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Klaus Wowereit ließ sich von Zeit-Magazin-Autor Moritz von Uslar befragen.

© dpa

Regierender Bürgermeister im Interview: 99 Fragen an Klaus Wowereit

Mag Klaus Wowereit Kuschelrock und was denkt er über Berlins Busfahrer? Zeit-Magazin-Autor Moritz von Uslar stellt 99 Fragen an den Regierenden Bürgermeister.

Ein Konferenzraum im Roten Rathaus zu Berlin: der für Konferenzräume übliche große Glastisch, auf dem eine Thermoskanne mit Kaffee steht. Seit zehn Jahren ist er Regierender Bürgermeister von Berlin, am 18. September stellt er sich erneut zur Wahl zum Abgeordnetenhaus. Im direkten Vergleich braucht er auch diesmal keinen Konkurrenten zu fürchten, die Berliner Grünen und ihre Kandidatin Renate Künast liegen in diesen Wochen allerdings vor der Berliner SPD. Er ist groß und breit. Wowi, der mit dem Teddybär-Gesicht. Bekannt und beliebt geworden ist dieser Politiker mit gleich zwei grandiosen Sprüchen, seinem Coming-out (»Ich bin schwul, und das ist auch gut so«) und einer Gleichung, die längst ein Klassiker ist (»Berlin ist arm, aber sexy«). Es gibt – aufs Angenehmste – kein echt brisantes oder zwingendes Thema mit ihm zu besprechen; aber man kann mit ihm, dem Kommunikationsprofi, dem Talkshow-Gestählten, der alten Plaudertasche, natürlich über praktisch alles sprechen, ohne dass es langweilig wird, von Integrationsproblemen in Neukölln bis zur Wahl der richtigen Partycracker. Er faltet die Hände. Er setzt ein demonstrativ staatstragendes und prophylaktisch genervtes Gesicht auf – das mit dem Plaudern soll nicht ganz so einfach werden. Egal, wie ernst dieses Gesicht guckt, die Wowi-Äuglein amüsieren sich schon mal.

1. Sekt oder Selters?

Selters.

2. Currywurst oder Austern?

Currywurst.

3. Ku’damm oder Friedrichstraße?

Ku’damm.

4. Udo Walz oder Marlene Dietrich?

Marlene Dietrich.

5. Schnurrbart oder Vollbart?

Vollbart.

6. Rot-Rot oder Rot-Grün?

Rot-Rot.

Das Gespräch hat bis hierher exakt sechs Sekunden gedauert, je eine Sekunde pro Frage und Antwort. Er zögert null. Wir operieren hier in den oberen Etagen des Politprofi-Smalltalkertums: Das kann was werden. Seine gefalteten Hände. Wowereits Daumen drehen sich.

7. Fukushima, Nato-Einsatz in Libyen, FDP-Erosion, die Grünen auf der Suche nach einem Kanzlerkandidaten – können Sie sich an Wochen erinnern, in denen es in der Politik so rundging?

Richtig ist: Die Zeiten sind unruhig. Politik ist insgesamt schnelllebig geworden. Wenn sich Naturkatastrophen wie die in Japan ereignen mit den daraus folgenden politischen Entscheidungen, dann ist jede programmatische Planung über den Haufen geworfen.

8. Rückblick auf einen Schlüsselmoment: Als die Bundeswehrkapelle beim Abschied für Guttenberg »Smoke on the Water« spielte – war das der Moment, in dem die Republik, wie wir sie kannten, sich verabschiedete und etwas irres Neues losging?

Ich würde es nicht so dramatisch ausdrücken. Es war kein Anfang. Es war der Abgesang eines gescheiterten Ministers.

9. Ist die FDP noch zu retten?

Es ist nicht meine Aufgabe, mir Gedanken zu machen, ob die FDP sich rettet oder verändert. Sie soll so bleiben, wie sie ist.

