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Berlin: Reinhard Henning (Geb. 1945)

Die Existenz der Schafherde darf bezweifelt werden. Der Rest stimmt

Wenn damals in Mali ein Kühlschrank und ein Fernsehapparat im Dorfe lief, zog ich weiter, in einem alten Peugeot, mit Frau, Kindern und meiner Schafherde.“ Da Reinhard Henning ein mindestens so talentierter Geschichtenerzähler wie Biologe und Entwicklungshelfer war, darf die Existenz der Schafherde bezweifelt werden. Der Rest stimmt.

Schon der Beginn seines Lebens gab eine großartige Geschichte her, die er gerne erzählte. Auf der Flucht seiner Mutter aus Ostpreußen kam er nahe Danzig im Zug zur Welt, ungebremst, bei voller Fahrt. Die kleine Familie fand eine neue Heimat am Bodensee, und Reinhard entwickelte früh seine Begeisterung für möglichst effektvolle technische und chemikalische Experimente. Ein Riesenknall an einem sonnigen Vormittag brachte die Lebenspläne des jungen Gymnasiasten auf brutale Weise durcheinander. Eine chemische Reaktion sprengte ihm die rechte Hand weg. Nachdem er mühsam gelernt hatte mit links zu schreiben, akzeptierte er den Schicksalsschlag und war umso eifriger dabei zu beweisen, dass man mehr als eine Hand überhaupt nicht braucht.

In einem abgelegenen Schuppen auf dem Gelände der Berliner TU, hinter allerlei Windrädern und Wassermühlen zur Erprobung alternativer Energiegewinnung, fand im Sommer 1978 etwas Ungeheuerliches statt. Reinhard und seine Kollegen des Instituts IPAT, der „interdisziplinären Projektgruppe für angepasste Technologie“ betrieben einen Fiat-Motor mit Erdgas. Sie erzeugten Strom, ausreichend für zehn Haushalte, und erhitzten außerdem noch Wasser. Den Strom ließen sie über eine Steckdose ins öffentliche Stromnetz fließen. Vor den Augen ungläubiger Journalisten und Lokalpolitiker lief der Zähler am Aggregat rückwärts, in einer Stunde Strom für 2,40 Mark. Dieses Kleinkraftwerk, geeignet für jeden Heizungskeller, war streng genommen illegal, und doch hatten die Forscher damit einen Weg zu dem gezeigt, was man mehr als 30 Jahre später die Energiewende nennen sollte.

Reinhards Sorge allerdings galt weniger der Stromrechnung des deutschen Eigenheims, sondern den existenziellen Nöten der Menschen fernab. Mit einem Innovationspreis zur industriellen Nutzung von Biogas in der Tasche machte er sich auf nach Afrika, das seine Heimat werden sollte. Auf einem Schlachthof an der Elfenbeinküste baute er eine Biogasanlage, die mehrere Dörfer mit Strom versorgte. Nach ein paar Jahren wurde sie abgestellt, weil subventioniertes Rindfleisch aus Europa den lokalen Fleischmarkt zusammenbrechen ließ.

Mit seiner Frau Sally Matabamba und den drei Kindern ging es weiter in den Senegal und nach Mali. Dort wurde Reinhard zum „Vater der Jatropha“, einer Nuss, aus der sich Bio-Diesel herstellen ließ. Noch als Rentner war er Sachverständiger und reiste um die Welt.

Anstelle der zahllosen weiteren Projekte und Innovationen, die diesem Mann zu verdanken sind, soll hier ein Satz des Physikers Georg Christoph Lichtenberg seine Leistung beschreiben: „Wo damals die Grenzen der Wissenschaft waren, da ist jetzt die Mitte.“

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