten-Flaschen zitternden Händen entfielen, schwappt heute hektoliterweise der Milchkaffee. Am frühen Nachmittag stehen die vormaligen Frühstücker dann am Mehringdamm für Gemüse-Kebab an. Wer sieht da wem beim Warten zu?

Der Boom produziert aber nicht bloß Schlangen, er krempelt die Innenstadt um. Nicht nur, dass an touristischen Hotspots schon mal, seit die Touristen das Radfahren für sich entdeckt haben, dreißig, vierzig desorientierte Radler den Verkehr aufhalten. Leute, die in Straßen wohnen, in denen sich ein Imbiss an den nächsten reiht, machen vor lauter Küchenentlüftern ihre Fenster nicht mehr auf. Wenn doch, nervt nach wie vor der viel besungene Sound der Rollkoffer. Ob das sperrige Zweckentfremdungsverbots-Gesetz daran etwas ändern wird? Offen. Für Stadtbewohner jedenfalls machen Straßen, in denen ein Hotel neben dem anderen steht, schlicht nichts mehr her. Sie sind bloße Funktion, so interessant wie ein U-Bahn-Tunnel.

Gewerbesteuer statt Eigenarten

Der freundliche Amsterdamer Dirk-Jan van Baar redet sich die Entwicklung schön, wenn er die These aufstellt, dass Touristenmassen sozusagen die Schwarm-Intelligenz verkörpern: „In Amsterdam wird uns prophezeit, dass die Touristenzahlen sich verzehnfachen. Ein Albtraum. Aber ein schöner, denn wo es Touristen hinzieht, muss das Paradies sein.“ Von der Logik her ist das heikel: Je voller, desto doller? Ein paradiesisch schöner Ostsee-Strand verliert seine Reize mit jedem Quadratmeter Handtuchfläche, der ihn bedeckt, ein bisschen mehr.

Und für Städte gilt das Gleiche. Ganze Viertel verlieren ihre Eigenarten. Was sie gewinnen, ist Gewerbesteuer-Umsatz. Schwer zu sagen, wie weit dieses Geschäftsmodell trägt. Bis auch der letzte Chinese in Berlin gewesen ist und sich ein Berlin-T-Shirt gekauft hat? Das wäre die optimistische Variante (jedenfalls mit Blick auf die Reisefreiheit für Chinesen und die einheimischen T-Shirt-Verkäufer). Wahrscheinlicher ist, dass dem Boom die Kraft ausgeht, weil der Städtetourismus zwar Evergreens kennt, aber auch Moden. Der Berlin-Tourismus, heißt es, lebt von ein paar mythischen Orten, dem Checkpoint Charlie zum Beispiel. Ob der den erlebnishungrigen Touristen der 2020er Jahre noch etwas sagt?

Der anfangs zitierte Satz vom Interesse der Besucher, den Einheimischen beim Alltag zuzusehen, hat seine Wahrheit. Man sieht nicht bloß, dass in Museen jenseits des Atlantiks der Lego-Stein als Designobjekt ausgestellt wird, man sieht vielleicht auch, wie Leute im Park Tai Chi machen oder dass die Restaurant-Tische noch enger beisammen stehen als zu Hause. Man sieht Ähnlichkeiten und Unterschiede zum eigenen Leben im Alltag der anderen, man sieht und hört, was andere anders machen, und das macht Reisen interessant.

Berlin hat inzwischen kiezweise die Erkenntnis zu bieten, dass Schlangestehen und Im-Pulk-Radeln hier so gut oder schlecht gehen wie in anderen beliebten Touristen-Destinationen (was für ein Wort). Denen, die mitten in der Stadt ihr Leben leben und/oder ihr Geld verdienen, liefert es die Erkenntnis, dass das Berlinische Leben heute eher in Reinickendorf zu finden ist als in SO 36.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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