10. Ist die SPD noch zu retten?

Die SPD muss nicht gerettet werden. Die SPD ist eine starke Kraft.

11. Spinnt der Innenminister Friedrich?

Er hat einen ganz schlechten Start gehabt. Er sollte endlich anfangen, sich mit den Realitäten zu befassen.

12. Kapieren Sie Westerwelle?

Es ist eine objektiv richtige Wahrnehmung, dass diese Bundespolitik es nicht versteht, den Deutschen in wesentlichen Politikfragen eine Orientierung zu geben.

13. Mit welchen Worten trösten Sie den SPD-Chef Gabriel?

Der SPD-Chef muss nicht getröstet werden. Er hat viele Ideen. Die werden umgesetzt.

14. Mal ehrlich, kennen Sie einen deprimierenderen Verein als die SPD?

Ich kenne Vereine, bei denen ich eine Depression bekommen würde. Die SPD gehört nicht dazu.

15. Ist das theoretisch auch denkbar, dass eine ganze Partei hinwirft und sagt, sie hat keinen Bock mehr?

Wie gesagt: Die SPD ist programmatisch gut aufgestellt. Und sie wird kämpfen.

16. Ein Gag oder die Wahrheit, dass Andrea Ypsilanti ihr Comeback plant?

Andrea Ypsilanti ist Politikerin der SPD, deshalb braucht sie kein Comeback. Ansonsten ist seit geraumer Zeit Thorsten Schäfer-Gümbel der Frontmann der SPD in Hessen.

17. Wo bleiben die jungen Frauen in der SPD?

Wie Sie an Manuela Schwesig sehen, sind sie ganz weit vorne.

Kein Stress, keine Regung. Sein freundliches Teddybär-Gesicht schluckt alles. Bei Frage 15 schenkte er uns ein kleines Lächeln, nach dem Motto: »Da haben Sie sich aber eine hübsche Formulierung ausgedacht.« In seinen Antworten lässt er sich zu gar nichts hinreißen. Des Politprofi-Talkers Daumen drehen ihre Runden. Wir bleiben dran. Wir prügeln nun mit Wahlkampf-Fragen auf ihn ein.

18. Ist das egal, welcher Teppichhändler oder Spielkasino-Betreiber aus Steglitz für die Berliner CDU gegen Sie antritt?

Das Schöne an den Gegenkandidaten ist, dass sie nicht vom Regierenden Bürgermeister ausgesucht werden.

19. Ihr Verdienst, dass das spannendste Thema im Berlin-Wahlkampf 2011 wieder Klaus Wowereit heißt?

Das entscheidende Thema im Wahlkampf zum Berliner Stadtparlament heißt ja nicht Klaus Wowereit, es heißt Berlin.

20. Haben Sie kapiert, ob die Grüne Künast lieber Bürgermeisterin oder doch gleich Bundeskanzlerin werden möchte?

Ich habe den Eindruck, sie will doch lieber auf der Bundesebene bleiben.

21. Grob gesagt, soll Berlin so weiterwurschteln wie bisher?

Berlin wurschtelt nicht, sondern konzentriert sich auf die Zukunftsaufgaben, und dies mit Erfolg.

22. Gibt’s kein spannenderes Wahlkampf-Thema als die langweilige Stadtautobahn A100?

Es ist ein Grundsatzthema: Will man eine Stadt weiterentwickeln, oder will man sie konservieren?

23. Zur viel diskutierten Flugroute des neuen Großflughafens Schönefeld: Warum sind Siedlungsbauten in Lichtenrade wichtiger als die Villen in Wannsee?

Das ist ganz einfach. Erstens gibt’s auch schöne Villen in Lichtenrade. Zweitens geht es um die Flughöhe. Lichtenrade liegt nah an den Startbahnen, hier befinden sich die Flugzeuge in geringen Flughöhen von nicht mal 600 Metern. In Wannsee geht es darum, wie die Anwohner dort eine Belästigung von Fluglärm aus 2500 Meter Höhe empfinden. Das ist ein buchstäblich himmelweiter Unterschied.

