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Was eine öde Einöde. Im Winter ist das Tempelhofer Feld reine Platzverschwendung, oder?

© Doris Spiekermann-Klaas

Rant zum Tempelhofer Feld in Berlin: Ich bin jetzt doch dafür, das Flugfeld zu bebauen

Eisige Winde jagen über das ehemalige Berliner Flughafengelände, kein Mensch hält sich hier im Winter länger als nötig auf. Mal ehrlich: Was nützt uns diese gigantische Innenstadtsteppe?

Ich betrete das Tempelhofer Feld, Eingang Columbiadamm. Es ist kalt, Herbst an der Grenze zum Winter. Trotzdem drängen sich Menschengruppen am Baseballkäfig, im Luftgarten und vor den Hochbeetanlagen. Hier, an den Rändern des Geländes, erschließt sich sofort, warum für die Nichtbebauung so erbittert gekämpft wird: ein Ort der Menschen und des Durchatmens.

Ich biege ab, Richtung Horizont, um den Heimweg von Neukölln nach Tempelhof abzukürzen. Schnell wird es einsam, der Wind pfeift über die Steppe. Nach ein paar hundert Metern fühle ich mich wie Liam Neeson in „The Grey“, ein Wanderer im arktischen Winter. Nur die Wölfe fehlen. Durchnässt und verkühlt wärme ich mich zu Hause an der Heizung, wie an einem Berghüttenfeuer nach der Passüberquerung.

Bei Frost übers Feld? Nur wenn’s sein muss. Im Sommer ist es nett hier, wenn auch etwas unansehnlich. Im Winter aber wird die Fläche zur Eiswüste, zur lebensfeindlichen Flechtentundra mit schneidenden Winden, zur einzig wirklichen No-Go-Area der Stadt.

Ich verstehe ihn ja, den Drang zur Erhaltung. Schlimmer noch: Beim Bürgerbegehren von 2014 habe ich selbst gegen die Senatspläne gestimmt, habe Freunde und Nachbarn dazu motiviert, habe Listen herumgereicht. Aufregend war das: ein offenes Flughafenareal, erst kommunitär besetzt, dann basisdemokratisch erkämpft – das ist so 90er, so 90er waren nicht mal die 90er! Große Freiheit! Kite-Skaten, Drachensteigen, Liegefahrräder mit Handpedalen! In seinen besten Momenten ist das Feld der prototypischste Ort für den Berlin-Lifestyle, von dem Nichtberliner so gerne sprechen.

In seinen schlechteren Momenten klafft in Berlins Mitte ein flughafengroßes Loch. Aus Freiraum wird im langen, dunklen und ungemütlichen Berliner Winter Leerraum.

Ist Stillstand für immer die richtige Lösung?

Natürlich verstehe ich das Misstrauen gegenüber den Senatsplänen. Seit 25 Jahren zelebrieren die Landesregierungen den Ausverkauf. Die einmalige Chance, aus der neugeborenen Stadt etwas anderes, Besseres zu machen, verstrich ungenutzt, stattdessen wurde alles imitiert, was andere Städte so unerträglich gleich macht. Wieso sollte es auf dem Feld anders kommen?

Darf aber die Lösung jetzt heißen: Stillstand für immer? Seit dem Tempelhof-Votum ist eine Welle des Gegen-alles-was-Senat-und-Bezirke-Wollens über die Stadt hereingebrochen. Man muss nur einen Blick auf die Bürgerbegehren werfen, die auf der Seite der Initiative Mehr Demokratie aufgelistet werden: Gegen die Bebauung des Mauerparks! Des Freudenberg-Areals! Der Bautzener Straße, der Buckower Felder, des Lichterfelder Südens … Dass das neue Fraenkelufer nach dem gescheiterten Entscheid am vergangenen Sonntag nun doch kommen darf wie geplant: wenigstens mal was anderes!

Bei einem Mega-Projekt -80000 Zuschauer Hertha-Arena- würde ich schwach werden. Ansonsten sollte man das Feld so lassen, wie es ist.

schreibt NutzerIn fuxa

Um Sinn und Unsinn dieser Bauprojekte soll es hier aber gar nicht gehen. Sondern um das Tempelhofer Feld. Was, wenn man – und ich weiß, dass ich mich jetzt auf dünnes Eis begebe – wenn man es ein klitzekleines bisschen bebauen würde? Mit einer Bibliothek etwa, und mit 2500 Wohnungen für kleinere und mittlere Einkommen – wie im wegprotestierten Senatsplan? Dazu die Erweiterung des überfüllten muslimischen Friedhofs, Sportanlagen, ein Kletterfelsen? Es bliebe immer noch ein Park, der zehnmal so groß wäre wie die Tuilerien und doppelt so groß wie der Hyde Park. Gewonnen wäre Kultur-, Sport- und Wohnraum, Letzteres im besten Fall auch für jene, die der Tempelhof-Enthusiasmus aus dem Schillerkiez an den Stadtrand weggentrifiziert hat. Für sie muss sich der Anblick der Innenstadtsteppe neben ihrem ehemaligen Viertel wie blanker Hohn anfühlen.

Jetzt eine Landesbibliothek zum Unterstellen!

Nebenbei täte ein bisschen Bebauung hier auch als Windfang gut. Während der dritte Winter über das per Volksentscheid nachhaltig befreite Feld hereinbricht, spüre ich bei jeder Überquerung, wie die Luft eisiger wird, wie Hagelkörner meine Wangen peitschen, wie das Gefühl aus meinen Fingern weicht. Wie Liam Neeson suche ich nach Zuflucht vor dem Arktiswind: unter einem Felsvorsprung vielleicht, in einem alten Flugzeugwrack – oder zukünftig einfach in der Caféteria der Zentralen Landesbibliothek?

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer Beilage Mehr Berlin.

Ein "bisschen Bebauung" und eine wahllos auf das Flugfeld gesetzte Landesbibliothek waren bereits geplant, das wäre nichts Neues. Nur war die Planung leider so schlecht und halbherzig, dass die Tundra-Befürworter allzu leichtes Spiel hatten.

schreibt NutzerIn Sandbaenker

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