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Berlin: Recht und billig?

Einige junge Anwälte wollen ihre Dienste zum Kunden bringen. Sie eröffnen Kanzleien in Supermärkten, Drogerien und Fußgängerzonen. Ein Besuch bei Karstadt

Karstadt am Hermannplatz, erster Stock, hintere Ecke. Kaffee-Bar, Reinigung, Rechtsanwälte, Geschenkverpackung. Rechtsanwälte? Das ist neu. Seit dem Sommer firmiert die Kanzlei „Resch & Gut“ im Kaufhaus – und verspricht, alles sei ganz einfach. Das Recht soll zum Kunden kommen, das ist der tragende Gedanke. Laut Eigenwerbung ist die Kanzlei Deutschlands erster Anbieter „qualifizierter, preisgünstiger und schnell zugänglicher Rechtsberatung in Supermärkten, Kaufhäusern, Einkaufszentren, Poststellen und Fußgängerpassagen“. Mit einer Peep-Show hat das zweierlei gemein: die Abrechnung im Minutentakt (pro Minute ein Euro) und die freie Einsehbarkeit. Denn der Kunde sitzt ziemlich auf dem Präsentierteller.

„Wir haben auch Diskretionszonen“, sagt Carolin Müller-Dieckert dazu. „Wer in einem geschlossenen Raum beraten werden möchte, dem können wir das gewährleisten.“ Die rechtlichen Vorschriften würden alle eingehalten. Mit einer hatten die Anwälte aber gleich zu Beginn Probleme: Die Resch & Gut firmierte als AG. Die Anwalts-AG ist gesetzlich nicht geregelt, und so vertraten einige Anwaltskammern die Auffassung, die AG dürfe weder Rechtsberatung anbieten noch vor Gericht auftreten. Deshalb ändert die Firma gerade ihren Namen in Müller-Dieckert und wird zur GmbH.

In Berlin hat die Kanzleikette zwei Standorte, den bei Karstadt und einen im Ostbahnhof. Die Chefin, die 30-jährige Carolin Müller-Dieckert, sitzt in Hamburg. In ihrem AG-Aufsichtsrat sitzen drei Polit-Promis, allesamt Rechtsanwälte: Brandenburgs Ex-Justizminister Kurt Schelter und sein Staatssekretär a.D. Gustav-Adolf Stange sowie der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière. Nach Umwandlung in die GmbH machen sie den Beirat aus.

Den ersten Shop dieser Art eröffnete die Niedersächsin Müller-Dieckert im Juni 2003 in einem Drogerie-Markt in Nienburg an der Weser. Mittlerweile beschäftigt sie bundesweit 20 Leute, davon sieben in Berlin – vier Anwälte und drei fürs Sekretariat. Und expandiert fleißig. Weitere Rechts-Shops kommen bis Ende des Jahres nach Magdeburg, Ludwigshafen und Saarbrücken; Anfang 2004 sollen Wuppertal und Duisburg folgen.

Nicht alle Anwaltskammern sehen das mit Vergnügen. Die Berliner Kammer zum Beispiel macht Front gegen die Neuen. „Das entspricht nicht der Würde des Anwaltsberufs“, sagen einige, andere haben rechtliche Bedenken. Ob denn auch die Kanzleipflicht erfüllt werde? Ob ein eigener Briefkasten vorhanden sei? Wie es um die Geheimhaltung stehe, wenn Karstadts Putzfrauen nachts den Boden feudeln, wo Akten liegen? Müller-Dieckert kennt die Einwände und pariert: „Wir haben einen separaten Briefkasten, unsere Aktenschränke sind abgeschlossen und die Computer passwortgeschützt.“

Die Hamburger Anwaltskammer geht sportlicher mit der Konkurrenz um als die Berliner. „Ob uns das gefällt oder nicht, ist egal“, lautet dort die Devise. Es komme nur darauf an, ob das rechtlich zulässig sei. Schließlich sind alle Anwälte Kammermitglieder, und wenn sie unterstützende Beratung brauchen, kriegen sie sie. Mehr wollen die Hamburger nicht sagen.

Erkennbar wenden sich die Schnell-Anwälte an eine bestimmte Schicht, nämlich Leute mit wenig Geld und Ausländer. Bei Karstadt am Hermannplatz ist seit neuestem ein Anwalt beschäftigt, der arabisch spricht. Ein Werbeplakat verheißt dort: „Asyl? Wir halten Sie hier!“

Billiger ist das nicht unbedingt. Der Minutenpreis bezieht sich nämlich nur auf unverbindliche Rechtsauskünfte ohne juristischen Hintergrund. Die Erstberatung kostet in der Regel 50 Euro, und wenn ein Mandat daraus wird, geht es ganz regulär nach der Gebührenordnung, nach der auch alle anderen Anwälte abrechnen. Die 50 Euro für die Erstberatung zum Beispiel lohnen sich erst ab einem Streitwert über 1200 Euro. Die Beratung bei einem regulären Anwalt kostet nach Gebührenordnung bei diesem Streitwert 46,75 Euro.

Fatina Keilani

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