24. Traurig, dass es in Berlin nur einen kleinen Reaktor zum Abschalten gibt?

Der wird ja nicht abgeschaltet. Das ist ein Forschungsreaktor, und der hat deshalb ganz andere Voraussetzungen als die Meiler, die jetzt in der Diskussion stehen.

25. Wann haben Sie zuletzt Ihren Freund, den sympathischen, aber viel zu weichen Brandenburg-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, über den Tisch gezogen?

Es mag vielleicht so sein, dass Platzeck nach außen weich erscheint. Aber er ist ein knallharter Verhandler und denkt an seine Brandenburger Interessen. Insofern lässt der sich gar nicht über den Tisch ziehen. Wenn wir etwas verhandelt haben, dann ist das zum beiderseitigen Vorteil gewesen.

26. Zur groben Richtung Ihres Wahlkampfes: Wenn Sie bei der letzten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus »Kultur! Kultur!« gerufen haben, rufen Sie jetzt »Wirtschaft! Wirtschaft!«?

Wir haben auch damals schon »Wirtschaft! Wirtschaft!« gesagt. Kultur lebt nur, wenn die wirtschaftliche Prosperität da ist, damit die vielen Kultureinrichtungen finanziert werden können.

27. Macht das eigentlich dumm, wenn man seit zehn Jahren als Kanzlerkandidat gehandelt wird?

Spekulationen kann man nicht verhindern. Insofern sage ich immer: Man soll sich konzentrieren auf das, was man tut, dann hat man genug zu tun.

28. Über welche Floskel müssen Sie als Kommunikationsprofi lauter gähnen, über »Er ist amtsmüde« oder über »Er will es noch mal wissen«?

Puh. Schwierige Frage. Die erste Floskel ist ja selten besser als die zweite. Da müssten Sie mir schon eine echte Alternative anbieten.

29. Ihre Botschaft an Berlins Busfahrer?

Guter Service.

30.Ihre Botschaft an die Altkommunisten in Lichtenberg und Marzahn?

Kritisch über die Vergangenheit nachdenken!

31. Wie haben Sie das hingekriegt, dass Heinz Buschkowsky, der Neuköllner Bürgermeister, jetzt endlich die Klappe hält?

Ich glaube nicht, dass er sich zurücknimmt. Er hat vielleicht momentan nicht die Aufmerksamkeit.

32. Stimmt die irre Geschichte, dass Thilo Sarrazin mal bei Ihnen Senator war?

Das ist kein Gerücht, das ist Realität, und er hat als Finanzsenator viel für die Stadt getan.

33. Ihr Plädoyer für den deutschlandweit längst totgesagten Begriff Multikulti?

Unsere Gesellschaft ist nicht monokulturell zu verstehen. Wir unterliegen vielen Einflüssen. Die Welt kann sich nicht abschotten, Berlin und Deutschland haben eine multikulturelle Gesellschaft.

34. Was hat das zu bedeuten, dass Ihr für März im Vorwärts-Buchverlag angekündigtes Plädoyer für Integration immer noch nicht erschienen ist?

Es ist gerade ein Buch erschienen, das ich herausgebe. Da geht es um positive Beispiele für Integration. Das andere Buch ist ein Ergebnis der Zukunftswerkstatt der SPD, es entsteht aus einem zweijährigen Prozess. Zum Ende des Prozesses wird das Buch auch da sein.

