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Berlin: Raubkopien: Alles nur geklaut

Verblüffend, diese Ähnlichkeit. Die beiden Wasserkocher wirken äußerlich so gut wie identisch, bis hin zum Design der Verpackung - obwohl sie doch von verschiedenen Herstellern stammen.

Verblüffend, diese Ähnlichkeit. Die beiden Wasserkocher wirken äußerlich so gut wie identisch, bis hin zum Design der Verpackung - obwohl sie doch von verschiedenen Herstellern stammen. Auch bei den beiden Edel-Rucksäcken lässt sich kaum sagen, welcher das Original ist und welcher die Kopie. Ebenso bei dem Korkenzieher-Paar, den Lampen, Türgriffen, Telefonen und Kreuzschwingern. Wie eineiige Zwillinge sehen sie aus, diese Ausstellungsstücke, die der Verein "Plagiarius" in den vergangenen 25 Jahren gesammelt hat.

Dabei gilt für jeweils einen der Zwillinge, was die "Prinzen" einst trällerten: Alles nur geklaut. Die Exponate sind unerlaubte Raubkopien von Markenartikeln, die Ausbeute eines Feldzuges gegen den Design-Diebstahl. Bisher waren sie als Wanderausstellung zwischen Basel, Toronto und Hannover unterwegs, jetzt bekommen sie eine feste Heimat in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Im September soll in der "Pichhalle" neben dem Sodaclub das Museum Plagiarius eröffnet werden.

"Wir wollen die Öffentlichkeit für das Problem des Raubdesigns sensibilisieren", sagt Christel Kluge. Die Berliner Werbefachfrau und Diplomdesignerin ist Leiterin der künftigen Dauerausstellung. Im Moment koordiniert die 45-Jährige den Umbau der 300-Quadratmeter-Halle, in der früher Bierfässer abgedichtet wurden. Noch werkeln überall die Handwerker. Bei der "Langen Nacht der Museen" am 25. August sollen dann erstmals Besucher einen Blick auf die rund 120 gesammelten Plagiate werfen dürfen. Finanziert wird das Museum größtenteils durch Spenden von Unternehmen. Die Miete zahlt für vorerst zwei Jahre der Berliner Geschäftsmann Hans Wall, der neben anderen Berliner Prominenten wie dem Ex-Wissenschaftssenator George Turner zu den Gründungsmitgliedern des Museumsvereins gehört.

Die Geschichte dieses ungewöhnlichen Projektes begann mit einer kleinen, unscheinbaren Briefwaage aus Plastik, wie Christel Kluge erzählt. Die hatte der Designer Rido Busse in den 70er Jahren für die Firma Soehnle-Waagen entworfen. 1977 dann entdeckte er auf der Frankfurter Frühjahrsmesse am Stand eines Herstellers aus Hongkong ein exaktes Plagiat seines Werkes - zu einem Bruchteil des Originalpreises. Statt sich geschlagen zu geben, nahm Busse - der heute neben einer Designfirma auch eine Professur an der Kunsthochschule Weißensee hat - den Kampf auf. Er startete eine Ein-Mann-Bürgerinitiative gegen den Ideen-Diebstahl, die bald von prominenten Unternehmern und Juristen unterstützt wurde. Jährlich verleiht die Aktion Plagiarius einen Preis an besonders dreiste Design-Räuber: Einen Gartenzwerg mit goldener Nase - Symbol für das, was sich die Plagiatoren mit den geklauten Ideen verdienen, wie die Museumsdirektorin sagt. In diesem Jahr verlieh die aus Politikern, Unternehmen und Juristen bestehende Jury den Preis an die griechische Firma Lauder, deren Wasserkocher bis ins Detail einem Siemens-Gerät nachempfunden war. Neben derartig handlichen Raubkopien will das Museum auch größere Plagiate zeigen, nachgebaute Motoren und kleinere Maschinen zum Beispiel. Das größte Ausstellungsobjekt wird allerdings nur als Foto vertreten sein: Eine chinesische Straßenbahn, die haargenau einem in Deutschland entwickelten Modell gleicht.

"Viele Menschen sehen das Plagiat immer noch als Kavaliersdelikt an", klagt Christel Kluge. Dabei werde übersehen, dass die Produktpiraterie jährlich Milliardenschäden verursache und tausende von Arbeitsplätzen bedrohe. Etliche kleine Firmen seien pleite gegangen, weil ihr Erfolgsprodukt plötzlich zu einem Bruchteil des Preises von anderen angeboten wurde, die sich die oft horrenden Entwicklungskosten gespart haben. Auch namhafte Unternehmen wie Tchibo oder Ikea verdanken nach Kluges Angaben einen Großteil ihres Umsatzes dem Design-Diebstahl. Rechtlich dagegen vorzugehen, sei oft müßig: "Wenn eine einstweilige Verfügung greift, ist das Plagiat schon längst ausverkauft." Und gerade ausländischen Firmen sei es oft herzlich egal, was ein deutsches Gericht entscheide.

Welche Tragweite die Verbreitung von Raubdesign gelegentlich haben kann, illustriert Christel Kluge mit einem spektakulären Beispiel. Als vor zwei Jahren beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans ein Mercedes dramatisch verunglückte, sei als Ursache ein Materialfehler vermutet worden: Das für den Crash verantwortliche Fahrzeugteil war ein Plagiat.

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