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Berlin: Rechte und Pflichten

Schlampig und faul zu sein, ist Eltern gestattet, die Kinder im Stich zu lassen nicht: Wann der Staat bei Familien einschreiten darf

Die Wohnung total vermüllt, vier Kinder darin und eine Mutter, die sich nur gelegentlich blicken lässt – ein klarer Fall von Kindesvernachlässigung. Aber wo genau ist die Grenze, an der sie beginnt? Ein unordentlicher Haushalt allein fällt jedenfalls nicht darunter.

Die Grenzziehung zwischen dem, was gerade noch geht, und dem, was zuviel ist, fällt schwer – auch juristisch. Der Schutz von Ehe und Familie ist ein Gut von Verfassungsrang, vornehmer geht es in unserer Rechtsordnung nicht. Das bedeutet: Der Staat hat sich weitestgehend rauszuhalten, denn Grundrechte sind so genannte Abwehrrechte gegen den Staat. Er muss die Familie aber unterstützen, speziell die Mütter. Im Notfall muss der Staat helfen, mit Geld, mit Beratung, mit Angeboten.

Darüber hinaus ist Familie „ein geschlossener, gegen den Staat abgeschirmter, die Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit stützender Autonomie- und Lebensbereich“, so entschied es einmal das Bundesverwaltungsgericht. Und diese „Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit“ ist bunt. Deswegen können Eltern vieles selbst entscheiden, zum Beispiel: Sonntag gehen wir in den Zoo. Aber auch: Unsere Kinder dürfen keine Comics lesen. Oder nur einmal die Woche nach draußen. Oder keinen Umgang mit anderen Kindern haben. Alles vom Grundgesetz geschützt.

Immerhin ist Eltern nicht alles erlaubt. Ihr Recht ist untrennbar verbunden mit der Pflicht, das Kind „zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen“, so steht es in § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Erst kürzlich verurteilte das Amtsgericht Tiergarten einen Mann zu einem Jahr Gefängnis, weil er seine dreijährige Tochter vier Stunden im Strandbad Weißensee allein gelassen hatte, um in die Sauna zu gehen. „Völlig verantwortungslos“, befand das Gericht. Auch wenn sich die vier Kinder aus Prenzlauer Berg wacker geschlagen haben: Die meiste Zeit war die Mutter nicht da, und auch sonst niemand. Dafür zu sorgen, wäre aber ihre Pflicht gewesen.

Mit den Zeiten wandeln sich auch die Standards. Nach dem Krieg waren zahlreiche „Schlüsselkinder“ am Tage auf sich gestellt, die Väter tot, die Mütter arbeiten. Niemand hat es beanstandet. Es ging eben nicht anders. Schläge galten damals noch als Erziehungsmittel. Gewalt ist heute verboten. Der Staat kann Kinder aus einer Familie nehmen – aber erst, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Oder wenn ein Kind selbst um Obhut bittet. Da aber den Eltern große Freiheiten zustehen, müssen die staatlichen Stellen ständig abwägen. Sind die Eltern bloß faul, dumm, selbstbezogen? Das wäre unsympathisch, aber erlaubt. Sicher reden sich auch mal Jugendämter heraus und greifen nicht ein, obwohl sie könnten. Denn Elternrechte können auch eine gute Ausrede für behördliches Nichtstun sein.

Fatina Keilani

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