Wow. Viel toter, leerer, phrasenhafter kann der Mensch über Politik nicht reden. Wowereit sagt auf Knopfdruck das, was der Interview-Automat Klaus Wowereit sagen würde. Wie kommt das, dass der als großer Unterhalter gerühmte Wowereit so nichtssagend daherredet? Sind es die Fragen? Ist es das Amt, das aus Politikern Leere-Phrasen-Automaten macht? Wir glauben an dieses Interview – wenn nicht an seine Antworten, dann doch an unsere Fragen. Er guckt – mit ernstem Gesicht und lächelnden Augen–, als wollte er sagen: Tun Sie etwas. Holen Sie mich heraus aus meiner Hohle-Phrasen-Existenz.

35. Was Sie da haben: Ist das die berühmte Berliner Schnauze?

Schnauze mit Herz.

36. Ihr Mittel gegen die endlosen Winter in Berlin?

Heiterkeit.

37. Berlin-Problem Hundekacke?

Ist weniger geworden.

38. Im Ernst, woran liegt das, dass in Berlin so dramatisch mehr Hundekot auf den Gehwegen liegt als in Paris oder London?

In Paris und London gibt es dafür weniger Bäume.

39. Haben Sie sich das ausgedacht, dass Berlin eine freche Stadt ist?

Berlin ist frech im allerpositivsten Sinne: Wir haben hier einen besonderen Charme, den man erst kennenlernen muss.

40. Echt wahr, dass bei euch da draußen in Lichtenrade Leute wohnen, die stolz darauf sind, dass sie noch nie im Osten waren?

Das weiß ich nicht. Das kann aber sein. Wohl nicht nur in Lichtenrade, sondern zum Beispiel auch in Frohnau. Ein paar Ignoranten gibt es überall.

41. Zweiundzwanzig Jahre nach der Wende: Sollten wir uns von den lieb gewordenen Begriffen Ossi und Wessi verabschieden?

Das klingt ganz gut. Für die Zukunft brauchen wir nun neue Begriffe für die aus dem Norden und dem Süden.

42. Hat sich Deutschland genug darüber gefreut, dass es die Berliner Mauer nicht mehr gibt?

Ja. Es war allseits eine riesengroße Freude.

Achtung! Klaus Wowereit bewegt sich. Er bietet Kaffee an, gießt sich dann selber eine Tasse ein. Wir wollen jetzt herausfinden, welche Rolle die Partys in seinem anstrengenden Bürgermeisteralltag spielen. Vielleicht wird jetzt alles gut!

43. Können Sie uns bitte noch mal erklären, warum es wichtig ist, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin sich bei der Hugo-Boss-Show sehen lässt?

Ja. Weil die kreative Industrie zu Berlin gehört. Dort Flagge zu zeigen ist eine der vornehmsten Aufgaben des Regierenden Bürgermeisters.

44. Champagner-Fan?

Ich trinke gerne Champagner, aber ein deutscher Jahrgangssekt ist mir genauso lieb.

45. Ihr Schlafmittel?

Erschöpfung nach einem langen Arbeitstag.

46. Stimmt das, was Ihre Unterstützer sagen, dass Ihnen eine Schlafzeit von drei Stunden vollkommen ausreicht, um frisch über die Runden zu kommen?

Gott sei Dank sind es meistens doch fünf oder sechs Stunden.

47. Das berühmte bisschen zerknautschte Wowi-Gesicht – richtig, dass das nicht von den vielen Partys, sondern von Ihren Allergien herrührt?

Ich habe eine Frühblüherallergie, also Birke, Haselnuss, Erle. Es kann sein, dass man in diesen Phasen auch mal erschöpft aussieht.

48. Wann zuletzt durchgemacht?

Ach, durchgemacht. Wenn es abends länger wird, dann meistens, weil ich am Schreibtisch sitze. Ich stehe in den seltensten Fällen nachts in Lokalen herum.

49. Wie dürfen wir uns Wowis Schreibtisch vorstellen?

Ein moderner Tisch. Groß, schwarz, Holz, viel Platz.

50. Auswendig, wo auf Ihrem Schreibtisch liegen die Büroklammern?

In einem Etui. In Griffweite.

