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Berlin: Reha mit Familienanschluss

Nach der Krebs-OP sollen Patienten wieder in die Klinik: zum Erholen. Aber viele wollen nicht wegfahren. Nun gibt es ein neues Konzept: die ambulante Therapie. Eines von vier deutschen Zentren ist in Berlin

Es war schon anstrengend genug bis zu diesem Punkt, körperlich wie seelisch. Die Operation ist vorbei, erfolgreich, und der Krebs ist raus. Aber damit haben es Krebspatienten oft immer noch nicht hinter sich. Nachbestrahlungen sind normal, Brustkrebspatientinnen müssen sicherheitshalber oft noch eine Hormontherapie machen. Ärzte nennen das Rehabilitationsnachsorge. Viele empfehlen das, und es gibt Patienten, die das auch schön finden: wegfahren, in reizvolle Gegenden mit guter Luft und schönem Ausblick.

Aber viele wollen oder können in dieser Situation nicht weg von zu Hause. Das Angebot, noch eine Phase des Kraftschöpfens einzuschieben, bevor der Alltag wieder losgeht, nimmt allenfalls die Hälfte aller Krebspatienten wahr. Sie müssen sich um Familienmitglieder kümmern oder wollen lieber in den vertrauten vier Wänden bleiben nach der beängstigenden Zeit voller Operationen, Chemo- und Strahlentherapien. Sie schreckt die Aussicht, 24 Stunden am Tag mit Leidensgenossen zu verleben, und Freiberufler zögern, ihre Geschäfte noch länger im Stich zu lassen. „Sie möchten das Angebot der Rehabilitation wahrnehmen, aber sie möchten auch regelmäßig wieder weggehen können“, sagt Gabriele Dutiné, Geschäftsführerin der Vivantes Reha GmbH.

Die Medizinsoziologin hat ihr Büro nicht in einer Urlaubsregion, sondern mitten in der Großstadt, im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg, auf dem Gelände des Auguste-Viktoria-Klinikums. Hierher, ins ambulante Therapiezentrum, kommen Menschen, um sich genau wie in einer herkömmliche Reha-Klinik nach schweren medizinischen Eingriffen zu erholen – allerdings auf „Teilzeitbasis“, für ein paar Stunden täglich. Das Konzept ist noch ganz neu. In ganz Deutschland gibt es erst vier solcher Zentren, alle nach 2003 eingerichtet.

Rehabilitation, das heißt so viel wie: wieder tauglich machen. Nach dem Einsetzen eines künstlichen Hüft- oder Kniegelenks oder auch nach einem Schlaganfall können die Patienten mit Hilfe von Physiotherapeuten das Gehen wieder lernen. Nach einem Herzinfarkt werden sie dabei unterstützt, das Rauchen aufzugeben, sich gesünder zu ernähren oder richtig Sport zu machen. Nach Krebsbehandlungen können medikamentöse Therapien fortgesetzt werden, aber es geht auch um die allgemeine körperliche Fitness, um den Sieg über die Nachwirkungen. In einer ambulanten Reha verbringen die Patienten täglich vier bis sechs Stunden – und fahren nachmittags wieder heim, um mit den Lieben den Abend und die Nacht zu verbringen. „Bei uns ist es wichtig, dass man drin bleibt“, erzählt Frau Dutiné – nicht nur mitten in der Heimatstadt und nah bei der Familie, sondern vor allem im aktiven Leben.

Nach dem Aufnahmegespräch mit dem Arzt wird der individuelle Stundenplan für die fünf wöchentlichen Rehatage – Wochenende ist frei – aufgestellt. Dazu gehören auch Gruppenangebote, etwa für das Bewegungsbad, gemeinsames Walking oder das Erlernen eines Entspannungsverfahrens. Und natürlich Gesprächsangebote zur Bewältigung der Krankheit und Psychotherapie.

Theoretisch könnte jede und jeder Krebspatient sich für die Zeit, in der er oder sie noch krank geschrieben ist, auch selbst ein Programm zusammenstellen, Termine machen in der Praxis des Physio- und des Psychotherapeuten, in einem Fitnessstudio unter Anleitung trainieren und Kochbücher mit gesunden Rezepten wälzen. „Aber dann fehlt die kontinuierliche Betreuung und der sinnvolle Zusammenhang all dieser Einzelmaßnahmen“, sagt die Krebsspezialistin Christa Kerschgens, die die onkologische Reha leitet. Außerdem könnte dann von Erholung wohl nicht mehr die Rede sein.

Aber geht das? Tagsüber ein ausgeklügeltes Programm, das hilft, die Folgen der Krebserkrankung zu bewältigen, abends Privatleben mit Familie und Freunden? Viele meinen, nach einer anstrengenden Krebsbehandlung brauche der Mensch vor allem eines: Ruhe. Wegfahren und nichts tun. Die Vorbehalte gegen die ambulante Reha kommen deshalb gleich von zwei Seiten. Während die einen meinen, Reha im strengen Sinn könne man sich nach einer Krebserkrankung eigentlich sparen, lehnen die anderen die ambulante Version als „Billig-Reha“ ab. „Bei Krebserkrankungen haben selbst viele Ärzte noch im Hinterkopf, dass sich die Patienten nach der anstrengenden Behandlung erst einmal richtig erholen müssen“, sagt Gabriele Dutiné – ohne Familie.

Tatsächlich haben viele Patienten nach einer Krebstherapie mit dem Fatigue-Syndrom zu kämpfen: totaler Erschöpfung. Häufigster Grund für eine Reha nach Krebs ist einer Hamburger Studie zufolge die Erhöhung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Gegen die Schlappheit und Lustlosigkeit hilft jedoch nach neueren Erkenntnissen körperliche und geistige Bewegung weit besser als das Nichtstun.

Bewegung ist Teil des Programms jeder modernen onkologischen Reha. Es ist oft nicht einfach, damit anzufangen. Viele misstrauen nach einer solchen Krankheit ihrem Körper. Sie sind eingeschüchtert und können ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr einschätzen. Da ist es leichter, die eigenen Grenzen auszutesten, wenn der Sporttherapeut daneben steht. „Ich wäre sonst nie in so ein Fitness-Center gegangen“, sagt eine Berlinerin, die an diesem Tag im Rehazentrum Sport macht. Sie hat außerdem das Nordic Walking für sich entdeckt. Andere Frauen haben nach der Entfernung von Lymphknoten auch Probleme mit dem Arm der erkrankten Seite, sie brauchen Lymphdrainage und spezielle Krankengymnastik für Schulter und Arm. Ein Spezialtraining hilft Männern nach der Entfernung der Prostata. „Wir stehen natürlich unter Druck, ein intensives Programm anzubieten. Die Patienten sollen sich ja jeden Morgen entscheiden, in die Reha zu kommen“, erklärt Dutiné.

In einem Raum stehen auch mehrere Computer mit Internet-Zugang. Dass da Patienten mit ihrem behandelnden Arzt sitzen, gehört zum Programm: Die beiden besprechen, wie man angesichts der Fülle der medizinischen Informationen, die das Netz bietet, die Spreu vom Weizen trennen kann. Zum Beispiel bei der Suche nach einer Selbsthilfegruppe, die nach der Reha Anlaufstelle sein könnte.

Kontakte

Infotelefon der ambulanten Reha in Berlin: 79032188. Mehr: www.reha.vivantes.de

Wer sich selbst helfen will: Der Deutsche Sportbund hat unter www.sportprogesundheit.de Adressen zusammengestellt.

Adelheid Müller-Lissner

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