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Für den Fortschritt. Karsten Dreinhöfer im Sportsaal des Medical Parks Humboldtmühle in Tegel.

© Thilo Rückeis

Reha-Forschung: „Unsere Tests sind attraktiv für Patienten“

Viele Rehabilitationseinrichtungen unterstützen Menschen nicht nur bei der Genesung, sie forschen auch: zum Muskelaufbau etwa oder zu alternativen Schmerzmitteln. Ein Gespräch mit dem Berliner Rehaforscher Karsten Dreinhöfer.

Die meisten Menschen erwarten von einer Reha, dass sie nach einer überstandenen Krankheit wieder vollständig gesund werden. Was die wenigsten wissen, ist, dass Reha-Einrichtungen auch wissenschaftliche Forschung betreiben. Wozu?

Das Ziel der Rehabilitation ist, dass die Patienten möglichst optimal genesen oder aber die Betroffenen zu befähigen, mit ihrer Krankheit adäquat und selbstbestimmt umzugehen und trotz möglicher Einschränkungen ihre Funktion im Beruf und sozialen Umfeld so weit wie möglich wahrnehmen zu können. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gut gelingt, ist von vielen Faktoren abhängig. Die Frage ist dann, mit welchen therapeutischen Maßnahmen, Unterstützungen und Hilfsmitteln kann man den Patienten am schnellsten, besten und auch am kosteneffektivsten helfen. Die wissenschaftlichen Studien, die in Reha-Einrichtungen entstehen, versuchen diese Fragen zu beantworten.

Nehmen wir Ihr Haus als Beispiel. Welche konkreten Forschungsprojekte betreiben Sie in der Rehaklinik Medical Park Humboldtmühle?

Wir haben mehrere Fachbereiche, die unterschiedliche Themen erforschen. In der Orthopädie etwa untersuchen wir gemeinsam mit Sportwissenschaftlern die Gründe dafür, dass Menschen nach einer Operation an den Gelenken so anfällig für Stürze sind. Dabei suchen wir etwa die besten Übungen für einen beschleunigten Muskelaufbau, um Patienten, denen ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk implantiert wurde, eine sichere Balance und damit die Fähigkeit zur Bewältigung des Alltags zurückzugeben. Ein anderes Beispiel: In der Neurologie haben Kollegen einen Roboter entwickelt, der nach einem Schlaganfall das Wiedererlernen des Laufens oder Greifens unterstützt und erleichtert. Aber es geht bei der Forschung nicht ausschließlich um die Rehabilitation nach akuten Erkrankungen. Beim Rückenschmerz zum Beispiel: Hier arbeiten wir an einem Forschungsprojekt mit, bei dem es darum geht, Fehl- und Unterbelastungen des Rückens zu erkennen und zu vermeiden. Hintergrund dabei ist, dass Rückenschmerzen sowohl bei Spitzensportlern wie in der Gesamtbevölkerung in nahezu gleicher Häufigkeit auftreten. Es gibt dort also einen Zusammenhang, dem wir auf den Grund gehen wollen. In einem weiteren Feld wollen wir ergründen, wie wir Patienten, die nach einer Operation unter Wundschmerzen leiden, möglichst schmerzarm und trotzdem effizient rehabilitieren können. Dabei geht es auch darum, Schmerzmittel sparsamer einzusetzen und stattdessen alternative Schmerztherapien zu nutzen wie Akupunktur, Reiki oder Lasertherapie. Schließlich erkunden wir, welche Interventionen die Patienten am besten in ihren Alltag nach der Reha integrieren können. Und damit sind nicht nur Trainingseinheiten zur Stärkung der Muskulatur gemeint, sondern auch therapeutische Maßnahmen, die es den Patienten ermöglichen, schneller wieder Auto fahren zu können, oder ihnen helfen, in der häuslichen Umgebung wieder so selbstständig wie möglich zurechtzukommen.

Für solche Untersuchungen sind Sie auch auf die Mitarbeit der Patienten angewiesen, die eigentlich nur schnell wieder auf die Beine kommen und dann nach Hause gehen wollen. Wie motiviert man die Genesenden zur Teilnahme an solchen Untersuchungen?

Indem man offen mit ihnen redet. Man muss die Patienten über Sinn und Nutzen der geplanten Untersuchung oder Intervention ausführlich aufklären und ihnen genau erläutern, warum man diese oder jene Studie machen möchte. Und für viele ist das Argument sehr motivierend, damit den medizinischen Fortschritt unterstützen zu können und Anteil daran zu haben, die medizinische Versorgung in Deutschland zu verbessern. Und schließlich ist die Aussicht, neue Therapiemaßnahmen testen zu können, die zum Beispiel möglicherweise schneller die Muskelkraft zurückbringen oder die Unabhängigkeit von der Gehhilfe, attraktiv für Menschen, die aktiv an ihrer Genesung und Wiederherstellung arbeiten.