51. Ihr Mittel gegen die berühmte 17-Uhr-Müdigkeit?

Arbeiten. Und frische Luft. Also Fenster auf.

52. Genug gefeiert?

Wenn der Anlass stimmt, dann sollte man auch in Zukunft feiern.

53. Eine Gemeinheit, dass Sie den Spitznamen »Partymeister« wohl Ihr Leben lang tragen werden?

Das ist ein Etikett, das kriegt man nicht mehr los. Es entspricht aber nicht der Realität.

54. Halten Sie es mit Andy Warhols alter Partyregel »Früh aufschlagen, früh weiterziehen«?

Nein. Ich bin kein Termin-Hopper. Wenn ich mich für eine Party entscheide, dann bleibe ich meistens dort.

55. Der verrückteste Ort, an dem Sie als Bürgermeister eine Rede gehalten haben?

Ganz lustig war zuletzt eine Grundsteinlegung, die im ersten Stock stattfand: Das war bei der Bertelsmann-Repräsentanz in der Alten Kommandantur.

56. Auf eine Art, ist der rote Teppich als Droge so gefährlich wie Kokain?

Der rote Teppich ist keine Droge. Er ist ein Ritual.

57. Drei Prominente, die bei den legendären Wowereit-Partys bei Ihnen zu Hause in der Dachgeschosswohnung am Ku’damm nicht fehlen dürfen?

Das sind dann ja private Partys, also bleibt die Gästeliste mein Geheimnis.

58. Ihre Erfahrung: Finden die besten Gespräche bei Partys echt in der Küche statt?

Gegessen wird bei uns im Esszimmer. Aber richtig, die Küche ist natürlich der Ort.

59. Wie war’s mit Schwarzenegger?

Nice guy.

60. Ist Queen Elizabeth komisch oder doch eine eher humorlose Person?

Sie hat mehr Humor, als man das allgemein denkt. Wir haben viel über Stadtentwicklung gesprochen, über das Neue Museum, über Architektur. Sie ist eine wunderbare Lady. Der Eindruck, den man aus dem Fernsehen von ihr hat – diese gewisse Steifheit, Humorfreiheit–, ist jedenfalls der falsche Eindruck.

61. Was besprechen Sie bei Ihrer nächsten Stippvisite bei Prinz Salaman von Saudi-Arabien?

Den habe ich schon gesprochen. Es ging um Politik, natürlich, Entwicklungen in der arabischen Welt, Gleichberechtigung von Frauen, Investitionen in die Zukunft.

62. Welches Detail vom letzten Besuch bei Ihrer guten Freundin, der Filmschauspielerin Liz Taylor ist Ihnen unvergesslich?

Da sind Sie falsch informiert, dass wir befreundet waren. Ich habe diese große Schauspielerin nie persönlich getroffen.

Kaffeepause ist vorbei, die Hände kehren in die gefaltete Grundposition zurück. Er schaut, wieder mit großem Bürgermeister-Ernst, auf seine Armbanduhr: Wie lange geht hier noch dieses Theater? Wir aber bleiben dabei, dass wir unsere überreizten und durchgedrehten Fragen stellen und ihn mit unserem Übermut anzustecken versuchen. Komm schon, Wowi!

63. Muttersöhnchen?

Nö.

64. Können Sie Ihre Mutter Hertha noch mal in wenigen Worten hochleben lassen?

Ein wunderbarer Mensch, der immer kämpfen musste, aber sich auch durchgesetzt hat.

65. Froh, der Kleinbürgerhölle von Lichtenrade entkommen zu sein?

Kleinbürgertum ist nicht lokalisierbar. Das kann in Metropolen sein und in der Provinz.

66. Die Discohymne, die Ihr Lebensgefühl in den siebziger Jahren auf den Punkt brachte?

In der ersten Discozeit waren die Blues-Songs besonders angesagt. Die langsamen Sachen. Weil man da eng miteinander tanzen konnte.

