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Berlin: Reise nach Romanistan

Obdachlos, arbeitslos, verwahrlost – dieses Bild zeichnet die Öffentlichkeit von den Roma, meinen die Betroffenen. Damit sich das ändert, lud eine Initiative zur Bildungsfahrt.

Die Roma-Familie, die da vor zehn Journalisten sitzt, erfüllt alle Klischees: Seit zwei Jahren haben Eltern und Tochter kein Zuhause. Der letzte Vermieter hat die Familie nach der Sanierung rausgeworfen mit dem Satz „hier ist jetzt kein Platz mehr für Roma“. Danach sagten alle Hausverwalter ab, sobald sie erfuhren, dass die drei aus Rumänien stammen. Heute pendeln sie zwischen den Wohnungen der beiden großen Töchter, die schon länger in Berlin leben. Der Vater verdient ein wenig als Straßenmusiker, die Mutter arbeitet zwei Stunden in der Woche als Putzfrau in einem Büro. Bessere Jobs finden sie nicht.

Obdachlose Roma, arbeitslose Roma, diskriminierte Roma, Roma in überbelegten Wohnungen, verwahrloste Roma-Kinder – das sind auch die Protagonisten der meisten Geschichten, die in den Medien über Roma erzählt werden. Ausgerechnet damit sich das ändert, sitzen die zehn Journalisten jetzt der Klischee-Roma-Familie gegenüber, auf Einladung des Mediendienstes Integration. Das ist ein Projekt des Rats für Migration, einem bundesweiten Zusammenschluss von Migrationsforschern. Denn auf den zweiten Blick passt die Familie doch nicht so ganz ins Klischee. Die 13-jährige Tochter Andrea geht nämlich jeden Tag in die Schule. Sie arbeitet daran, eine bessere Zukunft als ihre Eltern zu haben.

Das ist vor allem einer anderen Roma zu verdanken. Die arbeitet als Roma-Mediatorin in Andreas Schule, hilft den Kindern beim Deutschlernen, verteidigt sie gegen Diskriminierung durch Mitschüler und Lehrer oder begleitet auch mal vormittags die Eltern bei Behördengängen – damit Kinder wie Andrea das nicht selbst tun müssen und deshalb im Unterricht fehlen.

Das Treffen zwischen Journalisten und der Familie ist Teil einer Roma-Bildungsfahrt durch Berlin, die der Mediendienst Integration veranstaltet. Jene Roma-Mediatorin, die der 13-jährigen Andrea hilft, sitzt gemeinsam mit der Familie den Journalisten gegenüber. Sie erzählt, wie sich die Situation an ihrer Schule verbessert hat: Roma-Eltern schicken ihre Kinder in die Schule, gehen jetzt zu Elternabenden, Roma-Kinder werden von den Mitschülern respektiert, in einer zehnten Klasse ist die beste Schülerin eine Roma. Der Verein RAA (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie), der seit 20 Jahren mit Roma arbeitet und damit in Deutschland am meisten Erfahrung mit der Minderheit hat, hat das Konzept der Roma-Mediatoren erfunden. Heute arbeiten neun von ihnen an Berliner Schulen.

Auf dem Programm der Bildungsfahrt für Journalisten stehen auch Besuche bei einer Anlaufstelle für Roma aus den neuen EU-Beitrittsländern und bei der Roma-Jugendorganisation Amoro Foro. Die Besuche wurden allerdings kurzfristig abgesagt. Jeweils ein Mitarbeiter der Vereine ist krank. Deshalb sind die beiden Beratungsstellen an dem Tag so unterbesetzt, dass keine Zeit für die Journalisten bleibt. Die erste Lektion der Bildungsfahrt: Die finanziellen Mittel der meisten Roma-Hilfsorganisationen sind so gering, dass sie unter chronischem Personalmangel leiden.

Die zweite Lektion der Bildungsfahrt: Roma haben keine Lobby. „Weil es keine Interessenvertretung der Roma gibt, versucht niemand, das schlechte Image von uns zu ändern“, sagt der Künstler André Raatzsch in der Galerie Saalbau Neukölln, der zweite und letzte Halt auf der Bildungsfahrt. „Das Wissen über Roma ist gleich null, weltweit.“ Raatzsch, Sohn einer Roma-Mutter und eines deutschen Vaters, will das ändern. Deshalb hat er das Kulturfestival Romanistan konzipiert, die Ausstellung „Roma Image Studio“, die gerade in der Galerie Saalbau zu sehen ist, ist Teil davon. In Ausstellungen und Kinoreihen thematisieren Künstler wie Raatzsch, dass das Bild der Roma in der Öffentlichkeit einseitig ist. Im Saalbau ist unter anderem das Titelbild der Schweizer Zeitung Weltwoche zu sehen, das einen kleinen Roma-Jungen mit einer Pistole in der Hand zeigt und auf dem steht, „Die Roma kommen: Raubzüge in der Schweiz.“ In einem Video erzählt ein Fotograf dazu, wie wichtig es ist, die Deutungshoheit über die eigenen Bilder zu behalten.

Auch Hamze Bytyci, ein Schauspieler, der sich selbst „Berufs-Roma“ nennt, gehört zu den Schöpfern von Romanistan. Er sagt: „Die Journalisten wollen immer nur ein bestimmtes Bild der Roma zeigen.“ Er meint das der obdachlosen, arbeitslosen, verwahrlosten, kriminellen Roma. „Die Leute sollten mal uns fragen, welche Geschichten wir über uns erzählen wollen.“ Ein Besuch in Romanistan ist ein Anfang.

Veronica Frenzel

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