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Berlin: Reifen wechsle dich

Girls’ Day: Mädchen lernten Männerberufe kennen – und Jungs Frauenberufe

Kein Fleck zu sehen. Das Sakko ist immer noch blendend weiß. Das gepunktete Kopftuch sitzt perfekt. Nur die groben Arbeitshandschuhe sind schon ganz ölig. Hatice wechselt gerade ganz professionell einen Reifen – in der Werkstatt der Innung des Kraftfahrzeuggewerbes in Kreuzberg. Na ja, nicht ganz allein. Fatmagül und Leila helfen auch mit.

Es ist Girls’ Day, Mädchenzukunftstag: Rund 7000 Berliner Schülerinnen haben die Chance, Berufe kennenzulernen, die noch als Männerdomänen gelten. Die Neuntklässlerinnen Hatice, Fatma, Leila, alle drei 16 Jahre alt, gehören zu rund 30 Mädchen, die in der Werkstatt an der Obentrautstraße ausprobieren, was Kraftfahrzeugmechaniker können müssen: Motoren testen, Einspritzanlagen überprüfen und Reifen wechseln. Ohne die Hilfe von Volker Bremer wäre Reifenprofi Hatice jetzt aber in Schwierigkeiten: „Stopp, noch nicht ziehen“, ruft der technische Ausbilder. Hatice nimmt die Hände vom Reifen und sieht den Mann im blauen Kittel irritiert an. „Die Radbolzen sind noch nicht abgeschraubt“, sagt Bremer. Danach reicht ein kräftiger Ruck und das Rad ist ab. „Da sag’ noch einer, die Damenwelt hätte keine Kraft“, sagt Bremer gut gelaunt. Wenn er über Mädchen spricht, die eine Ausbildung zur Kraftfahrzeugmechanikerin machen, gerät er ins Schwärmen: „Die sind so eifrig, gewissenhaft, reifer als die Jungs, und man kann sogar die Schrift lesen.“ Trotzdem sind unter den 1157 Kfz-Auszubildenden nur 27 Frauen. In der Berufswelt herrscht immer noch die traditionelle Rollenverteilung: Frauen werden eher Friseurin oder Krankenschwester. „Man muss die Mädchen an die Technik heranführen“, sagt Bremer.

„Ich kann mir nicht vorstellen, in einer Werkstatt zu arbeiten“, sagt Hatice jedoch nach zwei Stunden tüfteln und schrauben. Sie bleibt bei ihrem Berufswunsch: Krankenschwester. Wie ihre Freundin Leila. Fatmagül gerät jedoch gerade ein bisschen ins Schwanken: „Ich hätte schon Lust, als Mechanikerin zu arbeiten“, sagt sie und pumpt lächelnd am Wagenheber. Das Reifenwechseln mache ganz besonders großen Spaß. Und warum haben sie sich unter den rund 300 Veranstaltungen nun für die Autowerkstatt entschieden? „Wir wollten mal gucken, was Jungs so machen.“

Girls’ Day, das gab es gestern auch andersherum, beispielsweise im Modeladen „Knopf und Kragen“ an der Oranienstraße. Hier steht gerade Deniz, 14 Jahre alt, ballt die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten und starrt missmutig auf den Boden des Modeladens. Er fühlt sich sichtlich unwohl – zwischen Federboas und Stoffballen im Leopardenmuster. Die Eberhard-Klein-Oberschule in Kreuzberg hat neben dem Programm für die Mädchen auch eines für die Jungs geplant: Einen Tag in typisch weiblichen Berufen – im Kindergarten etwa oder im Modeladen.

Deniz zieht jetzt mit spitzen Fingern einen gelben Chiffonschal aus einem Haufen bunter Schals. Die soll er möglichst hübsch auf einem Ständer drapieren. Lustlos fängt er an, doch dann kommt er richtig in Fahrt, wählt die Farben sorgfältig aus, hängt die Schals immer wieder um. Fertig. Hände zurück in die Taschen. „Sehr kreativ“, urteilt seine Chefin-für-einen-Tag, Helena Spahn. Bald will Deniz ein längeres Praktikum machen – als Koch.

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