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Berlin: Rübergemacht im Kofferraum

Vor 30 Jahren floh ein Vater mit seinem Sohn in den Westen

Ein ganz besonderes Jubiläum: Christoph Schneider, 37, hat seine Eltern Ebba und Hans-Georg nach Berlin eingeladen. Sie werden das Museum am Checkpoint Charlie besuchen und ganz selbstverständlich im Hotel Bleibtreu im Westen der Stadt schlafen. Und Vater und Sohn werden sich daran erinnern, wie sie vor 30 Jahren zum ersten Mal dort gelandet sind. Todmüde, nach einer nervenaufreibenden Flucht im Kofferraum eines Fluchthelfers.

Als die Stasi den damaligen Oberarzt des Potsdamer Krankenhauses, Hans-Georg Schneider, 1977 bittet, seine Kollegen auszuspähen, reift bei ihm der Gedanke zur Flucht: ein Kollege ist bereits geflohen, die 1907 geborene Mutter des Arztes darf als Rentnerin zwischen Ost- und Westberlin pendeln.

Die alte Dame sammelt im Westen umgerechnet 42 000 Euro, um ihren Sohn Hans-Georg und einen seiner beiden Söhne von professionellen Fluchthelfern in den Westen holen zu lassen. Mutter Ebba soll eine Woche später mit dem anderen Sohn nachkommen. Der Kontakt zu den Fluchthelfern kommt über den bereits geflohenen Arbeitskollegen im Westen zustande.

Christoph Schneider ist am 7. Mai 1977 sieben Jahre alt und freut sich auf eine Fahrt zur Oma. Mit seinem Vater fährt er nach Kaulsdorf, wo er einen kleinen Imbiss bekommt. Von der geplanten Flucht ahnt er nichts. Er aß, aber ich bekam keinen Bissen runter, erinnert sich Vater Hans-Georg. Schließlich hält auf der Landstraße eine schwarze S-Klasse. Der Fahrer schließt Vater und Sohn im Kofferraum ein. Und wenn sie auf den Deckel klopfen ihr macht keinen Laut, befiehlt er. Für mich war das ein gigantisches Abenteuer, erinnert sich Christoph Schneider. Sein Vater aber hat Angst. Er hält seinem Sohn den Mund zu. Am Checkpoint Charlie herrscht gespenstische Stille, zerrissen nur vom Bellen der Hunde. Doch alles geht gut.

Später werden Wissenschaftler herausfinden, dass in der Woche der Flucht eine ganze Grenzeinheit bestochen worden war: Kofferräume wurden eine Woche lang nicht kontrolliert. Und ausgerechnet die Hoteliers rund um die Bleibtreustraße geben sich nach der Wende reihenweise als Fluchthelfer zu erkennen.

Ehefrau Ebba und ihr älterer Sohn haben weniger Glück. Ebba wird von Verwandten unterstützt, ihre Konten hat sie aufgelöst, ihren Job gekündigt. Die Stasi will sie aus ihrer Wohnung vertreiben, doch sie entgegnet: Ich ziehe nur noch einmal um, und zwar in den Westen. An Flucht ist aber nicht zu denken.

Erst anderthalb Jahre später wird die Familie auf legalem Weg im Westen zusammengeführt. Sohn Christoph lebt heute in Berlin, sein Bruder in Ludwigsburg bei Stuttgart, Ebba und ihr Mann in Mönchengladbach. Woandershin ziehen sie nicht mehr. Johannes Boie

Johannes Boie

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