Apropos Aufklärung: In der medizinischen Forschung geht es immer auch um Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen für die Studienteilnehmer. Birgt auch die Rehaforschung Risiken?

Wann immer man mit Menschen forscht, muss man einen Antrag bei einer Ethikkommission stellen, die beurteilt, ob die Forschung sinnvoll ist und ob davon möglicherweise Gefahren für den Patienten ausgehen. Wenn das der Fall sein sollte, muss man den Patienten sehr umfangreich aufklären. Die kleinsten potenziellen Komplikationen müssen dabei so erklärt werden, dass jeder Patient diese auch verstehen kann. Danach bleibt dem Patienten selbstverständlich die freie Wahl, ob er an der Studie teilnehmen will oder nicht. Das Gute an der Rehaforschung ist allerdings, dass es nur selten Komplikationen gibt. Die Interventionen sind in der Regel sehr risikoarm.

Bei welchen Krankheitsbildern gibt es noch dringenden Bedarf an Rehabilitationsforschung?

Bei vielen, denn die Rehaforschung steckt eigentlich noch in den Kinderschuhen – und es sind weniger die Krankheitsbilder als die mit ihnen verbundenen Funktionseinschränkungen, an denen man intensiv forscht. Da sind zum Beispiel die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft. Dadurch wächst die Zahl der multimorbiden Menschen, also der Patienten, die gleichzeitig unter verschiedensten Erkrankungen und den damit verbundenen Symptomen leiden. Diese Betroffenen trotz ihrer vielfältigen Beschwerden wieder gut zurück in ihr soziales Umfeld zu bringen, ist eine Forschungsrichtung, die in der Vergangenheit häufig vernachlässigt worden ist. Man hat sich stattdessen darauf fokussiert, wie man Patienten mit einer Krankheit am besten physisch rehabilitiert. Die biopsychosozialen Komponenten blieben zum Teil unberücksichtigt: was haben das Umfeld, die psychische Situation, die Arbeitsplatzsituation und die soziale Situation für Einflüsse auf die Reha des Patienten.

Wie betreiben Rehabilitationszentren wissenschaftliche Forschung – und wer trägt die in solchen Fällen ja nicht unerheblichen Kosten?

In der Vergangenheit haben vor allem diejenigen, die die Rehakosten getragen haben – also die Deutsche Rentenversicherung, die gesetzlichen Krankenkassen und die Berufsgenossenschaften –, Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Rehabilitation angestoßen und gefördert. Zwischenzeitlich haben nun auch die Betreiber von Kliniken selbst in die Rehaforschung investiert. Sie finanzieren zum Beispiel in der Region zwei Stiftungslehrstühle für Rehabilitation in der Orthopädie und in der Neurologie an der Berliner Charité und einen für Rehabilitationswissenschaften an der Universität Potsdam. In diesen Forschungseinrichtungen können unabhängige Projekte entwickelt werden und in Zusammenarbeit mit anderen universitären Kooperationspartnern bearbeitet werden. Zudem haben sich im „Rehabilitationswissenschaftlichen Verbund“ Forscher aus Universitäten und Rehabilitationseinrichtungen in der Region Berlin, Brandenburg und Sachsen zusammengeschlossen, um die Rehaforschung auszubauen, den Austausch von Ergebnissen zu unterstützen und die Integration rehaspezifischer Inhalte in die Aus- und Weiterbildung der Mediziner zu fördern.

Das Gespräch führte Floris Kiezebrink. Karsten Dreinhöfer ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie in der Rehaklinik Medical Park Berlin Humboldtmühle, Professor an der Charité für muskuloskeletale Prävention, Rehabilitation und Versorgungsforschung und Sprecher der Region Berlin des Rehaforschungsverbundes BBS. Informationen unter bbs.charite.de und uni-potsdam.de/rehawiss/. Viele weitere interessante Themen rund um die Rehabilitation finden Sie außerdem im neuen Magazin „Tagesspiegel Reha 2017“. In dem Heft sind 54 Rehabilitationszentren in der Region Berlin- Brandenburg ausführlich beschrieben, dazu werden die Rehabehandlungen bei mehr als 40 Krankheiten laienverständlich erklärt. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel- Shop (Telefonnummer 29021-520, www.tagesspiegel.de/Shop) sowie im Zeitschriftenhandel.

Floris Kiezebrink

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