67. Echt wahr, dass Sie als junger Mensch deutsche Politiker erlebt haben, die cool waren?

Ja. Mein großes Idol ist Willy Brandt. Aber ich fand, beispielsweise, auch Björn Engholm einen außergewöhnlichen Politiker.

68. Haben Sie sich den »...und das ist auch gut so« wirklich selber ausgedacht?

Der kam beim Reden, spontan, aus dem Bauch. Dieser Ausspruch sollte etwas erklären: dass man sich nicht zu verstecken, nicht zu entschuldigen braucht. Der Ausspruch kam aus dem normalen Sprachgebrauch, sehr viele Menschen reden so. Die guten Sätze muss man selten erfinden. Sie sind meistens schon einfach da.

69. Sie sind ja ein Sprüche-König. Welcher Ihrer beiden unsterblichen Sprüche ist wohl der bessere, der »arm, aber sexy« oder »...und das ist auch gut so«?

»...und das ist auch gut so« ist ein Ausspruch, der mir wichtig war und bis heute wichtig ist, weil er viel für die Emanzipation getan hat.

70. Kennen Sie einen Schwulenwitz, der leider lustig ist?

Warum soll es über Schwule nicht auch lustige Witze geben? Es gibt ja auch Juden, die lustige Witze über Juden erzählen. Das Entscheidende ist, wie der Witz eingesetzt ist: ob diskriminierend oder selbstironisch gemeint.

71. Ist die Diskriminierung heterosexueller Männer unter Schwulen ein Problem?

Es gibt natürlich auch schwule Männer, die intolerant sind, beispielsweise gegenüber Lesben, aber auch gegen heterosexuelle Männer. Das ist genauso zu verurteilen wie der immer noch deutlich häufigere Fall der Diskriminierung schwuler Männer. Wenn man für sich selber Akzeptanz einfordert, dann sollte man mit gutem Beispiel vorangehen.

72. Was sagen Sie zum mühsamen, aber natürlich doch interessanten Klischee, dass in den sogenannten kreativen Berufen besonders viele Schwule sind?

Weiß gar nicht, ob ich mit diesem Klischee etwas anfangen kann. Vielleicht weil sie für schöne Dinge eine besondere Affinität haben.

73. Wer backt bei Ihnen zu Hause den Apfelkuchen?

Ich mache gerne eine Aprikosentarte. Oder meine berühmte Charlotte Lorraine.

74. Stimmt die Geschichte, dass Ihr Lebenspartner Jörn Ihnen morgens die Krawatte rauslegt?

Falsch.

75. Stimmt die Geschichte, dass Ihr Partner für Sie die Kulturteile der Zeitung durcharbeitet und Ihnen beim Abendessen die Zusammenfassung vorträgt?

Das ist auch falsch. Ich bin immer derjenige, der als Erster die Zeitung liest: frühmorgens.

76. Das Geheimnis Ihrer dreißigjährigen Ehe?

Noch nicht dreißig, sondern achtzehn Jahre. Auch keine Ehe, sondern eine Partnerschaft. Bei aller Unterschiedlichkeit den anderen so akzeptieren, wie er ist. Versuchen, ihn zu formen, aber nicht zu verformen.

77. Ist bisschen spießig ganz schön?

Ja, jeder Mensch hat seine konservative oder spießige Seite. Warum nicht? Es ist ja immer die Frage, was man darunter versteht.

78. Der berühmte Self-Rating-Test: Sie schätzen bitte Ihr Talent ein, von null Punkten – niedriges Talent – bis zehn Punkte – maximale Begabung. Sozialdemokrat.

Zehn.

79. John Travolta.

Der Tänzer? Sechs.

80. Weiberheld?

War früher mal mehr.

81. Bundeskanzler?

Steht nicht zur Debatte. Also keine Punktangabe.

82. Bussibär?

Nein.

