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Berlin: Rauchen bis der Arzt kommt

Die Vivantes-Kliniken, größter Berliner Anbieter von Entwöhnungskursen, bauen ihr Programm aus. Nun kann man an drei Standorten entgiften. Aber wie geht das, Aufhören mit ärztlicher Hilfe? Ein Besuch

Wer zu Michael Heidler kommt, hat vorher schon viel mitgemacht. Hypnose, Akupunktur, Pflaster – „neun von zehn unserer Klienten haben schon so ziemlich alles probiert“, sagt der Diplom-Psychologe. Seit zwei Jahren leitet er das Programm des „Instituts für Tabakentwöhnung und Raucherprävention“ am Vivantes Klinikum Neukölln, das größte professionelle Angebot in Berlin. Und weil die Nachfrage so groß ist – mit 34 Prozent Rauchern liegt die Hauptstadt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 27,4 Prozent – wird die Rauchentwöhnung jetzt sogar noch ausgebaut: Auch an den Standorten Reinickendorf und Spandau gibt es die Entwöhnung in der Klinik nun – gut ausgewählt, denn neben Neukölln sind dies die Bezirke, in denen am meisten geraucht wird. Neukölln „führt“, mit 37 Prozent.

Starke Raucher wissen im Prinzip aber längst, dass sie sich vor allem selbst schaden – und eine Studie von der Uni Hamburg, die letzte Woche veröffentlicht wurde, hat ihnen das noch einmal besonders deutlich vorgerechnet. Die Wissenschaftler kalkulierten die Verkürzung der Lebensdauer auch in Euro und Cent, basierend auf Umfragen aus den USA, die ermittelt hatten, wie viel den Menschen ein Lebensjahr den wert ist: Bei zehn „verlorenen“ Jahren als Raucher hat jede Packung plötzlich 22,10 Euro gekostet.

„Viele Menschen möchten ja auch mit dem Rauchen aufhören, aber es ist schwer“, sagt Christine Köhler-Azara, Drogenbeauftragte des Landes Berlin. Dass es schwer ist, liegt am Umfeld – hierzulande ist ein bundesweit einheitliches Rauchverbot in Restaurants und öffentlichen Gebäuden nach rechtlichen Bedenken von Bundesinnen- und justizministerium erst einmal gescheitert; in Berlin debattieren nun dafür einige Gastronomen darüber, sich selbstständig rauchfrei zu machen. Es hat aber vor allem biologische und psychologische Gründe. Da ist einerseits der Stoff, Nikotin, der innerhalb von acht Sekunden an Hirnrezeptoren andockt und die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe ankurbelt – was durch den Belohnungseffekt, der sich einstellt, extrem schnell abhängig macht. Andererseits ist erlerntes Verhalten schwer abzutrainieren. Ohne Hilfe von Profis schaffe es weniger als jeder zwanzigste chronische Raucher aufzuhören, sagen Ärzte.

Der 47-jährige Wolfgang Schulz aus Neukölln hat schon ein paar Hürden genommen. Seit zwei Monaten raucht er nicht mehr. Doch noch immer zählt er die Zigaretten, auf die er verzichtet. „Bis jetzt sind es 2200“, sagt er. Eineinhalb Jahre lang hatte er überlegt, wie er vom Rauchen loskommen könnte. Sein Hausarzt hat ihn dann ans Vivantes-Institut verwiesen, wie bei den meisten Kursteilnehmern. 30 Prozent kommen auf eigene Faust, andere direkt aus der Klinik, etwa nach einem Infarkt. Kostenpunkt: 280 Euro, von einigen Kassen bezuschusst.

Beim einstündigen Aufnahmegespräch ist jeder allein. Die eigentliche Arbeit – Schwerstarbeit – wird dann aber in der Gruppe geleistet: Insgesamt sieben Mal in zwei Wochen treffen sich die Entwöhnungswilligen zu ihren Sitzungen. Nach der dritten Gruppenstunde kommt der Rauchstopp. „Punkt und Schluss“-Methode. Dennoch, sagt Wolfgang Schulz, setze man sich am Anfang 24 Stunden lang mit dem Thema auseinander. Das sollte man auch, denn sich bewusst zu machen, welche Orte und Gelegenheiten Schlüsselreize darstellen für den Wunsch nach einer Zigarette, ist ganz wichtig.

Die meisten Klienten brauchen dennoch medikamentöse Unterstützung – Nikotinpflaster, dazu Tabletten für den akuten „Anfall“. Jeder lernt außerdem ganz individuell, welche Strategie am besten hilft,wenn der Rückfall droht. Entspannungsverfahren werden geübt, und Informationen über die gesundheitlichen Folgen sollen den Lernprozess verstärken. 1700 Berliner sterben pro Jahr an Lungenkrebs – die allermeisten starke Raucher. Auch Herz und Gefäße sind gefährdet, Herzspezialist und Klinikchef Steffen Behrens sagt: „Eine Untersuchung der Harvard School of Public Health von 27 000 Patienten hat klar bewiesen, dass das Infarktrisiko linear mit jeder Zigarette steigt. Schon unter zehn Zigaretten hat man ein 1,6-fach erhöhtes Risiko, bei über 20 Zigaretten steigt es auf das 4,6-Fache .“

Zwei, vier und sechs Wochen nach Abschluss des Kurses folgen dann Sitzungen, in denen der Erfolg stabilisiert werden soll. Dann ist jeder auf sich gestellt – für Notfälle gibt es ein Jahr lang aber eine Hotline. Nach diesem Jahr kommt die Nachuntersuchung. Samt Messung des Kohlenmonoxids in der ausgeatmeten Luft, einem Gradmesser für die Menge der inhalierten giftigen Substanzen.

Zu diesem Zeitpunkt haben viele mit dem Rauchen allerdings schon wieder angefangen: Im Schnitt haben es sich nach dem achtwöchigen Programm zwar 84 Prozent der Teilnehmer abgewöhnt – aber nach einem Jahr haben letztlich doch nur 42 Prozent durchgehalten. Immerhin haben weitere 15 Prozent die Menge um mindestens die Hälfte reduziert. Was beachtlich ist. Alles, was bei der Raucherentwöhnung über 30 Prozent liegt, ist exzellent, sagen Experten. Im Umgang mit dem stärksten legalen Suchtmittel werden eben auch Mediziner bescheiden.

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