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Berlin: Rebellion gegen die eigene Therapie

Diabetes zwingt zur Disziplin. Sonst drohen langfristig Gesundheitsschäden. Doch vielen Patienten fällt es schwer, sich an den Rat des Arztes zu halten

Warum ist es so wichtig, dass sich Zuckerkranke an die Therapiepläne halten?

Diabetes, das ist ein Dilemma: „Kein Mensch hat Lust, sich ständig mit seiner Krankheit zu beschäftigen und täglich daran erinnert zu werden, dass man schwer krank ist“, sagt der Berliner Diabetologe Sohrab Fahimi, der eine eigene Praxis in Kreuzberg betreibt. Doch genau das verlangt die Zuckerkrankheit: Man muss sich täglich mehrfach mit ihr beschäftigen, muss Broteinheiten berechnen, muss den Blutzucker messen, muss sich Insulin spritzen. Man will das alles vergessen, darf es aber nicht. Und doch tun es viele Patienten und riskieren damit langfristig ihre Gesundheit. Gerade Altersdiabetiker – also Typ-2-Diabetiker – sind gefährdet, denn ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich nur langsam, wenn sie nicht diszipliniert an die Insulinzuführung halten. Dafür aber sind die Folgen sehr langfristig: Gefäßschäden, Nervenschäden, Augenschäden...

Warum ist es für manche so schwer, sich an die Therapiepläne zu halten?

Viele Betroffene erwarten vom Arzt, sich um sie zu kümmern. Und von einer echten Selbstverwaltung sind manche weit entfernt. Gerade Diabetologen stehen oft vor dem Problem, dass der Erfolg der Behandlung von der Disziplin der Patienten abhängt – aber einige der Betroffenen dies trotz größter Anstrengungen nicht verstehen wollen.

Die Ignoranz der Therapieempfehlungen steige mit sinkendem sozialem Status der Patienten, sagt Thomas Scholz, niedergelassener Diabetologe in Berlin-Tegel. Er betreibt mit drei Kollegen eine große Spezialpraxis, hat Diabetesberater und -assistentinnen und einen eigenen Schulungsraum. Doch manchmal scheint auch bei ihm ein Quäntchen Fatalismus durch, wenn plötzlich wieder mal ein Patient, den er lange nicht gesehen hat, in der Praxis mit schweren Folgeschäden auftaucht, weil er sich nicht an den Therapieplan gehalten hat. „Manche erreicht unsere Botschaft trotz aller Mühe dann doch nicht.“

Warum sind auch gerade Jugendliche, die ihre Therapie ablehnen?

Diabetes ist auch psychisch und sozial für die Betroffenen eine Herausforderung, gerade in der Pubertät und nach dem Schulabschluss. In dieser Zeit kommt es häufiger zu Stoffwechselentgleisungen, wenn die Insulintherapie zu stark vernachlässigt wird. Denn die Behandlung nervt, weil sie auf den Partys Spontanität und Freiheit beschneidet. Einige der jungen Patienten nehmen deshalb in dieser Phase das Spritzen nicht mehr so ernst. „Es gibt junge Erwachsene, die versuchen sich einfach durchzumogeln“, sagt Wolfgang Kohn, Diabetologe an einem Medizinischen Versorgungszentrum in Friedenau. Da fehlten Laborwerte, ganze Krankenakten, was die ärztliche Behandlung sehr erschwere. Wichtig seien deshalb vor allem die Gespräche mit Therapieverweigerern. „Oft haben Jugendliche sich selbst und ihre Erkrankung noch nicht akzeptiert. Schließlich sind sie, wie alle anderen auch, zunächst einmal Rebellen.“

Was tun die Ärzte, um die Therapietreue der Patienten zu halten?

Die Ärzte können sich auf ein ausgeklügeltes System stützen, um ihre Patienten bei der Stange zuhalten, oder wie sie es Ärzte, die Therapietreue zu stärken. In den Diabetes-Schulungen sollen die Patienten lernen, die Krankheit in ihren Alltag zu integrieren. Die Spezialpraxen engagieren Diabetes-Berater, die mit Patienten reden, ihnen die Techniken und Therapiemöglichkeiten erläutern.

Mancher Doktor versucht es mit psychologischen Tricks, dem Zeittrick zum Beispiel. „Ich frage meine Patienten: Wie viel Zeit müssen Sie täglich in ihre Krankheit investieren?“, sagt der Kreuzberger Diabetologe Sohrab Fahimi. Es sind insgesamt nur fünf Minuten! Fünf Sekunden für jede Blutzuckermessung, zehn Sekunden fürs Spritzen, 20 Sekunden, um die Broteinheiten der Lebensmittel zu bestimmen.

Wie kann man Jugendlichen den Umgang mit ihrer Krankheit erleichtern?

Aber auch das Gesundheitssystem macht es den Heranwachsenden nicht gerade leicht. Wurde der Diabetes im Kindesalter entdeckt, werden die Patienten oft jahrelang von einem Kinderdiabetologen betreut. Doch mit der Volljährigkeit müssen muss ein „Erwachsenenarzt“ an dessen Stelle treten. Das kann durchaus ein Therapiebruch sein.

Dann beginnt die Suche nach einem Vertrauensverhältnis von neuem. „Wir können niemanden zwingen, sein Insulin zu nehmen und sich regelmäßig kontrollieren zu lassen“, sagt der Diabetologe Kohn. Ärzte können ihren Patienten nur immer wieder ein Angebot machen. Kohn nennt es „einen Minimalvertrag aushandeln“. Dabei geht es dem Arzt vor allem darum, dass der Kranke seine Blutzuckerwerte langfristig miss und erfasst, denn der gebe Aufschluss über den Erfolg der Therapie. Auch der technische Fortschritt hilft. Insulinpumpen würden gerade von den Jugendlichen gut angenommen. Ingo Bach, Matthias Lehmphul

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