83. Gibt’s etwas Trostloseres als einen Politiker, der keinen Bock mehr hat?

Das fragen Sie den Falschen. Ich habe ja Bock.

84. Stimmt das Gerücht, dass Ihnen der zurückgetretene Hamburger Bürgermeister Ole von Beust bei einem Sonntagsbrunch auf seiner Terrasse von den Freuden des Politiker-Rentnerlebens vorgeschwärmt hat?

Das ist ein Gerücht. Dieses Treffen hat nie stattgefunden.

85. Ein Jammer, dass man als Politiker mit den Jahren seinen Größenwahn verliert?

Welchen Größenwahn? Ihre Frage setzt voraus, dass man mal einen hatte.

86. Ist das schwer, als Regierender Bürgermeister kein Misanthrop zu werden?

Das weiß ich nicht. Ich bin immer ein optimistischer und ein offener Mensch gewesen.

87. Welche Illusion lassen Sie sich nicht nehmen?

Ich nenne das Vision, nicht Illusion: Berlin wird eine sehr prosperierende Stadt sein. In unmittelbarer Zukunft.

Sein schlaues Lächeln. Die Daumen in den gefalteten Händen ruhen. Er hat einen ja längst. Es war, das merkt man jetzt, wo es zu Ende geht, natürlich ein ziemlich nettes Gespräch. Eines seiner Talente: Dieser Politiker gibt einem ständig das Gefühl, er werde gleich das sagen, was er wirklich denkt. Aber er sagt es dann, immer ganz knapp, doch nicht. Renate Künast hat es nicht einfach.

88. Großfrage: Dürft ihr Sozialdemokraten Golf spielen?

Wir dürfen. Und ich habe aus meiner Golf-Leidenschaft nie einen Hehl gemacht.

89. Welchen Wert darf die SPD nie verraten?

Soziale Gerechtigkeit.

90. Haben Sie nicht mit Gerhard Schröder viel mehr gemein, als Sie hier zugeben können?

Ich bin danach nie gefragt worden, deshalb kann ich hier viel zugeben. Gerd Schröder und ich haben in unseren Vitae etliche Parallelen, die uns geprägt haben.

91. Auf eine Art, kann man sagen, dass der Berliner Bär und Sie im Gesicht eine Ähnlichkeit haben?

Nein.

92. Ist es wichtig, dass der Anzug immer ein bisschen schlecht sitzt, weil das dann volksnah wirkt?

Nein. Der Anzug sitzt auch nicht schlecht.

93. Kuschelrock-Fan Wowereit?

Ja. Das ist doch schön.

94. Guttenberg hatte »Hells Bells«. Welchen Song haben Sie?

Ich habe nicht so einen Song. Aber einen Lieblingssong seit ewigen Zeiten: Nights in White Satin von den Moody Blues.

95. Ein Hammer, dass Sie schon bald sechzig werden?

Man glaubt es ja selber kaum. Aber es ist so.

96. Was gibt’s eigentlich dauernd zu grinsen?

Es gibt ja nicht dauernd was zu grinsen. Aber eine bestimmte Fröhlichkeit am eigenen Tun ist für die Umgebung nicht abträglich.

97. Seid ihr fröhlichen Typen im Herzen nicht die Allertraurigsten?

Zur Fröhlichkeit gehören auch immer Momente der Traurigkeit.

98. Lust, mal eine ganze Woche lang nichts zu sagen?

Das wäre auch schön. Es wäre manchem Anlass angemessen, wenn sich alle mal zurücknähmen. Aber das ist in unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft kaum machbar.

99. Ihre persönliche Meinung: Soll der Eisbär Knut ausgestopft werden?

Diese Frage entscheidet nicht der Regierende Bürgermeister, sondern der Berliner Zoo

Hinweis: Der Artikel wurde nachträglich korrigiert. Die Redaktion.

Quelle: Zeit Online

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