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Berlin: Ratlos im Sturm

Fahrgäste mussten nach der Sperrung des Hauptbahnhofs in die Kälte. Informationen gab es kaum. Dafür kam der Bahnchef

Der Bahnchef eilte mit wehendem Haar über den Vorplatz, einen dicken Schal um den Hals gebunden. Hartmut Mehdorn wollte sich selbst ein Bild machen – vom Chaos, Teil II. Denn seit Nachmittag standen die Zeichen auf Sturm: Da hatte die Bahn erneut den Hauptbahnhof gesperrt.

Vor der Eingangshalle standen zu diesem Zeitpunkt Polizisten mit Megafonen, rot-weiße Absperrbänder knatterten im Wind, davor standen tausende Fahrgäste ratlos mit ihren Köfferchen. „Eine schöne Stadt habt ihr, aber einen Scheißbahnhof“, sagte ein 29-jähriger Brasilianer, seine Frau nickte. Erst gegen 20 Uhr ließ die Bahn wieder Fahrgäste hinein. Die Verspätungen waren nach dem stundenlangen Chaos erheblich.

Nachdem am Donnerstag beim Orkan „Kyrill“ ein schwerer Stahlträger heruntergestürzt war, hatte die Bahn beschlossen, das Gebäude künftig ab Windstärke neun zu räumen. Und das geschah bis 15 Uhr 10 schneller als in jedem Fußballstadion. Bis dahin durften die Fahrgäste immerhin noch in der Wärme bleiben. Eine 72-Jährige aus Mahlsdorf wollte nach Greifswald, „aber vorher noch zur Toilette“, sagte sie. Doch die waren längst geschlossen. Überall.

Raus in die Kälte mussten auch die Mitarbeiter der Geschäfte. Vielen blieb offenbar nicht mal Zeit, Jacke oder Anorak zu greifen. Die „Burger King“-Mitarbeiter standen beispielsweise mit Schürze und dünnem Pullover im Nieselregen. Andere Fahrgäste hatten ein ganz anderes Problem: Sie würden ja gern weiterfahren, sagte ein Ehepaar, „nur leider stehen unsere Koffer noch in der Gepäckaufbewahrungshalle“.

Die BVG hatte am Nachmittag 15 Busse eingesetzt, um die Fahrgäste nach Ostbahnhof oder Südkreuz zu fahren. Erst einmal musste man jedoch einen Mitarbeiter finden, der sagen konnte, wo es denn weitergehen soll. Kam man zu nahe ans Gebäude – wie etwa zwei Asiaten –, blaffte so mancher Bundespolizist hinter dem Flatterband: „No! Go outside!“

Wie bereits bei der Sperrung des Hauptbahnhofs am Freitag klagten Fahrgäste auch auf anderen Bahnhöfen über unzureichende Informationen. Auch bei der Sperrung des Hauptbahnhofs ließ die Bahn die Fernzüge nicht am Bahnhof Zoo halten. Sie fuhren stattdessen über Gesundbrunnen. Im Regionalverkehr endeten die Züge auf anderen Bahnhöfen; Fahrgäste mussten auf die S-Bahn ausweichen. Diese fuhr dann ohne Stopp durch den Hauptbahnhof. Im Nord-Süd-Verkehr hielten die Fern- und Regionalzüge zumindest anfangs noch zum Aussteigen in der unterirdischen Halle. Den Bahnhof verlassen konnten die Fahrgäste über einen Ausgang, der für die künftige U-Bahn vorgesehen ist. Er führt auf die Nordseite der Invalidenstraße – weit weg vom Gefahrenpunkt Hauptbahnhof.

Verwirrung herrschte auch draußen. Zwar fuhren immer wieder Taxis vor, doch die Polizei sperrte auch noch die Zufahrtsstraßen. Das Chaos komplett machten schließlich so manche Polizisten: Der Busverkehr wurde eingestellt, sagte eine Beamtin zu fragenden Fahrgästen. „Sie müssen jetzt laufen.“ Bei der BVG-Leitzentrale hieß es allerdings: „Nein, der Verkehr läuft ganz normal.“

Die kaputte Treppe, auf die der Stahlträger am Donnerstag knallte, war abgesperrt. Auf dem Bahnhofsdach kletterten drei Arbeiter herum. Doch nach oben schaute niemand. „Angst habe ich nicht“, sagte eine ältere Frau aus Stendal, „was ich unfassbar finde, ist das Informationschaos.“

Der Bahnhof war schon längst geräumt, da stand auf der Internetseite der Bahn noch immer unter der Rubrik „Verkehrsmeldung“: „Der Bahnverkehr hat sich normalisiert.“

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